Frau mit Symptomen von Long Covid

Post-Vac-Syndrom: Long Covid nach der Impfung

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Alle NetDoktor.ch-Inhalte werden von medizinischen Fachjournalisten überprüft.

Manche Menschen leiden nach der Coronaimpfung unter schweren Long Covid-Symptomen. Hilfe zu bekommen ist nicht leicht, doch es gibt sie.

Auf einer Website der Universität Oxford läuft ein Ticker. Er zählt die Zahl der Covid-Geimpften in der Welt. 5,3 Milliarden innerhalb von 21 Monaten sind es inzwischen, 68 Prozent der Weltbevölkerung. Nie zuvor sind so viele Menschen in so kurzer Zeit geimpft worden. Schnell fielen daher auch sehr seltene schwerwiegenden Folgen auf wie Herzmuskelentzündungen und Sinusvenenthrombosen.

„Ein Strauss von Symptomen“

Nun macht ein Syndrom von sich reden, das unspezifischer daherkommt: schwere Erschöpfung, Schwindel, Kopfschmerzen, neurologische Ausfälle, Herzrasen, Konzentrationsstörungen. „Wir finden einen ganzen Strauss von Symptomen“, sagt Prof. Bernhard Schieffer, Direktor am deutschen Universitätsklinikum Marburg. Der Kardiologe leitet die Long Covid-Ambulanz des Hauses, an das sich auch vom „Post-Vaccine-Syndrom“ (kurz: „Post-Vac“) Betroffene wenden können.

Post-Vac und Long Covid sind prinzipiell dasselbe

„Wir sehen keinen Unterschied: Im Grunde handelt es sich um Long Covid – nur eben nicht nach der Infektion, sondern aufgrund der Impfung“, erklärt Schieffer.

Bei einigen Patienten treten die Symptome bereits Stunden nach der Injektion auf, bei anderen nach ein paar Tagen oder sogar Wochen. Auch topfitte Menschen sind manchmal nach einer Covid-Impfung plötzlich komplett ausser Gefecht gesetzt.

Nach der Impfung viel seltener Probleme

Dann die Impfung zu hinterfragen, ist eine natürliche Reaktion. Allerdings tritt das Syndrom nach der Vakzination um ein Vielfaches seltener auf als nach einer Infektion. Während unter den Covid-Erkrankten wohl mindestens einer von zehn noch Wochen später Beschwerden hat, sind es unter den Geimpften einer oder zwei von Zehntausend, berichtet Schieffer.

Hinzu kommt: Patienten, die am Post-Vaccination-Syndrom leiden, entwickeln möglicherweise mit höherer Wahrscheinlichkeit auch nach einer Erkrankung Long Covid. Denn das Spikeprotein, das die Immunreaktion nach der Impfung mutmasslich anstösst, bringt das Virus selbst ja ebenfalls mit.

Sind Autoantikörper das Problem?

Ob Long Covid oder Post-Vac-Syndrom: Zwar sind die Ursachen noch nicht vollständig geklärt. Doch gehen Mediziner davon aus, dass häufig eine Entzündungsreaktion, die aus dem Ruder läuft, dahintersteckt.

Unter anderem scheint der Kontakt mit dem Spikeprotein bei manchen Menschen die Produktion sogenannter Autoantikörper anzustossen – Immunproteine, die sich gegen den eigenen Körper richten. Bei Long Covid ist man ihnen schon etwas länger auf der Spur. Die gleichen Autoantikörper hat man nun auch bei manchen Post-Vac-Patienten gefunden – wenn auch nicht bei allen.

Was genau der Grund ist, warum manche Menschen nach Impfung oder Erkrankung Beschwerden entwickeln, die meisten anderen aber nicht, ist noch ungeklärt. Es könnten genetische Faktoren eine Rolle spielen. Oder, so eine weitere Hypothese, die Impfung weckt Viren wieder auf, die bis dahin in den Neuronen geschlummert haben – beispielsweise Epstein-Barr.

Impfung schiebt Autoimmunreaktion an

Aber auch ein bis dahin noch unerkannte Autoimmunerkrankung, die durch die Impfung Fahrt aufnimmt, wird als eine mögliche Ursache gehandelt. Bei einigen Patientinnen und Patienten hat man später tatsächlich entsprechende, bis dahin unbekannte Erkrankungen wie Rheuma entdeckt.

Die Autoimmunhypothese könnte in Teilen auch erklären, warum junge Frauen besonders häufig Hilfe suchen: Autoimmunerkrankungen treten bei Frauen dreimal so häufig auf wie bei Männern.

