Zurückgedrehte Bio-Uhr
Alterungsprozesse einfach rückgängig machen? Das funktioniert - zumindest auf zellulärer Ebene. Dazu braucht man keine Pillen – es hilft, ein bisschen am Lebensstil zu drehen, zeigt eine Studie.
Bewegung, Entspannung, gesunde Ernährung – diese drei Säulen eines gesunden Lebensstils haben erheblichen Einfluss auf das biologische Alter und können tatsächlich verjüngend wirken. Dieser Nachweis ist nun erstmals gelungen. Als Messlatte für das Zellalter diente den Forschern um Dean Ornish von der University of California die Länge der sogenannten Telomere. Diese Strukturen sitzen wie Schutzkappen auf den Enden von Chromosomen. Bei jeder Zellteilung verkürzen sie sich. Irgendwann sind sie so kurz, dass die Zelle sich erschöpft und abstirbt.
Lädierte Schutzkappen
Beim Menschen sind die allermeisten Zellen nicht in der Lage, ihre Telomere zu regenerieren. Das biologische Zellalter lässt sich daher am Zustand der Schutzkappen ablesen. Das kann von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlich sein – zum einen, weil die Telomere mancher Menschen von Geburt an länger sind, zum anderen, weil ein ungesunder Lebensstil dazu beträgt, dass die Zelle sich häufiger teilen muss - die Telomere verkürzen sich dabei kontinuierlich. Vorangegangene Untersuchungen haben gezeigt, dass kurze Telomere mit einer ganzen Reihe von altersbedingten Erkrankungen in Verbindung stehen – darunter verschiedene Krebsformen, Schlaganfall, bestimmte Demenzformen, Osteoporose und Diabetes.
Verlängerte Telomere
„Oft denken die Leute, dass sie ihren ungünstigen Genen ausgeliefert sind“, sagt Studienleiter Ornish. Doch die aktuelle Untersuchung beweist das Gegenteil. Zumindest bei einigen wichtigen Körperzellen können die Telomere dank einer positiven Lebensstiländerung wieder wachsen.
Für die Studie beobachteten die Forscher 30 Männer, die unter wenig aggressivem Prostatakrebs litten. Über einen Zeitraum von fünf Jahren wurde ihr Tumorwachstum sorgfältig überwacht, ohne dass Gegenmassnahmen wie eine Operation durchgeführt wurden. „Engmaschige Überwachung“, nennen Mediziner diese Option. Bei wenig aggressivem Prostatakrebs kommt sie oft zum Einsatz, da eine Operation zu Impotenz und Inkontinenz führen kann.
Verjüngte Zellen
Zehn der Patienten veränderten im Untersuchungszeitraum ihren Lebensstil zum Positiven. Übermässig viel wurde ihnen nicht abverlangt: Sie sollten an sechs Tagen pro Woche 30 Minuten stramm spazieren, Stress mit yogabasierten Atemübungen abbauen und auf eine überwiegend pflanzliche Ernährung mit wenig verarbeiteten Kohlenhydraten umsteigen. Das Ergebnis: Schon nach wenigen Wochen zeigte sich, dass die Telomerase in bestimmten Blutzellen der Männer aktiviert wurde.
Diese körpereigene Substanz bewirkt, dass sich die Telomere in einigen wenigen Körperzellen wie den menschlichen Keimzellen, aber auch in bestimmten weissen Blutkörperchen, regenerieren. Die Fähigkeit dazu nimmt aber auch in diesen Zellen mit dem Alter ab.
Wachsen statt schrumpfen
Nach fünf Jahren waren die Telomere der Männer mit verbessertem Lebensstil in den Blutzellen um zehn Prozent länger geworden. Bei Teilnehmern, deren Lebensstil unverändert geblieben war, waren sie im selben Zeitraum um drei Prozent geschrumpft. „Unsere Gene und unsere Telomere sind nicht notwendigerweise unser Schicksal“, sagt Ornish.
Die Forscher glauben, dass der Lebensstil einen ähnlichen Verjüngungseffekt auf jeden Menschen haben kann. „Wir haben Blutzellen untersucht, nicht die Zellen im Prostatatumor“, betonen die Autoren. Möglicherweise könne eine gesunde Lebensführung sogar einen lebensverlängernden Effekt haben – für Krebspatienten ebenso wie für alle anderen.
Autoren- & Quelleninformationen
- Dean Ornish: Effect of comprehensive lifestyle changes on telomerase activity and telomere length in men with biopsy-proven low-risk prostate cancer: 5-year follow-up of a descriptive pilot study; The Lancet Oncology, Early Online Publication, 17 Septembe