Fentanyl

Von , Apotheker, Arzt
Benjamin Clanner-Engelshofen

Benjamin Clanner-Engelshofen ist freier Autor in der NetDoktor-Medizinredaktion. Er studierte Biochemie und Pharmazie in München und Cambridge/Boston (USA) und merkte dabei früh, dass ihm die Schnittstelle zwischen Medizin und Naturwissenschaft besonders viel Spaß macht. Deshalb schloss er noch ein Studium der Humanmedizin an.

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Der Wirkstoff Fentanyl gehört zu den wichtigsten Mitteln gegen starke bis sehr starke Schmerzen. Er ist etwa 125-mal stärker wirksam als Morphin. Anwendung findet Fentanyl besonders bei Durchbruchschmerzen im Zuge einer Krebserkrankung sowie starken chronischen Schmerzen. Dafür stehen unterschiedliche Darreichungsformen wie Nasenspray, Lutschtabletten und Pflaster zur Verfügung. Hier lesen Sie alles Wichtige zu Fentanyl, Dosierung, Wirkung und Anwendung.

Krankenschwester setzt Injektion in Katheter

So wirkt Fentanyl

Fentanyl ist ein stark schmerzstillender (analgetischer) Wirkstoff aus der Gruppe der Opioide. Seine analgetische Potenz beträgt ungefähr das 125-Fache von Morphin.

Die Nerven im Körper leiten Reize, darunter auch Schmerzreize, von fast jeder Stelle des Körpers zum zentralen Nervensystem (= Gehirn und Rückenmark). Die Intensität des Reizes ist dabei abhängig vom Auslöser und von dem Level an Endorphinen. Das sind natürliche Hormone, welche die Schmerzwahrnehmung reduzieren. Bei einem hohen Endorphin-Spiegel im Körper werden Schmerzen weniger stark wahrgenommen. Der gleiche Effekt, also eine reduzierte Schmerzwahrnehmung, lässt sich mit Opiaten und Opioiden erzielen.

Opiate sind natürlich in der Mohnpflanze vorkommende Stoffe, die das Schmerzempfinden hemmen. Opioide sind nach dem Vorbild der Opiate chemisch-synthetisch hergestellte Stoffe, die den gleichen schmerzstillenden Wirkmechanismus aufweisen wie Opiate.

Fentanyl ist ein solches Opioid. Es gelangt nach der Aufnahme in den Körper schnell durch die Blut-Hirn-Schranke ins zentrale Nervensystem. Es kann hier an spezifischen Andockstellen, den Opioid-Rezeptoren, die Weiterleitung von Schmerzreizen hemmen. Das Gehirn nimmt den Schmerz folglich nicht mehr wahr.

Wirkungseintritt hängt von Darreichungsform ab

Da Fentanyl eine stark schmerzhemmende Wirkung hat, sind davon nur sehr kleine Mengen nötig, um effektiv den Schmerz zu unterdrücken. Das ermöglicht eine Vielzahl von Darreichungsformen, die allesamt unterschiedlich schnell den Wirkstoff in den Körper befördern.

Am schnellsten wirksam sind Fentanyl-Injektionen (Spritzen). Danach folgen Darreichungsformen, bei denen der Wirkstoff über die Mund- oder Nasenschleimhaut aufgenommen wird, wie Lutschtabletten und Nasenspray (Wirkungseintritt innerhalb von Minuten).

Wird Fentanyl in Form eines Pflasters auf die Haut aufgeklebt, tritt die Wirkung am langsamsten ein (erst nach mehreren Stunden).

Aufnahme, Abbau und Ausscheidung

Die Menge an Fentanyl, die in den Körper gelangt, hängt - ähnlich wie der Wirkungseintritt - von der Darreichungsform (Lutschtablette, Nasenspray, Pflaster etc.) ab. So werden über die Mundschleimhäute lediglich 5 Prozent des applizierten Wirkstoffes aufgenommen, während es bei oraler Einnahme etwa 70 Prozent sind.

Im Körper wird Fentanyl nach der Aufnahme grösstenteils in der Leber zu unwirksamen Abbauprodukten verstoffwechselt und danach mit dem Urin ausgeschieden. Circa drei bis zwölf Stunden nach Aufnahme ist das Schmerzmittel zur Hälfte ausgeschieden (Halbwertszeit).

Bei Darreichungsformen mit langsamer Wirkstofffreisetzung (Retard-Präparate) sowie Fentanyl-haltigen Pflastern ist diese Zeitspanne entsprechend länger, bei Infusionen oder Injektionen vergleichsweise kürzer.

Wann wird Fentanyl eingesetzt?

Schnell wirksame Darreichungsformen (wie Fentanyl-Nasenspray, -Lutschtablette/-Lutscher oder -Injektionen) werden zur Behandlung von starken und stärksten Schmerzen eingesetzt, wie sie beispielsweise bei Tumorerkrankungen oder Intensivpatienten auftreten (Durchbruchschmerzen). 

