Calcitriol

Von , Apotheker, Arzt
Benjamin Clanner-Engelshofen

Benjamin Clanner-Engelshofen ist freier Autor in der NetDoktor-Medizinredaktion. Er studierte Biochemie und Pharmazie in München und Cambridge/Boston (USA) und merkte dabei früh, dass ihm die Schnittstelle zwischen Medizin und Naturwissenschaft besonders viel Spaß macht. Deshalb schloss er noch ein Studium der Humanmedizin an.

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Calcitriol ist die aktivierte Form von Vitamin D und übernimmt als solche viele Aufgaben im Körper. Der Wirkstoff hat daher ein breites Anwendungsspektrum, angefangen bei Nierenleiden und Funktionsstörungen der Nebenschilddrüse über Schuppenflechte bis hin zu schweren Formen des Vitamin D-Mangels. Hier lesen Sie alles Wissenswerte zu Calcitriol: Anwendung, Wirkweise sowie mögliche Wechsel- und Nebenwirkungen.

So wirkt Calcitriol

Calcitriol ist die aktive Form von Vitamin D und für die Regulation des Phosphat- und Kalziumhaushalts sowie die Mineralisation der Knochen verantwortlich.

Vitamin D ist im Gegensatz zu allen anderen Vitaminen nicht essenziell, das heisst, der Körper muss es nicht zwingend mit der Nahrung aufnehmen, sondern kann es auch selbst herstellen. Ein Mangel tritt nur bei Stoffwechselstörungen oder Mangel an Sonnenlichteinstrahlung auf der Haut auf (besonders wichtig ist hier der UV-B-Anteil im Licht).

Der Mensch braucht das Sonnenlicht zur Vitamin D-Produktion. Aus einem Cholesterin-Abkömmling in der Haut stellt der Körper mithilfe von Sonnenlicht Vitamin D3 her, das jedoch noch nicht als Vitamin aktiv ist. Vitamin D3 gelangt über das Blut zur Leber, wo es umgewandelt wird zum Calcidiol - die inaktive Speicherform von Vitamin D3. Diese wird in den Nieren bei Bedarf in die aktive Form Calcitriol überführt.

Calcitriol hat sehr viele Funktionen im menschlichen Körper, allen voran - daher kommt auch der Name - wirkt es auf den Kalziumspiegel im Blut: Hohe Calcitriol-Spiegel erhöhen die Blutwerte von Kalzium.

Dies geschieht durch eine vermehrte Kalzium-Aufnahme aus dem Darm, einer erhöhten Wiederaufnahme des Mineralstoffes aus dem Harn und seiner erhöhten Freisetzung aus den Knochen. Letzteres kann zu Knochenschwund führen. Indirekt, also im Zusammenspiel mit weiteren Hormonen, wirkt Calcitriol jedoch gegen Knochenschwund.

Calcitriol wirkt auch auf das Immunsystem positiv. Es verbessert die Infektabwehr und schützt mitunter vor Autoimmunkrankheiten (beispielsweise Schuppenflechte und kreisrunden Haarausfall). Auf diesem Effekt scheint auch ein vermindertes Auftreten bestimmter Krebsarten zu beruhen. Des Weiteren wirkt Calcitriol auf das Nervensystem, die Muskulatur und den Blutdruck.

Der Vorteil von Calcitriol gegenüber Cholecalciferol (=Vitamin D3) ist, dass es vom Körper nicht erst aktiviert werden muss. Somit lassen sich auch Menschen mit schweren Leber- oder Nierenfunktionsstörungen erfolgreich behandeln.

Aufnahme, Abbau und Ausscheidung

Nach der Einnahme wird der Wirkstoff über den Darm ins Blut aufgenommen und erreicht dort nach zwei bis sechs Stunden seine höchsten Spiegel. Da er fettlöslich ist, wird er im Blut von Transportproteinen befördert.

Calcitriol wird in den Nieren und in der Leber abgebaut und über die Galle mit dem Stuhl ausgeschieden. Fünf bis acht Stunden nach der Einnahme hat sich sein Blutspiegel wieder halbiert.

Wann wird Calcitriol eingesetzt?

