Leuprorelin

Von , Apothekerin und Studentin der Humanmedizin
Anne Strehlau

Anne Strehlau studierte Pharmazie an der LMU München und war anschließend als Apothekerin in einer niedergelassenen Apotheke und am Uniklinikum der LMU tätig. Dabei merkte sie schnell, wie sehr sie die Schnittstelle zwischen Naturwissenschaften und Medizin interessiert, weshalb sie nun ergänzend das Studium der Humanmedizin absolviert. Seit Juni 2022 schreibt sie zudem für NetDoktor.

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Der Wirkstoff Leuprorelin verhindert die Bildung von Sexualhormonen im Körper. Das kann etwa bei der Behandlung von Krebs und Endometriose hilfreich sein. Ausserhalb seiner Zulassung kommt Leuprorelin manchmal bei Heranwachsenden zum Einsatz, die sich nicht mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren können und anhaltend darunter leiden (Geschlechtsdysphorie). Lesen Sie hier, wie Leuprorelin wirkt, wann und wie man es anwendet und welche Nebenwirkungen möglich sind!

Arzt bereitet Spritze vor

So wirkt Leuprorelin

Leuprorelin ist ein sogenanntes GnRH-Analogon. Das bedeutet: Es wirkt gleich („analog“) wie das körpereigene Hormon GnRH (Gonadotropin-Releasing-Hormon).

Der Hypothalamus produziert dieses Hormon ab der Pubertät und setzt es stossweise frei. Das freigesetzte GnRH bindet an seine Andockstellen (GnRH-Rezeptoren) an der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse). Daraufhin gibt diese sogenannte Gonadotropine ins Blut ab. Das sind die Hormone FSH (Follikelstimulierendes Hormon) und LH (Luteinisierendes Hormon).

FSH und LH steuern zahlreiche Sexualfunktionen im männlichen und weiblichen Körper. Unter anderem bewirken sie, dass die Hoden Testosteron und die Eierstöcke Östrogene produzieren.

Leuprorelin kann wie GnRH an die GnRH-Bindungsstellen andocken. Die Wirkung der Leuprorelin-Gabe hängt davon ab, wie häufig der Wirkstoff verabreicht wird:

Anfangs gesteigerte Hormonproduktion

Wird Leuprorelin einmalig oder stossweise gegeben, wirkt es wie das natürliche GnRH: Die Hirnanhangsdrüse schüttet mehr LH und FSH aus, woraufhin der Körper Geschlechtshormone bildet. Zu Beginn der Leuprorelin-Therapie steigt der Hormonspiegel daher zunächst an.

Ziel ist die Hemmung der Hormonproduktion

Verabreicht man Leuprorelin durchgehend über mehrere Wochen, aktiviert der Wirkstoff die GnRH-Rezeptoren im Körper dauerhaft. Durch die anhaltende Aktivierung verlieren sie an Empfindlichkeit. Mediziner sprechen hier von einer Down-Regulation der Rezeptoren.

Als Folge dieser Down-Regulation setzt die Hirnanhangsdrüse weniger LH und FSH frei - der Körper produziert weniger Testosteron beziehungsweise Östrogen.

Der resultierende Mangel an Sexualhormonen hat unterschiedliche Effekte im Körper:

  • Stopp der Pubertät: Geschlechtshormone steuern die Pubertätsentwicklung. Erhalten Kinder und Jugendliche Leuprorelin, verhindert der Wirkstoff das Einsetzen der Pubertät.
  • Hemmung des Tumorwachstums: Tumore, die zum Wachsen Testosteron / Östrogen benötigen, werden durch Leuprorelin ausgebremst.
  • Stopp von Endometriose-Herden: Leuprorelin senkt die Menge an Östrogenen im Körper, die normalerweise das Wachstum von Endometriose-Herden fördern.

Die Wirkung von Leuprorelin ist reversibel. Der Wirkstoff unterdrückt die Hormonproduktion, solange er im Körper vorhanden ist. Sobald Leuprorelin vollständig abgebaut ist, nimmt die Hirnanhangsdrüse ihre Funktion wieder auf - der Körper produziert wie gewohnt Sexualhormone.

