Schlummernde Frau

Voll verkabelt in die Nacht

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Alle NetDoktor.ch-Inhalte werden von medizinischen Fachjournalisten überprüft.

Schlafstörungen zermürben Körper und Geist. Ihren Ursachen kommt man oft erst im Schlaflabor auf die Spur. Eine NetDoktor-Reportage.

Der Blick in den Spiegel zeigt einen Roboter. Er sieht aus, als sei er explodiert: Blaue, gelbe, rote Kabel spriessen aus dem Kopf, dicke und dünne, lange und kurze. Dazu Verkabelungen am Kiefer, ein Schlauch unterhalb der Nase.

Der Roboter, das bin ich. Die umfangreiche Verkabelung soll alle Regungen und Zuckungen und Hirnströme meines Schlafes aufzuzeichnen. Schlafstörungen begleiten mein Leben, seit ich denken kann: Ich gehöre zu jenem Fünftel der Bevölkerung, das unter gravierenden Ein- oder Durchschlafstörungen leidet.

Schäfchenzählen und Gute-Nacht-Tees

Von Schäfchenzählen und Entspannungsübungen über Baldriantabletten, Schlafmantras oder Gute-Nacht-Tees – die Liste der schlaffördernden Massnahmen, die ich ausprobiert habe, ist lang. Sogar ein Schlafseminar an der Volkshochschule habe ich absolviert. Richtig geholfen hat mir nichts von alledem.

„Eine solche Odyssee ist typisch“, sagt Dr. Beata Veselý, Leiterin des Schlaflabors ProSomno in der Münchner Innenstadt. Denn wie so vieles im Leben sei auch das Talent zum Schlafen individuell vorprogrammiert. Während die einen an jedem Ort und zu jeder Tageszeit problemlos wegschlummern, werden andere von der kleinsten Störung wachgehalten, erklärt mir die Somnologin. „Das ist genetisch bedingt“, erklärt Veselý und lächelt freundlich hinter ihrer FFP2-Maske.

Vermutlich hatte auch diese Diversität menschlicher Gene einst einen evolutionären Vorteil. Bei nächtlichen Angriffen feindlicher Horden oder Raubtiere war es vermutlich hilfreich, wenn ein Teil der Gruppe einen leichten Schlaf hatte. Leider fällt mir keine Situation ein, in der mir mein Wächter-Talent in der heutigen Welt von Nutzen wäre.

Auf der Suche nach dem verlorenen Schlaf

Als Medizinjournalistin weiss ich aber: Genetisch veranlagt heisst nicht, dass man nicht gegensteuern kann. Nach einem Sommer mit allnächtlichen Strassenpartys an der Isar direkt vor meinem Fenster habe ich mich entschlossen, meine Möglichkeiten professionell ausloten zu lassen.

Und so habe ich nun zwei Nächte im Schlaflabor vor mir. Ein Raum wie ein Vier-Sterne-Hotelzimmer: schlicht und modern, mit Dusche und WC. Nur die Kamera, die direkt aufs Bett schaut und mich per Infrarotlicht überwacht, sollte es in einem Hotelkomplex hoffentlich niemals geben.

Da ist es doch beruhigend zu wissen, wer einem beim Schlafen zuschaut. Frau S. begrüsst mich, eine Frau mit schwarzem Pferdeschwanz, eindrucksvollem Augen-Make-up à la Amy Winehouse und bemerkenswerten Tätowierungen – unter anderem ein Garnelen-Sushi („Damit kann ich mich in Japan durchschlagen. Wenn ich Hunger habe, muss ich nur auf das Tattoo zeigen.“).

Drähte vom Kopf bis zur Wade

Während mich Frau S. verdrahtet, erklärt sie, wozu die angeschlossenen Gerätschaften dienen. Zunächst der Brustgurt, an dem ein Kästchen hängt – etwas grösser als eine Zigarettenschachtel. Es ist sozusagen der Nabel aller Messungen, alle Kabel münden hier. Der Gurt selbst ist zusätzlich mit Sensoren ausgestattet, die die Atembewegungen des Brustkorbs registrieren.