Calcitriol ist zugelassen zur Behandlung von:

  • nierenbedingten Knochenbildungsstörungen
  • Unterfunktion der Nebenschilddrüse (Hypoparathyreoidismus)
  • Vitamin D-resistente Rachitis (Störung des Knochenstoffwechsels aufgrund eines Vitamin D-Mangels)
  • Osteoporose bei Patienten mit chronischer Störung der Nierenfunktion, wenn andere Therapien versagen oder aufgrund von Gegenanzeigen (Kontraindikationen) nicht möglich sind

Die Anwendung in diesen Fällen erfolgt innerlich, etwa in Form von Kapseln oder Spritzen. Die äusserliche Anwendung (als Calcitriol-Salbe) ist zur Behandlung von milder bis mässig starker Schuppenflechte (Psoriasis) zugelassen.

In der Schweiz ist Calcitriol auch zur Behandlung der postmenopausalen Osteoporose (Osteoporose nach den Wechseljahren) zugelassen.

Die Dauer der Anwendung hängt von der Art und der Schwere der Erkrankung ab. Bei chronischen Erkrankungen erfolgt die Anwendung dauerhaft.

So wird Calcitriol angewendet

Calcitriol wird meist in Form von Weichkapseln eingenommen, die den Wirkstoff gelöst in Öl enthalten. Die Therapie wird niedrigdosiert mit 0,25 Mikrogramm Calcitriol einmal pro Tag begonnen. Je nachdem, wie der Patient auf die Therapie anspricht und wie sich der Kalzium-Blutspiegel verändert, wird die Dosis ganz langsam erhöht.

Übliche Dosierungen liegen zwischen 0,25 und 1,0 Mikrogramm Calcitriol pro Tag. Sollten weniger als 0,25 Mikrogramm Calcitriol pro Tag ausreichend sein, kann auch nur jeden zweiten Tag eine Weichkapsel eingenommen werden.

Niedrige Dosierungen werden einmal täglich mit dem Frühstück eingenommen, höhere Dosierungen auf zwei bis drei Tagesdosen aufgeteilt und ebenfalls zu den Mahlzeiten mit einem Glas Wasser eingenommen.

Zur äusserlichen Behandlung von Schuppenflechte wird zweimal täglich eine Salbe mit drei Mikrogramm Calcitriol pro Gramm Salbe auf die betroffenen Hautsstellen aufgetragen. Es sollten pro Anwendung nicht mehr als ein Drittel der Gesamtoberfläche des Körpers eingerieben werden, und die Dauer der Anwendung sollte sechs Wochen nicht überschreiten.

Welche Nebenwirkungen hat Calcitriol?

Die Nebenwirkungen der Behandlung mit Calcitriol entsprechen im Wesentlichen einer Vitamin-D-Überdosierung.

Bei mehr als jedem zehnten Patienten treten erhöhte Kalzium-Blutspiegel auf, weshalb auch auf die tägliche Kalzium-Zufuhr (über Milchprodukte etc.) geachtet werden sollte. Häufige Nebenwirkungen sind auch Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Übelkeit, Hautausschläge und Harnwegsinfekte.

Gelegentlich kann die Behandlung den Appetit mindern, Erbrechen verursachen und den Kreatinin-Spiegel im Blut erhöhen.

Bei der Anwendung als Salbe sind die Nebenwirkungen für gewöhnlich auf die Haut begrenzt und können sich als Juckreiz, Hautreizung oder Rötung zeigen.

Was ist bei der Einnahme von Calcitriol zu beachten?

Gegenanzeigen

Calcitriol darf nicht angewendet werden bei:

  • Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der anderen Bestandteile des Medikaments
  • erkrankungsbedingter Kalzium-Überschuss im Blut (Hyperkalziämie)
  • Verdacht auf Vitamin D-Überdosierung

Calcitriol-Salbe darf nicht aufgetragen werden bei:

  • Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der anderen Bestandteile der Salbe
  • gleichzeitiger Einnahme von Medikamenten zur Regulierung des Kalziumhaushalts
  • Hyperkalziämie und Kalziumstoffwechselstörungen
  • Leberfunktionsstörungen
  • Nierenfunktionsstörungen

Wechselwirkungen

Wenn ein Arzt einem Patienten Calcitriol verschreibt, gibt er üblicherweise auch bestimmte Ernährungshinweise, besonders bezüglich des Konsums kalziumreicher Speisen und Getränke. Diese Anweisungen sollten Patienten streng befolgen.

