Ivermectin

Von , (Bio-)Chemiker
Dr. Maximilian Reindl

Maximilian Reindl studierte Chemie und Biochemie an der LMU in München und ist seit Dezember 2020 Mitglied der NetDoktor-Redaktion. Er arbeitet sich für Sie in medizinisch-naturwissenschaftliche und gesundheitspolitische Themen ein, um diese gut verständlich und nachvollziehbar aufzubereiten.

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Ivermectin ist ein Medikament gegen bestimmte parasitäre Infektionskrankheiten. Ärzte setzen es hierfür seit langem bei Mensch und Tier ein. Zudem wirkt es bei der Hautkrankheit Rosacea. Auf der Suche nach Covid-19-Medikamenten rückte Ivermectin erneut in den Fokus der Forschung. Dabei zeichnet sich ab: Es ist kein Wundermittel gegen das Coronavirus. Lesen Sie hier, warum dem so ist, wogegen Ivermectin sicher hilft und welche Nebenwirkungen auftreten können.

Schematische Darstellung von Ivermectin.

Was ist Ivermectin?

Ivermectin ist ein verschreibungspflichtiges Medikament vor allem gegen Krankheiten, die durch Parasiten wie Milben, Läuse oder Fadenwürmer entstehen. Es gehört damit zu den Wurmmitteln (Anthelminthika). Ivermectin wirkt sowohl bei Menschen als auch bei Tieren. Mit dem Arzneistoff behandeln Ärzte aber nicht nur Parasiten-bedingte Erkrankungen wie Skabiose oder Filariose. Den Arzneistoff setzen Ärzte auch bei der Hautkrankheit Rosacea ein.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt Ivermectin in der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel auf. Als chemische Verbindung zählt Ivermectin zu den Avermectinen. Dabei handelt es sich um Substanzen, die von speziellen Bakterien stammen (Streptomyces avermitilis). Durch eine chemische Veränderung entsteht schliesslich Ivermectin.

Welche Nebenwirkungen hat Ivermectin?

In der üblichen Dosierung sind Nebenwirkungen durch Ivermectin-Tabletten selten. Meist treten sie vorübergehend auf und dauern nur kurze Zeit an.

Die typischen Nebenwirkungen umfassen:

Bei einer längeren Einnahmedauer kann sich Ivermectin in verschiedenen Organsystemen anreichern und etwa Leber oder Nieren schädigen.

Ausserdem birgt eine Überdosierung von Ivermectin grosse gesundheitliche Risiken! Dann drohen neurologische Komplikationen wie etwa Koordinations- und Bewegungsstörungen, verschwommene Sicht, ausgeprägte Atembeschwerden, Bewusstlosigkeit, Koma oder sogar Tod.

Ivermectin als Creme ruft ebenfalls nur selten Nebenwirkungen hervor. Etwa ein Prozent der Patienten beklagen dann beispielsweise eine brennende, trockene oder juckende Haut. Für gewöhnlich sind diese Beschwerden aber nur leicht bis mässig ausgeprägt und bessern sich im Laufe der Behandlung.

Hilft Ivermectin gegen Corona?

Ivermectin ist kein Wundermittel gegen das Coronavirus und Covid-19. Das zeichnet sich anhand der bislang erhobenen Daten ab. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA etwa spricht sich dagegen aus, das Mittel aktuell gegen Covid-19 einzusetzen. Demnach solle Ivermectin allein in klinischen Studien weitergehend untersucht werden. So sieht es auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Robert Koch-Institut (RKI).

Die Universität Oxford versucht derzeit, belastbare Daten in der PRINCIPLE-Studie zu erheben. Teilnehmer sind vorerkrankte und/oder ältere Personen, die an Covid-19 erkrankten. Das zentrale Einschlusskriterium ist, dass Patienten zwar typische Covid-19-Symptome zeigen, jedoch nicht im Krankenhaus behandelt werden müssen. Die Studie soll mitunter zeigen, ob Ivermectin die Genesungszeit, die Symptomatik oder die Hospitalisierungsrate positiv beeinflusst.

Bisherige Untersuchungen haben eine eingeschränkte Aussagekraft, da deren Ergebnisse widersprüchlich und teils schwer miteinander vergleichbar sind. Dabei ergaben sich vereinzelt Hinweise auf eine geringe oder zumindest theoretische Wirkung von Ivermectin:

Molekülsimulations-Studien: Computerbasierte (in silico) Studien deuten an, dass Ivermectin mit einigen Eiweissmolekülen des Coronavirus wechselwirken könnte. Dies ist unter anderem die 3CL-Protease, mit deren Hilfe sich die Viren vermehren. Würde dieses Enzym blockiert, könnte das die Sars-CoV-2-Replikation bremsen. Allerdings sind solche Studien nicht ohne weiteres auf Menschen übertragbar, da sie wichtige Faktoren wie etwa die tatsächliche Verteilung des Wirkstoffs im Körper des Menschen nicht abbilden (bspw.: Bioverfügbarkeit).

