Weltkugel

Tickende Zeitbombe

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Langwierig, schmerzhaft und wenig wirksam: Die Behandlung eines mehrfach resistenten Tuberkulosekeims ist schwierig. Experten sind alarmiert, denn die Epidemie breitet sich in erschreckendem Tempo aus.

Mehr als 10.0000 Pillen – so viel muss ein Mensch über Jahre hinweg schlucken, der sich mit einer mehrfach resistenten Tuberkulose (TBC) angesteckt hat. Das sind bis zu 20 Tabletten am Tag. Hinzu kommen acht Monate täglicher, schmerzhafter  Injektionen. Und die Behandlung hat gravierende Nebenwirkungen. Sie reichen von schwerer Übelkeit und Gliederschmerzen über Hautausschläge bis hin zur Ertaubung. Sogar Psychosen können die Medikamente auslösen – und die Patienten im schlimmsten Fall in den Suizid treiben.

So giftig sie ist, so teuer ist die Therapie: Einen multiresistenten TBC-Keim zu behandeln, kostet rund 4000 US-Dollar. Das ist 50 mal mehr als die Behandlung einer nicht resistenten TBC. Trotz dieses enormen Aufwands und ihrer Giftigkeit ist die chemische Keule nur bei jedem zweiten Patienten wirksam.

Ausbreitung resistenter Keime

Schaut man nur auf Deutschland, scheint die Gefahr zunächst gering: 4.220 Tuberkulosefälle wurden dem Robert Koch-Institut im Jahr 2012 gemeldet, davon waren 65 multiresistent. Global sieht es ungleich dramatischer aus: Schon jetzt erkranken weltweit jedes Jahr 450.000 Menschen an multiresistenten Keimen. In manchen Gegenden wie Kasachstan wird jede dritte Neuerkrankung bereits durch die schwer behandelbaren Erreger verursacht. Gerade in armen und abgelegenen Regionen ist es aber schwierig, die Kranken zu erreichen und lange genug bei der Stange zu halten. Ein Umstand, der die Bildung weiterer Resistenzen befeuert.

„Alarmierend ist, dass die grosse Mehrheit der Erkrankten unerkannt bleibt oder falsch diagnostiziert wird“, sagt Petros Issakides, Epidemiologe bei „Médecins Sans Frontières“ (Ärzte ohne Grenzen) in Mumbai. „Diese Patienten werden entweder gar nicht oder ineffektiv behandelt. Das facht die Epidemie weiter an und verschlimmert die Situation.“ So klafft eine immer grössere Lücke zwischen der Zahl der Kranken und jenen, die erfolgreich therapiert werden können – die Krankheit breitet sich unkontrolliert weiter aus.

Neue Medikamente dringend gesucht

Lange Zeit galt die Tuberkulose als nahezu besiegt: Die Antibiotika wirkten gut. Aus diesem Grund war das Interesse gering, neue Medikamente zu entwickeln. Das rächt sich nun. Immerhin: Zum ersten Mal seit mehr als 40 Jahren sind wieder zwei neue Wirkstoffe in der Pipeline, die das Potenzial haben, die Heilungschancen radikal zu verbessern: Bedaquilin und Delamanid. „Das ist ein Hoffnungszeichen für Hunderttausende Patienten weltweit, bei denen die gängigen Medikamente nicht wirken“, glaubt Philipp Frisch, Koordinator der Medikamentenkampagne von „Ärzte ohne Grenzen“ in Deutschland.

Für eine wirklich wirksame Behandlung ist aber ein Cocktail aus mindestens vier neuer Medikamenten nötig. Und noch wichtiger wäre es, einen wirksamen Impfstoff gegen TBC zu finden. Doch hier noch kein Durchbruch in Sicht. „Das Problem liegt nicht in der Zukunft, wir haben hier und jetzt damit zu tun. Die multiresistente Tuberkulose hat sich schon zu weit ausgebreitet. Die Gefahr ist zu gross, um sich noch zurückzulehnen und abzuwarten“, sagt Grania Brigden, TBC-Referentin von „Médecins Sans Frontières“.

Auch im Westen ein Problem

TBC wird kein Problem der ärmeren Länder bleiben: Früher oder später werden die multiresistenten Infektionen auch verstärkt in den Industrienationen auftauchen. Schon jetzt breitet sich die Krankheit in Ballungszentren wie London unter medizinisch weniger gut versorgten Menschen aus. Und bei solchen, die auf engem Raum zusammenleben – Obdachlose, Menschen ohne Papiere, Menschen mit Drogenproblemen, Häftlinge. Und da Tuberkulose sich wie Grippe über die Luft ausbreitet, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie auch im Westen wieder Boden gewinnt.

Genenikele, ein inzwischen an TBC verstorbener Patient von „Ärzte ohne Grenzen“ aus Swasiland, hat es auf den Punkt gebracht: „Jeder kann Tuberkulose kriegen - egal ob reich oder arm. Und wenn es dich erwischt, gibt es kaum eine Möglichkeit die Krankheit zu stoppen.“

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

ICD-Codes:
A18A19A17A16A15
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Quellen:
  • Medecins Sans Fronitères, http://www.msf.org, Abruf 19.03.2014 Robert Koch-Institut, www.rki.de, Abruf 19.03.2014
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