Die gleichzeitige Einnahme von entwässernden Medikamenten (Diuretika) kann den Kalziumspiegel im Blut zusätzlich ansteigen lassen. Besonders herzkranke Patienten, die mit Digitalisglykosiden (ein Herzmedikament) behandelt werden, müssen zu hohe Kalziumspiegel vermeiden, da diese zu schweren Herzrhythmusstörungen führen können.

Entzündungshemmende Glucocorticoide ("Cortison") hemmen die Wirkung von Calcitriol.

Bestimmte Wirkstoffe zur Cholesterinsenkung (Colestyramin, Sevelamer) können die Aufnahme von Calcitriol im Darm verhindern und sollten nötigenfalls mit grossem zeitlichem Abstand eingenommen werden.

Altersbeschränkung

Calcitriol kann, wenn es notwendig ist, schon im Säuglingsalter gegeben werden.

Sicherheit und Wirksamkeit von Calcitriol-Kapseln sind bei Kindern und Jugendlichen nicht ausreichend untersucht, um Dosierungsvorschläge geben zu können.

Für die Injektion sind die Daten bei Kindern unter neun Jahren oder unter Dialyse eingeschränkt. Der behandelnde Arzt wiegt hier die möglichen Vorteile gegen die Nachteile der Behandlung ab und passt die Dosierung individiduell anhand weiterer Blutwerte sowie des Körpergewichts an.

Sicherheit und Wirksamkeit der Calcitriol-Salbe gegen Schuppenflechte sind bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren nicht gesichert.

Schwangerschaft und Stillzeit

Es gibt keine Ergebnisse kontrollierter Studien zur Einnahme von Calcitriol in der Schwangerschaft und Stillzeit. Bisher gibt es jedoch auch keine Hinweise dafür, dass Calcitriol bei Schwangeren einen schädigenden Effekt auf das Ungeborene hätte. Der Wirkstoff sollte allerdings nur dann bei werdenden Müttern angewendet werden, wenn der Nutzen das mögliche Risiko überwiegt.

Vitamin D und seine Stoffwechselprodukte (darunter Calcitriol) gehen in die Muttermilch über. Deshalb sollte während der Stillzeit der Kalziumblutspiegel von Mutter und Säugling engmaschig überwacht werden, wenn die Mutter mit Calcitriol behandelt wird.

Bei lokal aufgetragenem Calcitriol ist die systemische (in den Körperkreislauf gelangende) Menge äusserst gering. Dennoch sollte die Salbe ausschliesslich nach ärztlicher Nutzen-Risiko-Abwägung und möglichst kleinflächig eingesetzt werden.

So erhalten Sie Medikamente mit Calcitriol

Calcitriol als Kapsel ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz in jeder Dosierung und Packungsgrösse verschreibungspflichtig. Präparate zur Injektion oder zum Auftragen auf die Haut (Salbe) sind lediglich in Deutschland und der Schweiz im Handel, jedoch nicht in Österreich.

Seit wann ist Calcitriol bekannt?

Die Aufdeckung des Vitamin D-Stoffwechsels begann bereits in den 1920er Jahren. Es dauerte aber bis in die 1970er Jahre, bis die aktivierte Form des Vitamins, das Calcitriol, entschlüsselt werden konnte. Dabei lieferten sich die beiden Forschungsgruppen um den amerikanischen Endokrinologen M. Holick und den Biochemiker A. Norman ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

1984 wurde in Deutschland das erste Arzneimittel mit dem Wirkstoff Calcitriol zugelassen; inzwischen gibt es mehrere Generika.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Benjamin Clanner-Engelshofen
Benjamin Clanner-Engelshofen

Benjamin Clanner-Engelshofen ist freier Autor in der NetDoktor-Medizinredaktion. Er studierte Biochemie und Pharmazie in München und Cambridge/Boston (USA) und merkte dabei früh, dass ihm die Schnittstelle zwischen Medizin und Naturwissenschaft besonders viel Spaß macht. Deshalb schloss er noch ein Studium der Humanmedizin an.

Quellen:
  • Aktories, K. et al.: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 11. Auflage, Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, 2013.
  • Fachinformation: Calcitriol, unter: www.fachinfo.de, (Abruf: 14.01.2022).
  • Karow, T. et Lang-Roth, R.: Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie, Thomas Karow Verlag, 29. Auflage, 2021.
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