Damit und mithilfe eines dünnen Schlauchs, den Frau S. mir unter der Nase entlang und um die Ohren schlingt, lassen sich nächtliche Atemaussetzer feststellen. Von dem Schlauch zweigen zwei kleine Röhrchen ab, die sie mir in die Nasenlöcher schiebt. Eindeutig das lästigste meiner Nacht-Ausrüstung – aber auch daran gewöhne ich mich rasch. Auch der Kiefer wird mit eigenen Elektroden und Kabeln ausgestattet. „Damit können wir feststellen, ob Sie sehr angespannt sind oder mit den Zähnen knirschen.“

Schlafphasen unter Beobachtung

Selbst an den Waden platziert S. zu meiner Verblüffung Elektroden – „um ein Restless Legs-Syndrom festzustellen“, erklärt sie. Dabei handelt es sich um eine neurologische Störung, bei der ein unerträgliches Kribbeln in den Beinen grossen Bewegungsdrang auslöst. Dass so etwas dem Schlaf nicht zuträglich ist, leuchtet ein, weswegen das Syndrom ebenfalls zu den Schlafstörungen gerechnet wird.

Dann stülpt sie mir noch einen mausgrauen Gummistöpsel über den linken Zeigefinger, der kontinuierlich die Sauerstoffsättigung im Blut überwacht.

Und schliesslich platziert sie noch sechs Elektroden an meinem Kopf. Mit ihnen werden die Hirnströme gemessen. Die zeigen nicht nur, ob man wach ist oder schläft, sondern auch, in welcher Schlafphase man gerade steckt: Leichtschlaf, Tiefschlaf oder Traumschlaf. Letzterer wird nach den flatternden Augenbewegungen hinter den geschlossenen Augenlidern auch REM-Schlaf (nach engl.: Rapid Eye Movement) genannt.

Fixierung mit Klebepaste und Heftpflaster

Damit die Elektroden trotz der Haare halten und guten Kontakt zur Kopfhaut haben, bestreicht S. sie mit einer Paste, bevor sie sie mit Heftpflastern fixiert. „Das härtet beim Trocknen aus, so ähnlich wie Zahnpasta“, erklärt sie und überlässt mich der Nacht.

Dann bin ich auf mich allein gestellt. Ich lese noch ein paar Seiten in meinem Krimi. Und lösche dann gegen 23 Uhr das Licht. Nun glimmt nur noch diskret die Infrarotkamera an der Zimmerdecke über mir.

Ich gleite in einen Zustand, der ein gutes Drittel unserer Lebenszeit umfasst. Gemessen an einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 80 Jahren sind das etwa 26 Jahre Schlaf, an die wir grösstenteils keine Erinnerung haben.

Ohne Schlaf geht nichts

Warum Schlaf überhaupt ein so essenzieller Zustand ist, ist längst nicht abschliessend geklärt. Fest steht: Schlaf ist so wichtig, dass Schlafentzug als Foltermethode dient. Inzwischen wissen wir, dass es verschiedene Schlafphasen gibt, die unterschiedliche Funktionen haben. Im Tiefschlaf beispielsweise werden alle Körperfunktionen heruntergefahren: Puls und Atmung verlangsamen sich, der Blutdruck sinkt. In dieser Phase läuft die Zellreparatur zur Höchstform auf. Auch das Immunsystem ist jetzt hochaktiv.

Im REM-Schlaf, (REM = Rapid Eye Movement) auch Traumschlaf genannt, zucken nicht nur die Augäpfel hinter den geschlossenen Lidern: in dieser Phase werden seelische und kognitive Eindrücke verarbeiten – auch Lernprozesse verfestigen sich.

Ob geistig oder körperlich – alle Funktonen des Schlafs sind existenziell. Wer schlecht schläft, dessen Körper und Geist zehren sich auf andere, aber nicht weniger entscheidende Weise aus, als wenn ein Mensch Hunger leidet.

Schlafen wir zu wenig, erodiert die geistige Leistungsfähigkeit, steigt die Gefahr körperlicher und seelischer Erkrankungen. Alterungsprozesse beschleunigen sich, die Abwehrkräfte schwinden, die Seele wird zermürbt.

Länger schlafen als gedacht

Als ich am Morgen im Schlaflabor erwache, ist es noch stockdunkel. Ein Blick auf mein Mobiltelefon zeigt Viertel nach Vier. Für mich ist alles nach vier Uhr schon mal gar nicht so schlecht. Ich versuche, noch ein wenig weiterzuschlafen, dämmere kurz weg, lese ein bisschen, versuche es erneut. Obwohl ich nach wie vor müde bin, beschliesse ich irgendwann, dass es nun genug ist, und tapse mit wippenden Kabeln zum Zähneputzen.

