Sportlich mit Kunstknie
Sport treiben mit einem künstlichen Gelenk? „Wichtig“, sagen Orthopäden. Oft sei sogar wesentlich mehr möglich, als viele Menschen glauben. Worauf man dabei achten sollte, verrät der Orthopäde und Knieexperte Prof. Oliver Dierk.
50 ist das neue 60 – zumindest was die Einstellung zum künstlichen Gelenkersatz betrifft: „Vor 30 Jahren hat man vor dem 60. Lebensjahr kaum operiert – das verschiebt sich immer weiter nach vorn“, sagt Prof. Oliver Dierk, Chefarzt an der Schön Klinik in Hamburg-Eilbek im Gespräch mit NetDoktor.
Heute käme eben nicht mehr nur die alte Dame am Stock, die kaum noch laufen kann, zu ihm in die Klinik. „Heute sind das Menschen, die mitten im Leben stehen“. Und die andere Ansprüche an die Lebensqualität stellen: „Die fragen mich als erstes ‚Wann kann ich wieder Sport treiben?‘“, berichtet der orthopädische Chirurg.
Zwiespalt zwischen Überlastung und Unterforderung
Beim Thema Sport und Gelenkprothese gilt es einen Zwiespalt zu überbrücken: „Einerseits entsteht bei Überbelastung mehr Abrieb. Das kann eine Lockerung des Gelenks provozieren. Andererseits sind nur aktive Knochen gesund und fest und können der Prothese sicheren Halt geben.“ Zu viel Schonung sei also auch nicht gut für Kunstknie und -hüften.
Joggen nein, Walken ja
Früher habe man den Patienten gesagt: „Spazierengehen ist der einzige Sport, den Sie noch treiben können“. Da habe sich die Einstellung aber grundlegend verändert. Ungefähr drei Monate nach der Operation seien viele Sportarten wieder drin. „Joggen allerdings würde ich persönlich weniger empfehlen“, sagt der Kniespezialist. Das Problem dabei sei die Landung. „In der Dynamik des Landevorgangs wird das Gelenk durch ein Vielfaches des Körpergewichts belastet.“ Nordic Walking hingegen sei unproblematisch.
Belastende Ballsportarten
Ebenfalls kritisch seien Ballsportarten wie Handball und Fussball: Das hohe Tempo und die vielen Richtungswechsel sind ungünstig – nicht nur für künstliche Gelenke. Der Chirurg weiss, von was er spricht, von 2000 bis 2010 war er Mannschaftsarzt der HSV-Fussballer.Auch von Kampfsportarten, bei denen es darum geht, den Gegner zu Fall zu bringen, rät er ab: „Bei einem Hüftwurf im Judo entstehen erhebliche Zugkräfte, das ist nichts für eine Kunsthüfte.“
Tennis besser im Doppel – hinten an der Grundlinie
Bedenkenlos empfehlen könne er Fahrradfahrern, Golf, Wandern, Walken und Schwimmen. Sogar Tennis sei drin: „Das sollte man allerdings besser im Doppel spielen, und zwar an der Grundlinie.“ Dort sind die Bewegungen eher gleitend, am Netz hingegn muss der Spieler öfter abstoppen. Von Tennis im Einzel rät Dierk hingegen grundsätzlich ab. Zudem sei Aschenboden gelenkfreundlicher als der Hartplatz.
Skifahren mit Endoprothese hingegen sei heute Standard. „Gerade geübte Skifahrer sind sehr sicher. Ich erlaube aber keinen Skiunfall!“, sagt Dierk und lacht. Der Hinweis gelte aber genauso fürs Fahrradfahren.
Fitnesstraining ist ideal
Der ideale Sportplatz mit Endoprothese sei allerdings das Fitnessstudio: „Ob Krafttraining oder Kardio auf dem Ellipsentrainer – die Bewegungen werden hier sehr kontrolliert ausgeführt, das Verletzungsrisiko ist minimal.“
Ideal sei, wenn dann noch Geschicklichkeitsübungen hinzukämen. Denn sie trainieren die Feinmotorik: „Kniebeugen auf einer Wackelplatte beispielsweise.“ Eine intakte Muskulatur sei nicht nur stark, sondern auch intelligent. „Die Muskeln müssen wissen, was zu tun ist, um das Gelenk ideal zu unterstützen. Das lernen sie aber nur, wenn sie entsprechende Herausforderungen meistern müssen.“
Yoga mit kleinen Einschränkungen
Grundsätzlich sehr sinnvoll sei auch Yoga. „Allerdings hätten auch moderne Endoprothesen Einschränkungen in der Beweglichkeit. Bestimmte Bewegungen und Positionen seien damit nicht möglich. Da muss man mit dem Operateur absprechen, welche Übungen realistisch sind.“
Grundsätzlich gehe es heute darum, den Menschen schnellstmöglich wieder mehr Lebensfreude zurückzugeben – „und da gehört Sport für Viele dazu.“ Dank der rasanten Fortschritte in der Gelenktechnik könne man solche Eingriffe jetzt auch schon vergleichbar jungen Patienten guten Gewissens empfehlen.
