„Es geht nicht um Designerbabys“

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Darf man Embryonen auf schwere Erbkrankheiten hin untersuchen, bevor man sie einer Frau einsetzt? NetDoktor.de sprach mit Prof. Christiane Woopen vom Deutschen Ethikrat über die Präimplantationsdiagnostik (PID).

Prof. Dr. med. Christiane Woopen

Prof. Dr. med. Christiane Woopen arbeitet am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Forschungsstelle Ethik. Sie ist Mitglied des Deutschen Ethikrats.

Frau Prof. Woopen, ist es nicht paradox, dass man einen schwerkranken Embryo nicht verwerfen darf, obwohl man den eingesetzten Fötus später abtreiben kann?

Ich denke, dass man ethisch gesehen hier keinen Unterschied machen sollte. Die medizinische Indikation ermöglicht Frauen schon jetzt eine legale Abtreibung, wenn das Kind so schwer krank ist, dass die Situation für die Mutter zu belastend wäre. Mit demselben Argument sollte auch eine Präimplantationsdiagnostik (PID) möglich sein.

Gegner der PID führen oft ins Feld, dass es irgendwann auch Designerbabys geben könnte - genetische Wunschkinder gewissermassen.

Bei einer PID geht es nicht darum, ein Baby mit Merkmalen zu entwerfen, die man schick findet, sondern darum, schwerwiegende Krankheiten zu vermeiden. Eine Auswahl bestimmter Eigenschaften wie etwa die Intelligenz wäre ohnehin nicht möglich. Denn in der Regel spielt hier eine Vielzahl von Genen zusammen. Schon rein technisch liesse sich ein Kind nicht einfach so designen.

Der Begriff Designerbabys verfälscht die Debatte ausserdem ganz erheblich. Häufig haben die betroffenen Familien schon ein schwerkrankes Kind, also bereits Erfahrungen mit dieser Erkrankung, und sind erheblich belastet. Da ist es unangemessen, von Designerbabys zu sprechen.

Es gibt Risikogene für Herzinfarkt, Diabetes oder Krebs. Damit könnten auch grosse Volkskrankheiten ins Visier der PID geraten.

Für solche Erkrankungen sind sehr viele Gene verantwortlich, nicht nur eines. In der Regel brechen diese Krankheiten ausserdem erst aus, wenn bestimmte ungünstige Verhaltensweisen hinzukommen. Insofern lassen sich Erkrankungen, die durch viele Faktoren bedingt sind, ohnehin nicht im Rahmen der PID erfassen oder verhindern.

Manche befürworten zwar die PID, aber nur eingeschränkt. Sie sollte nur angewendet werden dürfen, wenn eine Tot- oder Fehlgeburt droht oder das Kind innerhalb des ersten Lebensjahres sterben würde.

Ein Gesetz mit einer solchen Einschränkung würde den grössten Teil der Paare ausschliessen, die auf eine PID hoffen. Beispielsweise blieben Erkrankungen unberücksichtigt, die unmittelbar nach der Geburt ausbrechen, die Familie stark belasten und bei denen das Kind nicht innerhalb des ersten Lebensjahres stirbt. Ein Bespiel dafür sind schwere Stoffwechselerkrankungen. Verwehrt man solchen Paaren die PID, entscheiden sie sich im Zweifelsfall vielleicht dagegen, überhaupt ein Kind zu bekommen.

Andere wollen eine PID für Krankheiten ermöglichen, die erst im Erwachsenenalter ausbrechen, Chorea Huntington beispielsweise.

Damit würde die PID allerdings weiter gehen als die Pränataldiagnostik, bei der die Untersuchung auf solche Krankheiten durch das Gendiagnostikgesetz ausgeschlossen ist.
Die pränatale Diagnostik ist die Grundlage für eine medizinische Indikation zum Schwangerschaftsabbruch. Aber der dient dem Schutz der Mutter oder des Paares. Hier geht es nicht darum, das Kind vor einer Krankheit zu schützen. Ein Kind darf nicht abgetrieben werden, weil es Trisomie 21 hat, sondern weil es für die Frau eine körperliche oder seelische gesundheitliche Gefährdung bedeuten würde.

