Sexueller Missbrauch - die Ursachen
Warum ein Mensch zum Missbrauchstäter wird, lässt sich kaum beantworten. Die Charité beispielsweise beschreibt Pädophilie als Störung, die in gleicher Weise durch biologische, psychologische und soziologische Faktoren bestimmt ist. Welche Faktoren bei Missbrauchstätern in welcher Konstellation aufeinandertreffen, ist bislang aber völlig unbekannt. Ähnlich problematisch ist es, die Wurzeln eines Missbrauchs aufzudecken, der nicht pädophil motiviert ist.
Sexueller Missbrauch entsteht nicht aus dem Nichts heraus, sondern gedeiht offenbar auf dem Nährboden einer gestörten Sozialisation. Untersuchungen, die die Herkunftsfamilien der Täter beleuchten, zeigen, dass viele Täter aus schwierigen Familien stammen, in denen Alkoholismus, Kriminalität oder Gewalt aufgetreten sind.
Aus Opfern werden Täter
Ein Teil der Missbrauchstäter war in seiner Kindheit ebenfalls Opfer von sexuellem Missbrauch. Häufig hat der Missbrauch auch eine familiäre Vorgeschichte. Manchmal sind weitere Familienmitglieder Täter oder ein Elternteil des Täters wurde sexuell missbraucht, insbesondere die Mutter.
Einige Täter berichten, dass sie als Kind als emotioneller Partnerersatz für einen Elternteil herhalten mussten. Wieder andere erinnern sich an fehlende körperliche und emotionale Nähe zu ihren dominanter Väter. Diese Täter sind traditionellen Männlichkeitsidealen verhaftet. Sie suchen sich meist weibliche Opfer, um ihre angeschlagenes männliches Selbstbild zu stärken.
Muster aufdecken
Die Beschäftigung mit den Ursachen des Missbrauchs löst bei vielen Menschen Zorn und Unverständnis aus. Das Unbehagen, das Augenmerk auf die Täter statt auf die Opfer zu richten, ist nachvollziehbar. Die Beschäftigung mit den Tätern und ihrer zumeist problematischen Vorgeschichte stellt die Balance zwischen Opfern und Tätern aber nur scheinbar auf den Kopf.
Tatsächlich liefern die Erkenntnisse über die Wurzeln des Missbrauchs keine Entschuldigung für die Taten. Sie helfen aber, Muster aufzudecken, und können dazu beitragen, Konstellationen, die den Missbrauch fördern, rechtzeitig zu erkennen und vorbeugend einzugreifen.
Therapie als Opferschutz
Bei der therapeutischen Behandlung von Missbrauchstätern geht es vor allem um eines: zu verhindern, dass der Täter ein weiteres Kind missbraucht. In sofern dient die Therapie der Täter vorrangig dem Schutz der Opfer. Zwar können beispielsweise pädophile Missbrauchstäter ihre sexuelle Präferenz nicht verändern und sind somit von ihrer fatalen Neigung nicht heilbar, sie können aber lernen, damit umzugehen.
Die gängigsten Methoden entstammen dabei der kognitiven Verhaltenstherapie. Es geht weniger darum, den Auslösern für das Missbrauchsverhalten nachzuforschen, als das Verhalten in der Zukunft zu verändern. Ziele dabei sind, dass der Täter Verantwortung für den Missbrauch übernimmt und seine empathischen Fähigkeiten verbessert.
Da viele Täter nur über mangelhafte soziale Kompetenzen verfügen, die den Missbrauch fördern, werden diese gestärkt. Ebenso die Fähigkeit, angemessen mit Frustrationen und Aggressionen umzugehen. Ziel ist somit, die Kontrolle über das eigene Verhalten zu gewinnen.
Psychodynamische Therapien bauen auf die Fähigkeit, dass auch erwachsene Menschen zu einer tiefgehenden Persönlichkeitsveränderung in der Lage sind.
Mangelware Therapie
Problematisch ist, dass Therapieplätze für Täter Mangelware sind. Vor allem um die ambulante Nachsorge ist es schlecht bestellt - und gerade die ist eine wertvolle Unterstützung im Kampf gegen den Rückfall in den Missbrauch.
Lange Zeit gab es zudem fast ausschliesslich Therapieangebote für Täter, die bereits straffällig gewordene sind und angezeigt wurden. Da die meisten Taten aber nie ans Licht kommen, ist der Behandlungsbedarf weit grösser. Erst seit 2005 bietet das "Präventionsprojekt Dunkelfeld" der Berliner Charité Hilfe.
Im Rahmen der Kampagne "Kein Täter werden" wendet es sich erstmals an Pädophile, die sich noch nicht an einem Kind vergriffen haben und das auch in Zukunft verhindern wollen, sowie an solche, die ihre Taten bislang verheimlichen konnten und ihre fatale Neigung in den Griff bekommen wollen.
Autoren- & Quelleninformationen
- Saskia Heyden, Kerstin Jarosch "Missbrauchsäter Phänomenologie- Psychodynamik - Therapie", Schattauer 2010;