Welche Nebenwirkungen hat Leuprorelin ?

Leuprorelin wird als Spritze verabreicht. Hinterher ist die Einstichstelle oft für kurze Zeit gerötet oder schmerzt.

Der durch Leuprorelin ausgelöste Mangel an Sexualhormonen erklärt einige Nebenwirkungen des Medikaments. Die Symptome ähneln den Beschwerden von Frauen in den Wechseljahren, denen ebenfalls ein Hormonmangel zugrunde liegt.

So sind Hitzewallungen und vermehrtes Schwitzen (Hyperhidrose) häufige Nebenwirkungen. Manche Patienten können auch schlechter schlafen, sind müde oder haben eine verminderte sexuelle Lust (Libido). Schwindel, Kopfschmerzen und depressive Verstimmungen kommen ebenfalls öfters vor.

Die Geschlechtshormone sind auch wichtig für den Knochenaufbau. Nebenwirkungen wie Gelenk- und Knochenschmerzen sowie Knochenschwund (Osteoporose) sind insbesondere bei längerer Anwendung möglich.

Juckende und trockene Haut sowie eine veränderte Körperbehaarung sind ebenfalls mögliche Nebenwirkungen von Leuprorelin. Vor allem Frauen und Kinder entwickeln zudem oft Akne.

Die Therapie mit Leuprorelin verändert womöglich die Blutwerte. Beispielsweise können die Leberwerte (Transaminase-Werte wie zum Beispiel GOT) ansteigen. Es kann sich auch ein Mangel an roten Blutkörperchen und damit eine Blutarmut (Anämie) entwickeln. In der Regel normalisieren sich die Blutwerte wieder nach Absetzen von Leuprorelin.

Einige Patienten berichten über Magen-Darm-Beschwerden in Form von Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall.

Leuprorelin steigert häufig den Appetit. Während der Therapie kann man daher an Gewicht zulegen. Gelegentlich haben Patienten aber auch weniger Appetit und nehmen ab.

Oft nehmen Patienten unter Leuprorelin einen schnelleren Herzschlag oder Herzstolpern wahr. Höherer Blutdruck und Nasenbluten sind ebenfalls häufige Nebenwirkungen von Leuprorelin.

Der Hormonmangel verschlechtert möglicherweise bestehende Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes. Während der Behandlung mit Leuprorelin untersucht der Arzt Risiko-Patienten daher regelmässig und kontrolliert zum Beispiel die Blutzuckerwerte.

Während der Leuprorelin-Therapie steigt vereinzelt der Hirndruck ohne erkennbare Ursache. Mediziner sprechen auch von einer sogenannten idiopathischen intrakraniellen Hypertension. Betroffene haben starke Kopfschmerzen, sehen verschwommen oder doppelt oder hören ein Klingeln in den Ohren (Tinnitus).

Lassen Sie solche Beschwerden umgehend ärztlich untersuchen! Falls tatsächlich ein gesteigerter Hirndruck dahinter steckt, kann er so frühzeitig erkannt werden.

Weitere Nebenwirkungen bei Männern

Durch die Hormonschwankungen wächst die männliche Brust oft verstärkt (Gynäkomastie) oder es entwickeln sich Potenzstörungen.

Zudem tritt bei Männern mit Prostatakrebs zu Beginn der Therapie häufig ein sogenanntes Flare-Up-Phänomen auf:

Die anfängliche Erhöhung des Testosteronspiegels verschlechtert womöglich die Beschwerden der Tumorerkrankung wie Knochenschmerzen oder blockierte Harnwege. Meist verabreichen Mediziner deshalb in den ersten Wochen zusätzliche Medikamente, um diese Nebenwirkungen zu verhindern.

Weitere Nebenwirkungen bei Frauen

Bei Frauen steigt unter Leuprorelin zunächst der Östrogenspiegel an. Das verursacht manchmal Eierstockzysten oder Knochenschmerzen.

In den ersten Wochen treten zudem häufig Blutungen auf. Im weiteren Verlauf der Leuprorelin-Therapie bleibt die Regelblutung aus (Amenorrhoe).

Manche Frauen leiden unter Schmierblutungen oder Scheidenentzündungen. Ausserdem kann sich die Grösse der Brust verändern.