Wenn die Krankheit des Kindes erst spät ausbricht - wie bei Chorea Huntigton -, lässt sich nur sehr schwer begründen, dass die Mutter dadurch so belastet wäre, dass ein Schwangerschaftsabbruch gerechtfertigt ist.

Wie ist Ihre persönliche Haltung dazu?

Meiner Meinung nach sollte sich die Durchführung einer PID auf eine Begründung stützen, die in der Analogie zur Pränataldiagnostik die individuelle Lage der Frau betrachtet. Ich kann die Angst der werdenden Eltern natürlich verstehen, ein Kind mit einer schweren Erbkrankheit zu bekommen, auch wenn diese erst spät ausbricht. Aber die meisten von uns werden irgendwann an einer mehr oder weniger schlimmen Erkrankung leiden.
Sobald bekannt ist, welche Krankheit im Raum steht, erscheint das natürlich besonders bedrohlich. Andererseits wissen wir nicht, ob genau diese Erkrankung nicht in ein paar Jahrzehnten vielleicht behandelbar sein wird.

Wenn wir eine PID auch in Fällen erlauben, die über die medizinische Indikation für Schwangerschaftsabbrüche hinausgehen, geraten wir zunehmend in eine Mentalität, wo Eltern Verantwortung für die genetische Ausstattung ihrer Kinder übernehmen sollen. Das geht zu weit.

Weil dann noch mehr Eltern als heute mit Unverständnis rechnen müssen, wenn sie sich für ein Kind mit einer schweren Erkrankung entscheiden?

Das ist einer der wichtigen Aspekte. Dieser Druck würde sich durch eine erweiterte Zulassung der PID verschärfen. Wer dann beispielsweise dennoch ein Kind mit der Anlage für Chorea Huntigton bekommt, muss sich vielleicht rechtfertigen. Zudem würde es die Einstellung von Eltern ihren Kindern gegenüber verändern: Kinder sind dann kein Geschenk mehr, nicht einzigartige und unverfügbare Individuen, sondern im Extremfall Objekte, die den Interessen der Eltern dienen.

Was halten Sie von einem Katalog, der festlegt, für welche Krankheiten eine PID in Frage kommt?

Ich halte einen solchen Katalog für den falschen Weg. Er würde ja tatsächlich bei der Krankheit im Allgemeinen ansetzen und nicht bei der individuellen Situation.
Stattdessen sollte vor einer PID eine umfassende Beratung stattfinden - eine humangenetische, eine reproduktionsmedizinische und eine psychosoziale. In diesem Rahmen kann das Paar reflektieren, welche Konsequenzen eine PID hat. Zum einen müssen die Eltern darüber aufgeklärt werden, was es bedeutet, sich dem belastenden Verfahren der künstlichen Befruchtung zu unterziehen - zumal sie ja nur zu einem bestimmten Prozentsatz erfolgreich ist. Ausserdem ist es wichtig herauszufinden, ob das Austragen eines solchen Kindes das Paar tatsächlich überfordern würde. Ist eine Indikation dann tatsächlich gegeben, liegt die Entscheidung für oder gegen die PID allein bei dem Paar.

Was glauben Sie, wie das neue Gesetz zur PID letztlich aussehen wird?

So wie ich die Debatte heute im Vergleich zu den 90er Jahren wahrnehme, gibt es inzwischen eine grössere Offenheit für die Situation der Paare, die ein medizinisches Risiko tragen, von dem ihr Kind betroffen sein könnte. Ich kann mir deshalb vorstellen, dass es zu einer begrenzten Zulassung kommt.

Frau Prof. Woopen, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch.

Das Interview führte Christiane Fux

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