Darüber hinaus wird Fentanyl vor Operationen zur Anästhesie in Verbindung mit weiteren Wirkstoffen eingesetzt. Die Anwendung erfolgt in solchen Fällen nur kurzfristig.

Langsam freisetzende Darreichungsformen wie Fentanyl-Pflaster werden zur Behandlung chronischer starker Schmerzen eingesetzt, die sich nur mit Hilfe von Opioid-Schmerzmitteln ausreichend behandeln lassen. Die Anwendung erstreckt sich hier meist über einen längeren Zeitraum.

So wird Fentanyl angewendet

Bei schnell wirkenden Darreichungsformen (Spritzen, Nasenspray etc.) wird die Fentanyl-Dosierung vom Arzt individuell festgelegt. Begonnen wird mit einer niedrigen Dosis, die dann allmählich gesteigert wird, bis eine ausreichende Schmerzstillung erreicht ist. Diese festgelegte Dosierung wird dann jeweils bei akuten Schmerzen verabreicht.

Bei der Behandlung von chronischen Schmerzen mit einem Fentanyl-Pflaster wird die ausgewählte Hautstelle (unrasiert, unverletzt) vor dem Aufkleben mit sauberem Wasser gereinigt und gut abgetrocknet. Etwaige Haar können mit einer Schere vorsichtig abgeschnitten werden.

Danach zieht man die Schutzfolie vom Pflaster ab und klebt das Pflaster auf die gewünschte Hautstelle (dabei für 30 Sekunden leicht andrücken). Es setzt dann für meist drei Tage konstant das Schmerzmittel frei. Danach ist bei Bedarf ein neues Pflaster an einer anderen Hautstelle aufzukleben.

Beim Abziehen des alten Pflasters muss genau darauf geachtet werden, dass keine Reste des Pflasters auf der Haut kleben bleiben. Auf der betreffenden Hautstelle kann frühestens nach einer Woche wieder ein Fentanyl-Pflaster aufgeklebt werden.

Nach dem Abziehen wird das Pflaster ordnungsgemäss entsorgt (wie vom Arzt oder Apotheker erklärt). Da auch gebrauchte Pflaster noch Wirkstoff enthalten, ist dieser Schritt wichtig, damit keine unbeteiligten Personen damit in Kontakt kommen (z.B. kleine Kinder).

Das Fentanyl-Pflaster sollte nicht vor Ablauf von 48 Stunden abgenommen und durch ein neues ersetzt werden, weil es sonst vermehrt zu Nebenwirkungen kommen kann. Das Pflaster darf zur Verringerung der Dosis nur auf ausdrückliche Anweisung des Arztes geteilt werden. Wenn Sie das Gefühl hat, die Wirkung ist zu stark, sollten Sie mit Ihrem Arzt sprechen.

Welche Nebenwirkungen hat Fentanyl?

Die Nebenwirkungen hängen stark mit der Wirkungsweise der Substanz zusammen und sind deswegen auch dosisabhängig. Bei niedrigen Dosen treten oft keine oder nur geringe Nebenwirkungen auf. Mit steigender Dosis werden sie umso ausgeprägter.

Bei mehr als jedem zehnten Behandelten ruft Fentanyl Benommenheit, Schläfrigkeit, Schwindel, Pupillenverengung, einen verlangsamten Herzschlag, Blutdruckabfall, Übelkeit und Erbrechen hervor. Diese unerwünschten Wirkungen sind besonders zu Beginn der Therapie zu erwarten.

Ausserdem treten bei jedem zehnten bis hundertsten Behandelten Nebenwirkungen wie Schwitzen, Ausschlag, Juckreiz, zentrale Dämpfung, Verwirrtheit, Sehstörungen, Herzrhythmusstörungen, Atemreflexdämpfung, Verdauungsstörungen (wie Verstopfung) und Harnverhalt auf.

Zudem sind beim Fentanyl-Pflaster Nebenwirkungen wie Hautreaktionen an der Klebestelle des Pflasters möglich.

Was ist bei der Anwendung von Fentanyl zu beachten?

Wechselwirkungen

Werden zusätzlich zu Fentanyl noch andere zentral dämpfende Wirkstoffe eingenommen, können sich die Effekte gegenseitig steigern. So sollte beispielsweise die Einnahme von Beruhigungsmitteln wie Diazepam, Antipsychotika wie Droperidol oder alkoholhaltiger Getränke vermieden werden.

Beachten Sie, dass Alkohol in Verbindung mit Fentanyl die Reaktionsfähigkeit im Strassenverkehr deutlich einschränken kann.

Abgeraten wird auch von der gleichzeitigen Einnahme von Medikamenten, die den Spiegel des Nervenbotenstoffes Serotonin beeinflussen. Dazu gehören etwa Antidepressiva (MAO-Hemmer, SSRI), Migränemittel wie Sumatriptan und Serotonin-Vorstufen wie Tryptophan. Bei gleichzeitiger Anwendung solcher Wirkstoffe und Fentanyl kann es zu einem sogenannten Serotonin-Syndrom kommen (schneller Pulsschlag, Schwitzen, Halluzinationen, Krämpfe etc.).