Bei Mädchen können während der ersten beiden Therapiemonate Scheidenblutungen auftreten. Bestehen die Beschwerden über diesen Zeitraum hinaus, reicht die Leuprorelin-Dosis womöglich nicht aus. Informieren Sie in diesem Fall zeitnah Ihren Arzt oder Ihre Ärztin und lassen Sie die Beschwerden abklären.

Wenden Sie sich an Ihren Arzt, wenn Sie während der Anwendung von Leuprorelin Nebenwirkungen bemerken oder vermuten. Er bespricht mit Ihnen das weitere Vorgehen und verordnet möglicherweise Medikamente gegen die Beschwerden.

So wird Leuprorelin angewendet

Leuproreliner ist entweder als Lösung oder in Form eines kleinen Stäbchens (Implantat) erhältlich. Beide Darreichungsformen werden als Spritze verabreicht, und zwar in der Regel im Abstand von einem bis sechs Monaten.

Bei Patientinnen mit gutartigen Tumoren der Gebärmutter (Uterus-Myomen) verordnen Mediziner Leuprorelin insgesamt für maximal sechs Monate. Das Gleiche gilt bei Frauen mit Endometriose.

In Einzelfällen verlängern Mediziner die Therapie auf bis zu zwölf Monate, wenn die Patientinnen gleichzeitig eine sogenannte Add-Back-Therapie erhalten. Das bedeutet, sie nehmen zusätzlich Medikamente mit Calcium und Östrogenen oder Gestagenen ein.

Will man mit Leuprorelin die Gebärmutterschleimhaut vor operativen Eingriffen abflachen, verabreichen Mediziner den Wirkstoff etwa fünf bis sechs Wochen vor der Operation.

Depot-Spritze

Mediziner spritzen die Leuprorelin-Lösung unter die Haut (subkutan) oder in den Muskel (intramuskulär), zum Beispiel am Bauch oder Oberschenkel. Im Gewebe verfestigt sich die Flüssigkeit und bildet ein sogenanntes Arzneimitteldepot.

Das Depot setzt gleichmässig Leuprorelin frei. Je nach Präparat erhalten Patienten im Abstand von einem bis mehreren Monaten eine erneute Dosis.

Implantat

Mediziner schieben das Leuprorelin-haltige Stäbchen mit Hilfe einer Spritze unter die Bauchhaut des Patienten. Das Implantat setzt dann über drei Monate lang Leuprorelin frei.

Da Leuprorelin zu Beginn die Sexualhormonspiegel im Blut steigert, verordnen Mediziner manchmal weitere Wirkstoffe, um Nebenwirkungen des anfänglichen Hormonanstiegs zu lindern.

Wann wird Leuprorelin eingesetzt?

Zu den Anwendungsgebieten von Leuprorelin gehören:

  • hormonabhängiger Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium
  • hormonabhängiger Brustkrebs
  • Endometriose
  • vorzeitige Pubertät (Pubertas praecox) bei Mädchen und Jungen
  • Abflachung der Gebärmutterschleimhaut vor geplanten Eingriffen wie einer Gebärmutterspiegelung (zugelassene Anwendung in Österreich und Deutschland)
  • Verkleinerung von gutartigen Tumoren (Myome) der Gebärmutter (zugelassene Anwendung in Österreich und Deutschland)

In Deutschland verwenden Mediziner Leuprorelin zudem auch zur Diagnostik: Sie verabreichen manchen Prostatakrebs-Patienten den Wirkstoff, um zu prüfen, ob der Tumor hormonabhängig wächst.

Ausserhalb der Zulassung (off-label) setzen Mediziner Leuprorelin manchmal als Pubertätsblocker bei Heranwachsenden mit einer Geschlechtsdysphorie ein.

Wann sollte man Leuprorelin nicht anwenden?