„Die Natur imitieren“
„Wir versuchen mit den künstlichen Gelenken die Natur möglichst genau zu imitieren – und dabei werden wir immer besser“, sagt Dierk. Doch stellten die natürlichen biologischen Veränderungen des Knochens noch immer ein grundsätzliches Problem dar. Das führe irgendwann zur Lockerung.
Dennoch könnten die enorm verbesserten Materialien die Zeit bis zum Gelenkaustausch möglicherweise verlängern. „Wir verwenden heute Keramik, die ist unglaublich hart und verschleissresistent.“
Bessere Materialien, längere Lebensdauer
Damit würden die Gelenke hoffentlich langlebiger: „Ein Grund dafür, dass Kunstgelenke sich lockern, kann sein, dass sich mikroskopisch kleine Abriebpartikel zwischen Gelenk und Knochen setzen. Modernen Endoprothesen reduzieren dieses Risiko deutlich“.
Auch beim Einsetzen der Prothesen sei man viel weiter als vor 30 Jahren. Da war eine Gelenk-OP noch eine grosse Sache. Inzwischen ist sie Routine. „Die Operationen haben ihren Schrecken verloren, sagt Dierk.“
Nutzen/Risiken | Worauf ist zu achten? | ||
Schwimmen | besonders empfohlen | schonend und kräftigend ohne Belastung durch Körpergewicht | nur Kraul- oder Rückenschwimmen, Beinschlag beim Brustschwimmen für Knie- und Hüftgelenk ungünstig. |
Fahrradfahren | besonders empfohlen | zyklische Bewegungsabläufe, wirkungsvoller Kraftaufbau, Körpergewicht ruht weitgehend auf dem Sattel | Sattel richtig einstellen: Kniegelenke sollten bei untenstehendem Pedal fast gestreckt sein. |
Joggen | nicht empfohlen | hohe Stossbelastung beim Landevorgang | |
Fitness | besonders empfohlen | sehr kontrolliert durchführbar, daher besonders risikoarm | Einweisung durch einen kompetenten Trainer, um falsche Bewegungsabläufe zu vermeiden; besser an geführten Geräten als mit freien Gewichten trainieren |
Ski Alpin | möglich | dank günstigeren Dreh- verhaltens moderner Skier wenig belastend | für geübte Skifahrer bei risikoarmem, weichem Fahrverhalten |
Ski Langlauf | empfohlen | gleichmässige, geleitende Bewegungen belasten wenig, wirksamer Aufbau der Kraftausdauer | vor allem Einsteiger sollten die klassische Technik bevorzugen, seitliche Krafteinwirkung auf Knie und Hüften werden reduziert |
Yoga | empfohlen | gelenkschonend durch gleichmässige, fliessende, kontrollierte Bewegungen | manche Übungen sind mit Kunstgelenken nicht möglich, vorheriges Abklären mit dem Arzt oder Therapeuten |
Fussball | nicht empfohlen | belastend durch harte Stossbelastungen und viele Richtungswechsel, zudem hohe Verletzungsgefahr! | |
Handball | nicht empfohlen | harte Stossbelastungen und viele Richtungswechsel, zudem hohe Verletzungs- gefahr! | |
Kampfsport | nicht empfohlen | Risiko bei Würfen und durch Stürze | |
Basketball | eingeschränkt möglich | harte Stossbelastungen, Sprünge und schnelle Richtungswechsel meiden | nur locker und spielerisch ausüben |
Nordic Walking | empfohlen | entlastend durch Stockeinsatz, wenig belastend bei korrekter Abrolltechnik | Einweisung durch einen professionellen Trainer für korrekte Ausführung |
Wandern | möglich | moderate Belastung, vorzugsweise in maximal hügeligem Gelände | Stockeinsatz empfohlen (bergab nur mit Stöcken!), steile An- und Abstiege vermeiden |
Segeln | möglich | keine grössere Belastung aber hohe Beweglichkeit, Wendigkeit erforderlich | vor allem in der ersten Zeit nach einer Hüftgelenks-OP Überkreuzbewegungen der Beine vermeiden! |
Surfen | nicht empfohlen | bei hoher Geschwindigkeit starke Brettschläge, schnelle Manöver erforderlich, riskante Überkreuzbewegungen der Beine (Achtung bei Hüftpatienten!) | |
Tennis (Doppel) | empfohlen mit Einschränkung | weniger laufintensiv als im Einzel, Spielposition an der Grundlinie, da dort eher gleitende Bewegungen | Sand-, Ascheplatz oder Kunststoffboden empfohlen |
Tennis (Einzel) | nicht empfohlen | zu hohe Belastung durch schnelle Sprints und abruptes Abbremsen | |
Golf | empfohlen | sehr kontrolliert durchführbar, daher besonders risikoarm |