Fentanyl wird in der Leber über das sogenannte Cytochrom P450 3A4 Enzym (CYP3A4) verstoffwechselt. Bei Anwendung weiterer Arzneistoffe, die über dasselbe Enzym abgebaut werden, kann es notwendig sein, dass der behandelnde Arzt die Fentanyl-Dosierung erhöht oder verringert.

Eine Dosissteigerung kann zum Beispiel erforderlich sein bei bestimmten Mitteln gegen Krampfanfälle (Carbamazepin, Phenytoin, Valproat). Dagegen können etwa Ritonavir (HIV-Mittel) und Clonidin (etwa bei Bluthochdruck und Herzrasen) eine Verringerung der Fentanyl-Dosierung notwendig machen.

Sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Apotheker vor der Einnahme weiterer Medikamente, wenn Sie bereits Fentanyl anwenden.

Alterseinschränkung

Fentanyl zur intravenösen Anwendung ist bereits ab einem Alter von einem Jahr zugelassen. Fentanyl-haltige Pflaster dürfen bei Patienten ab zwei Jahren angewendet werden.

Lutschtabletten und Lutschtabletten mit Applikator zur Anwendung in der Mundhöhle (Fentanyl-Stick) sind erst ab 16 Jahren, Buccaltabletten (zum Einlegen in die Wange, wo der Wirkstoff über die Schleimhaut aufgenommen wird) und Nasenspray ab 18 Jahren zugelassen.

Bei älteren Patienten und Patienten mit Leber- oder Nierenleiden können der Abbau und die Ausscheidung von Fentanyl verlangsamt sein. Daher muss in diesen Fällen oft die Dosierung verringert werden.

Schwangerschaft und Stillzeit

In der Schwangerschaft sollte Fentanyl wegen mangelnder Daten nicht angewendet werden, da es die Plazenta überwindet. Bis dato gibt es allerdings keine Hinweise auf eine fruchtschädigende Wirkung.

Bei entsprechender Indikation kann Fentanyl deshalb während der gesamten Schwangerschaft angewendet werden. Wird Fentanyl kurz vor der Entbindung verabreicht, sind Nebenwirkungen wie Atemdepression und Anpassungstörungen beim Säugling möglich.

Fentanyl tritt in geringen Mengen in die Muttermilch über. Über unerwünschte Effekte beim gestillten Säugling wurde bisher allerdings nichts berichtet. Daher wird eine Unterbrechung des Stillens nicht mehr empfohlen, wenn die Mutter mit Fentanyl behandelt werden muss.

So erhalten Sie Medikamente mit Fentanyl

Fentanyl ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz in jeder Dosierung und Darreichungsform verschreibungspflichtig. Zudem gilt es als Betäubungsmittel und unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz (Deutschland und Schweiz) beziehungsweise dem Suchtmittelgesetz (Österreich).

Der Arzt muss es also auf einem besonderen Rezept verordnen. Wer Fentanyl auf Reisen mitführen möchte (besonders solchen ins Ausland), sollte sich vorher eine Bescheinigung vom Arzt ausstellen lassen, die den rechtmässigen Besitz des Betäubungsmittels bestätigt.

Seit wann ist Fentanyl bekannt?

Fentanyl wurde 1959 von Paul Janssen entwickelt und in den 1960er Jahren in den Handel gebracht. Mitte der 1990er Jahre kam für die Behandlung von chronischen Schmerzen ein neu entwickeltes Schmerzpflaster (Fentanyl wirkt sonst nur sehr kurz) auf den Markt.

Später wurden noch Fentanyl-Sticks ("Lutscher"), Buccaltabletten und ein Mund- und Nasenspray mit Fentanyl entwickelt. 

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Benjamin Clanner-Engelshofen
Benjamin Clanner-Engelshofen

Benjamin Clanner-Engelshofen ist freier Autor in der NetDoktor-Medizinredaktion. Er studierte Biochemie und Pharmazie in München und Cambridge/Boston (USA) und merkte dabei früh, dass ihm die Schnittstelle zwischen Medizin und Naturwissenschaft besonders viel Spaß macht. Deshalb schloss er noch ein Studium der Humanmedizin an.

Quellen:
  • Aktories, K. et al.: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 11. Auflage, Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, 2013.
  • Friese, K. et al.: Arzneimittel in der Schwangerschaft und Stillzeit, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart, 8. Auflage, 2016.
  • Geisslinger, G. et al.: Mutschler Arzneimittelwirkungen - Pharmakologie, Klinische Pharmakologie, Toxikologie, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 11. Auflage, 2020.
  • Karow, T. et Lang-Roth, R.: Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie, Thomas Karow Verlag, 29. Auflage, 2021.
  • Pharmakovigilanz und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin: Fentanyl, unter: www.embryotox.de (Abruf: 16.06.2021).
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