„Sie haben etwas mehr als sieben Stunden geschlafen“, berichtet Schlafmedizinerin Dr. Veselý mir, als sie mich in meinem Schlafkämmerlein besucht und lacht über mein überraschtes Gesicht. „Die Erkenntnis, dass sie mehr schlafen als sie denken, beruhigt viele Menschen mit Schlafstörungen“, erklärt sie. Ich hingegen komme mir ein bisschen wie eine Hochstaplerin vor.

Nach einer Nachbeobachtungszeit im wachen Zustand, die dem Abgleich der Wach-Parameter mit dem Schlafzustand dient, befreit man mich mittags schliesslich von den Kabeln. Ich wasche mir die verkrustete Paste aus den Haaren. ‚Glatzköpfe haben zumindest im Schlaflabor Vorteile‘, denke ich. Jetzt habe ich Freigang bis 20 Uhr.

Melatonin-Trip in die nächste Nacht

Nach meiner Rückkehr dann das schon bekannte Prozedere – nur dass ich heute auf ärztliche Anweisung noch eine Melatonin-Tablette einnehmen soll. Melatonin ist jenes Hormon, das eine spezielle Drüse in unserem Gehirn zunehmend bei einbrechender Dunkelheit produziert und das uns müde und schläfrig macht. Anders als die üblichen Schlaftabletten, bei denen es sich meist um sogenannte Benzodiazepine oder Barbiturate handelt, die schnell abhängig machen können, hat Melatonin keinen suchtbildenden Effekt.

Trotzdem bin ich um Viertel nach vier schon wieder wach. Verdammt! Eine unmittelbare Wirksamkeit mag ich dem Schlummerhormon Melatonin also nicht bescheinigen. Und diesmal gelingt mir auch das erneute Einschlafen nicht. Frau S., der das nicht verborgen bleibt, taucht um kurz nach fünf Uhr gut gelaunt bei mir auf und entkabelt mich.

Wachheits-Test mit dem hüpfenden Punkt

Bevor man mich in den noch dunklen Herbstmorgen entlässt, absolviere ich noch einen Test zur Vigilanz, also zur Wachsamkeit. Eine halbe Stunde muss ich auf einen Monitor starren, auf dem 32 Kringel kreisförmig angeordnet sind.

Ein weisser Punkt hüpft dort im Sekundentakt von Kreis zu Kreis – nur manchmal lässt er einen aus, dann soll ich die „Enter“-Taste drücken. Dieses sehr eintönige Videospiel erfordert einiges an Konzentration – eine Herausforderung, die nur mit einem recht hohen Grad an Wachheit souverän zu bewältigen ist. Ich fürchte, ich liefere keine Glanzleistung ab.

Da heute Samstag ist, erhalte ich die Ergebnisse erst am Montagnachmittag per Telefon. Und erfahre: 96 von 100 Hüpfern habe ich erwischt! „Tschakka!“, denke ich. Doch Dr. Veselý ernüchtert mich mit der Information: „Ihre Reaktionszeit war allerdings ziemlich schlecht.“ Zu wenig Schlaf lässt sich eben auch nicht durch mehr Schlafqualität kompensieren.

Schallschutzfenster gibt es nicht auf Rezept

Viel wichtiger – und positiv, wie ich finde: Das hoch dosierte Melatonin hatte sehr wohl einen Effekt: Hatten meine Tiefschlafphasen in der ersten Nacht nur einen Anteil von fünf Prozent der Schlafdauer, waren es in der zweiten 33! Für einen wirklich erholsamen Schlaf hat die Schlafdauer aber dennoch nicht ausgereicht.

Die Ärztin empfiehlt mir, mit Unterstützung von Melatonin meinen Schlafrhythmus innerhalb einer zweimonatigen Kur neu einzuordnen. Doch damit allein ist es nicht getan: Eine schlafpsychologische Kurzintervention soll mir Verhaltensregeln und Strategien an die Hand geben, die mir zu besserem Schlaf verhelfen. Den Termin dafür habe ich bereits ausgemacht.

Die dritte Massnahme, die ich mir vornehme, gibt es nicht auf Rezept: Ich werde mir im Schlafzimmer Schallschutzfenster einbauen lassen. Damit steigen die Partys an der Isar im nächsten Sommer schon mal ohne mich.

Autoren- & Quelleninformationen

Jetzt einblenden
Datum :
Autor:

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Teilen Sie Ihre Meinung mit uns
Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie NetDoktor einem Freund oder Kollegen empfehlen?
Mit einem Klick beantworten
  • 0
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9
  • 10
0 - sehr unwahrscheinlich
10 - sehr wahrscheinlich