Antiviraler Effekt: Laborversuche zeigten einen gewissen antiviralen Effekt von Ivermectin gegen Sars-CoV-2. Allerdings scheinen dafür sehr hohe Konzentrationen vonnöten zu sein. Diese wären für den Menschen höchstwahrscheinlich enorm giftig.

Anti-entzündliche Wirkung: In späten Phasen der Krankheit haben Mediziner vereinzelt beobachtet, dass Ivermectin den Krankheitsverlauf (leicht) positiv beeinflussen könnte. Möglicherweise mildert Ivermectin hier eine überschiessende Reaktion des Immunsystems. Forscher vermuten, dass Ivermectin unter anderem die Produktion von bestimmten (entzündungsfördernden) Botenstoffen hemmt. Ähnliche Effekte beobachteten sie auch in zurückliegenden Tierversuchen. Für sichere Erkenntnisse sind weitere Studien notwendig.

Dass Ivermectin gegen eine Infektion mit Sars-CoV-2 nutzt oder gegen Covid-19 hilft, ist derzeit nicht erwiesen. Vielmehr drohen bei einer unkontrollierten Einnahme schwere Schäden. Ivermectin sollte daher nur im Rahmen von klinischen Studien unter ärztlicher Betreuung eingenommen werden.

Wie wirkt Ivermectin?

Ivermectin wirkt auf Nerven- und Muskelzellen wirbelloser Organismen ein. Konkret bindet es an Glutamat- und Gamma-Aminobuttersäure (GABA)-gesteuerte Chlorid-Kanäle. Das stört die Weiterleitung elektrischer Impulse. So lähmt Ivermectin die Parasiten, die daraufhin sterben.

Darüber hinaus wirkt Ivermectin gegen deren abgelegte Insekteneier: Es hindert die Nachkommen am Schlüpfen im Wirtsorganismus oder tötet sie direkt ab (Ovizid).

Ivermectin kann in der zugelassenen Dosierung die Blut-Hirn-Schranke des Menschen kaum passieren. Die Funktion des menschlichen Gehirns, des Rückenmarks und der Nervenbahnen wird bei korrekter Anwendung also nicht beeinträchtigt.

Wie Ivermectin bei der Hautkrankheit Rosacea wirkt, ist nicht sicher bekannt. Experten vermuten entzündungshemmende Eigenschaften (siehe oben, gedrosselte Produktion entsprechender Botenstoffe). Möglicherweise steckt auch dahinter, dass Ivermectin Haarbalgmilben abtötet. Diese Tierchen leben bei fast jedem Menschen auf der Haut beziehungsweise in den Haarfollikeln. Sie sind eigentlich harmlos. Bei Patienten mit Rosacea besiedeln sie die Haut besonders dicht und begünstigen vermutlich die Erkrankung.

Wann verordnen Ärzte Ivermectin?

Anfangs nur bei Tieren eingesetzt, wurde Ivermectin in den späten 1980er-Jahren erstmals als Arzneimittel für Menschen zugelassen. Mittlerweile setzen Ärzte den Wirkstoff ein, um vor allem verschiedene parasitäre Infektionskrankheiten zu behandeln:

Filariose: Die Filariose umfasst mehrere Erkrankungen durch bestimmte Fadenwürmer, die Filarien. Bekannte Beispiele sind die Flussblindheit (Onchozerkiasise) oder die lymphatische Filariose. Sie treten vor allem in tropischen Regionen auf. Dort übertragen Mücken oder Bremsen beim Stechen die Parasiten auf den Menschen. Mehr dazu lesen Sie in unserem Beitrag Filariose.

Trichuriasis: Der Erreger der Trichuriasis ist auch als Peitschenwurm (Trichuris trichiura) bekannt, der in den feuchtwarmen Böden tropischer und subtropischer Länder leben kann. Bei Kontakt mit dem Parasiten durchbohren Larven die Haut, werden mit der Nahrung oder durch kontaminiertes Trinkwasser aufgenommen. In den Verbreitungsgebieten beobachten Ärzte einen Zusammenhang zwischen einer (chronischen) Trichuriasis-Infektion und Wachstums- beziehungsweise Entwicklungshemmungen bei betroffenen Kindern.

