Yasemin mit FFP2-Maske

Yasemin (10): Warten auf den Piks der Freiheit

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Yasemin wartet auf ihren Impftermin. Eine Ansteckung mit dem Virus wäre für sie hochriskant. Der Piks ist für sie die Tür zu ein bisschen mehr Freiheit.

Gleich neben Yasemins Eingangstür hängt ein Pumpspender mit Desinfektionsmittel. „Mir ist egal, wer da reinkommt, die können sich alle schön die Flossen desinfizieren“, sagt Yasmin und lacht. Das Gerät besitzt sie nicht erst seit der Coronapandemie. Angeschafft hat sie es schon vor zwei Jahren, als die Ärzte versuchten, den Tumoren in ihren Körper mit einer Therapie Herr zu werden, die man sonst gegen Krebs einsetzt. Dafür musste ihr Immunsystem weit heruntergefahren werden.

„Damals bin ich als einzige mit Mundschutz herumgelaufen“, berichtet sie. Irritierte Blicke trafen sie, auf der Strasse oder im Supermarkt. Heute läuft die ganze Menschheit so herum. Dass alle Masken tragen, macht es für Yasemin leichter. Nicht nur, weil sie mit Maske nicht mehr auffällt, sondern weil die Masken der anderen sie zusätzlich schützen.

Corona + Lungendefekt = Desaster

Das seltene Proteus-Syndrom, unter dem sie leidet, hat nicht nur einige Finger unnatürlich verdickt und verlängert und Tumoren in ihrem Körper spriessen lassen, sondern auch Fehlbildungen in ihrer Lunge verursacht. Sie ist daher weniger gut belüftet als normal, was es Erregern leicht macht, sich dort festzusetzen. Jeder Schnupfen droht sich bei Yasemin deshalb zur Lungenentzündung auszuwachsen.

Was das Coronavirus in ihren Atemwegen anrichten würde, mag man sich nicht ausmalen. „Corona ist schon heftig. Da habe ich grossen Respekt vor. Ich bin nicht in Panik, aber Angst habe ich schon“, sagt Yasemin.

Auch Hochrisikopatienten kommen später dran

Jetzt setzt sie vor allem auf die Corona-Impfung: „Danach wird es leichter“, hofft sie. Einen Termin hat sie noch nicht – obwohl sie hochgefährdet ist. Immerhin sind Schwerstvorerkrankte gerade von der Priostufe 3 in Stufe 2 aufgerückt.

In Deutschland kommen zuerst die Alten dran – und das besonders gefährdete Klinik- und Pflegepersonal. Wenn alles gutgeht mit dem Impfprogramm, darf Yasemin ab April auf einen Impftermin hoffen.

Doch ob die Immunisierung bei ihr überhaupt vollständig wirkt, ist nicht ganz klar. Denn dazu benötigt man ein einigermassen fittes Immunsystem. „Das hat bei mir von Geburt wohl sowieso einen Knacks“, sagt Yasemin.

Man impft nicht nur für sich allein

Sollte die Impfung bei ihr nicht anschlagen, wäre Yasemin wie Millionen andere darauf angewiesen, dass sich die Menschen um sie herum impfen lassen. Der Piks schützt nicht nur den Geimpften, der vielleicht selbst kein hohes Risiko trägt, schwer zu erkranken, sondern auch die, die eine Impfung nicht schützt.

Bis dahin hilft nur Isolation. Doch die schlägt auch Yasemin zunehmend aufs Gemüt. Abgesehen von Arztterminen und einem selten Supermarktbesuch igelt sie sich nun schon seit Monaten zuhause ein. Ihre zwei Chihuahuas führt täglich der Nachbarsjunge spazieren. Kommt Besuch für ihren Mann, zieht sie sich meist in ein anderes Zimmer zurück.

Leben in der Dauerisolation

„Ich will einfach nichts riskieren“, sagt sie. Der Lockdown, unter dem ganz Deutschland stöhnt, ist im Vergleich zu ihrem Alltag ein Freiheitsparadies. „Ich merke, ich habe schon mehr depressive Tage als sonst, ganz einfach, weil mir die sozialen Kontakte fehlen“, sagt Yasemin. Aber so gehe es ja gerade Millionen Menschen.

Immer auf Distanz

Sogar zu ihrem Dennis geht sie ein Stück weit auf Distanz. Die vielen Kontakte, die er im Job haben muss, machen ihn zum einzigen Einfallstor, über das Yasemin sich anstecken könnte. „Da muss ich mir schon dreimal überlegen, ob ich ihm einen Kuss verpasse.“

Corona ist bei ihr immer im Hinterkopf. „Aber es ist nicht so, dass ich das Haus mit Schutzfolien auskleide und überall Masken ausgelegt habe.“ Zum Glück seien sie und ihr Mann ohnehin nicht so extreme Kuschelbacken, „das ist nicht unsere Natur.“

Sich endlich wieder etwas trauen

Verunsichert ist sie derzeit vor allem wegen der Mutationen. „Da liest man ja, dass Menschen trotz Impfung krank werden.“ Zwar scheinen die Impfungen auch bei einer Ansteckung mit den Virusmutanten zu verhindern, dass die Infizierten schwer erkranken. Doch für Yasemin kann auch eine leichte Infektion verhängnisvoll sein.

Trotzdem würde ihr eine Impfung im Alltag mehr Sicherheit geben, sagt sie. „Da würde ich mich endlich wieder ein bisschen mehr trauen.“

Wenn Sie Yasemin auf Instagram folgen möchte, finden Sie sie hier: yasemins_verrueckte_welt

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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