In bestimmten Fällen dürfen keine Leuprorelin-Medikamente angewendet werden:

  • Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff, anderen Wirkstoffe aus der Gruppe der GnRH-Analoga/-Derivate oder sonstigen Bestandteilen des Arzneimittels
  • Tumore, die nicht hormonabhängig wachsen
  • männliche Patienten nach der Entfernung beider Hoden (chirurgische Kastration). In diesem Fall kann Leuprorelin den Testosteronspiegel nicht weiter absenken.
  • weibliche Patientinnen in der Schwangerschaft, Stillzeit oder mit ungeklärten Scheidenblutungen
  • als alleinige Behandlung von Prostatakrebs mit nachgewiesener Rückenmarksquetschung oder Wirbelsäulenmetastasen
  • bösartige (maligne) Veränderungen der Gebärmutterschleimhaut oder Vorstufen davon

Diese Wechselwirkungen können bei Leuprorelin auftreten

Wechselwirkungen von Leuprorelin mit anderen Arzneimitteln sind nur wenig untersucht und bisher keine bekannt.

Der dauerhafte Mangel an männlichen Geschlechtshormonen (Androgenen) verändert womöglich die Reizleitung des Herzens und verlängert das sogenannte QT-Intervall (ein bestimmter Zeitabschnitt im EKG).

Deshalb sollte man zeitgleich keine Wirkstoffe anwenden, die ebenfalls die QT-Zeit verlängern oder bestimmte Herzrhythmusstörungen (Torsades-de-pointes-Tachykardien) auslösen. Einige Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen (Antiarrhythmika) oder Fluorchinolon-Antibiotika wie Moxifloxacin sind Beispiele für solche Wirkstoffe.

Informieren Sie Ihren Arzt und Apotheker über Ihre Behandlung mit Leuprorelin, bevor Sie neue Medikamente erhalten. Dann lassen sich mögliche Wechselwirkungen im Vorfeld abschätzen.

Leuprorelin bei Kindern: Was ist zu beachten?

Um eine vorzeitige Pubertät (Pubertas praecox) vorübergehend zu stoppen, können Mediziner Leuprorelin Mädchen unter neun Jahren und Jungen unter zehn Jahren verschreiben. Dabei passen sie die Dosierung individuell und an das Körpergewicht des Kindes an.

Kinder und Jugendliche mit einer Geschlechtdysphorie können Leuprorelin ausserhalb der Zulassung (off-label) erhalten. Wie häufig und für wie lange sie den Wirkstoff bekommen, entscheiden die behandelnden Mediziner im Einzelfall.

Leuprorelin: Schwangerschaft und Stillzeit

Vor der Behandlung mit Leuprorelin ist eine Schwangerschaft auszuschliessen. Schwangere und stillenden Patientinnen dürfen Leuprorelin nicht erhalten.

Wenn Sie Leuprorelin anwenden und schwanger werden oder eine Schwangerschaft planen, sollten Sie sich umgehend an Ihren Arzt oder Ihre Ärztin wenden, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

So erhalten Sie Medikamente mit Leuprorelin

Leuprorelin-Medikamente sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz rezeptpflichtig. In der Regel werden sie durch medizinisches Fachpersonal in Kliniken und Arztpraxen verabreicht.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Anne Strehlau
Anne Strehlau

Anne Strehlau studierte Pharmazie an der LMU München und war anschließend als Apothekerin in einer niedergelassenen Apotheke und am Uniklinikum der LMU tätig. Dabei merkte sie schnell, wie sehr sie die Schnittstelle zwischen Naturwissenschaften und Medizin interessiert, weshalb sie nun ergänzend das Studium der Humanmedizin absolviert. Seit Juni 2022 schreibt sie zudem für NetDoktor.

Quellen:
  • Aktories, K. et al.: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH München, 11. Auflage, 2013
  • Fachinformationen zu Leuprorelin (Deutschland), unter: www.fachinfo.de (Abrufdatum: 24.03.2023)
  • Fachinformationen zu Leuprorelin (Österreich), unter: https://aspregister.basg.gv.at (Abrufdatum: 24.03.2023)
  • Fachinformationen zu Leuprorelin (Schweiz), unter: www.swissmedicinfo.ch (Abrufdatum: 24.03.2023)
  • Geisslinger G. et al.: Mutschler Arzneimittelwirkungen - Pharmakologie, Klinische Pharmakologie, Toxikologie, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 11. Auflage, 2020
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