Ascariasis: Der Auslöser der Ascariasis zählt ebenfalls zu den Fadenwürmern (Nematoda). Sie sind weltweit in tropischen und subtropischen Gebieten verbreitet – in Deutschland jedoch selten. Der Haupt- als auch Endwirt ist der Mensch. Eine Infektion erfolgt meist durch kontaminiertes Wasser oder verunreinigte Lebensmittel. Mehr dazu lesen Sie in unserem Beitrag Spulwürmer.

Strongyloidiasis (Anguillulosis): Ivermectin hilft auch bei einer Infektion mit dem Zwergfadenwurm (Strongyloides stercoralis). Die Ansteckung erfolgt in der Regel durch Schmierinfektion. Zunächst durchbohren und entzünden die Wurmlarven die Haut. Während sie ausreifen, wandern die Parasiten über die Lungen (Husten, selten blutig) in den Rachen. Von dort gelangen sie in den Verdauungstrakt, wo sie Übelkeit, Durchfall oder Verstopfung hervorrufen. Im Dünndarm produzieren die reifen Würmer schliesslich Eier, die Betroffene über den Stuhl ausscheiden.

Skabiose (Skabies): Diese Infektionskrankheit entsteht durch die Krätzmilbe (Sarcoptes scabiei). Betroffene haben typische Ausschläge und einen starken Juckreiz. Ivermectin-Tabletten setzen Ärzte vor allem dann ein, wenn die Krankheit sehr ausgeprägt ist oder häufig wiederkehrt. Alles Wichtige dazu lesen Sie in unserem Beitrag Krätze.

Pedikulose: Ivermectin kann beispielsweise auch bei Kopfläusen (Pediculus humanus capitis) helfen. Das zeigen mehrere Studien. Eine offizielle Zulassung hierfür besitzt das Mittel aber nicht.

Darüber hinaus verwenden Ärzte Ivermectin in Einzelfällen auch bei der entzündlichen Hauterkrankung Rosacea. Sie betrifft meist das Gesicht und zeigt sich anfangs durch Hautrötungen und feine erweiterte Gefässe. Ivermectin kommt hier als Creme zum Einsatz.

In der Schweiz ist Ivermectin nur zur Rosacea-Behandlung zugelassen, hingegen nicht als Parasitenmittel wie in Deutschland oder Österreich.

Wie wird Ivermectin angewendet?

Gegen Parasiten nehmen Patienten Ivermectin üblicherweise einmalig in Tablettenform ein. Die genaue Dosis richtet sich dabei nach dem Körpergewicht.

Für die Rosacea ist das Mittel lokal als Creme verfügbar. Diese tragen die Patienten meist einmal täglich auf das betroffene Areal der Haut auf. Die Behandlung erstreckt sich meist über einige Monate.

Schwangerschaft und Stillzeit

Es ist unklar, wie sicher Ivermectin für Schwangere ist. Tierversuche deuten darauf hin, dass es Fehlbildungen hervorruft und dem Ungeborenen schadet. Gesicherte Erkenntnisse beim Menschen liegen nicht vor. Aus sehr begrenzten Erfahrungen haben sich bislang keine schwerwiegenden Auswirkungen ergeben.

Da Ivermectin sehr gut fettlöslich ist, kann die Substanz beim Stillen in die Muttermilch übergehen. Ärzte verordnen das Mittel daher nur, wenn es sicher mehr nutzt als dem Kind möglicherweise schadet.

Wann sollten Sie Ivermectin nicht einnehmen?

Ivermectin dürfen Patienten nicht einnehmen, wenn sie das Medikament bekanntermassen nicht vertragen.

Es liegen derzeit keine Studien zu möglichen Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln vor. Allerdings wird Ivermectin über die Leber abgebaut. Vorsicht geboten ist daher bei der gleichzeitigen Einnahme etwa von bestimmten Antibiotika (wie Ciprofloxacin, Erythromycin) oder einigen Herzmedikamenten (bspw. Verapamil). Diese hemmen die Verstoffwechselung in der Leber (über sogenannte CYP3A4-Enzyme). Dadurch steigt das Risiko für Nebenwirkungen.

Die Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit wurden nicht systematisch untersucht. Manche Patienten könnten durch Ivermectin vorübergehend Schwindel oder Müdigkeit entwickeln. Das wiederum kann die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen.

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:

Maximilian Reindl studierte Chemie und Biochemie an der LMU in München und ist seit Dezember 2020 Mitglied der NetDoktor-Redaktion. Er arbeitet sich für Sie in medizinisch-naturwissenschaftliche und gesundheitspolitische Themen ein, um diese gut verständlich und nachvollziehbar aufzubereiten.

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