Zäher Weg zur Besserung

Schieffer behandelt seine Patientinnen und Patienten vor allem mit immunstärkenden Therapien – Vitamin D sowie auch einer histaminarmen Ernährung, die Entzündungsreaktionen herunterreguliert. Doch das ist ein langwieriges Unterfangen und schlägt nicht bei jedem gut an.

Immerhin: Betroffenen, deren Zustand durch Autoantikörper hervorgerufen wird, könnte bald rascher geholfen werden. Im Erlangener Klinikum haben Mediziner um Dr. Bettina Hohberger herausgefunden, dass sich deren Beschwerden mit einem brandneuen, allerdings noch nicht zugelassenen Herzmedikament sehr schnell bessern lassen (NetDoktor berichtete).

Schwierige Diagnose

Bis sie Hilfe finden, haben viele Patientinnen und Patienten eine Ärzte-Odyssee hinter sich. Viele Mediziner sind ratlos, zumal sie keine Ursachen der Beschwerden finden. Denn tatsächlich gibt es noch keine Möglichkeiten, das Post Vac-Syndrom eindeutig zu diagnostizieren.

Die Diagnose zu stellen, ist hochaufwendig: Erst der Ausschluss aller anderen möglichen Ursachen und die zeitliche Nähe zur Impfung spricht tatsächlich für eine Post-Vaccine-Problematik. „Unsere vorsichtige Diagnose heisst dann: Hyperinflammationssysndrom in zeitlicher Assoziation mit einer Impfung“, sagt Schieffer.

Zeitliche Nähe zur Impfung ist noch kein Beweis

Noch komplizierter werde es, weil viele Betroffene inzwischen sowohl geimpft seien als auch eine Durchbruchsinfektion erlebt hätten. „Wir können den kausalen Zusammenhang nicht widerlegen aber auch nicht eindeutig nachweisen.“

Ein solcher Nachweis ist ein grundsätzliches Problem bei Impffolgen. Allein der zeitliche Zusammenhang beweist nichts – denn Beschwerden können auch zufällig zeitnah nach der Impfung auftreten.

PEI: „Noch kein Signal für Post-Vac“

Um zumindest ein erhöhtes Risiko für bestimmte Impffolgen festzustellen, sammelt das deutsche Paul-Ehrlich Institut (PEI) alle Verdachtsfälle und vergleicht sie anschliessend mit dem erwartbaren Vorkommen entsprechender Gesundheitsprobleme in der übrigen Bevölkerung. Für das Post-Vac-Syndrom bestehe ein solches Verdachtssignal noch nicht, schreiben die Experten auf Nachfrage von NetDoktor.

Allerdings erschwert das schwer zu greifende, vielfältige Beschwerdebild die Auswertung. Vor allem können sich die PEI-Wissenschaftler offenbar nicht darauf verlassen, dass die Ärzte diffuse Beschwerden tatsächlich melden – obwohl sie eigentlich dazu verpflichtet sind.

Betroffene ernst nehmen

In den Medien berichten mutmasslich Post-Vac-Betroffene, dass ihre Ärzte nicht an einen Zusammenhang glauben. Das Gefühl, in ihrer Not nicht ernst genommen oder mit einer psychiatrischen Diagnose abgespeist zu werden, weil auch sonst nichts gefunden wird, verschlimmert das Leiden und die Hilflosigkeit von Post-Vac-Patienten zusätzlich. Wenn ihnen dann endlich jemand bestätigt, dass ihr Leiden nicht eingebildet ist, und Besserung in Aussicht stellt, fällt von ihnen eine grosse Last ab.

Besonders perfide ist jedoch, wenn Betroffene von ihrem Leiden öffentlich berichten – und ihnen dann Hass und Häme von Impfgegnern entgegenschlägt. Auch solche Berichte findet man in der medialen Berichterstattung. Deren böse Botschaft lautet: Wer sich impfen lässt, hat es nicht besser verdient.

4000 Menschen auf der Warteliste

Auch wenn das Post-Vac-Syndrom sehr selten ist – angesichts millionenfacher Impfungen dürfte die Zahl der Betroffenen allein in Deutschland bei mehreren Tausend liegen.

Schieffer sagt: „Auf unserer Warteliste stehen inzwischen 4000 Menschen - meine Klinik ist bis Sommer nächsten Jahres voll.“ Hier müssten engagierte Hausärzte einspringen. „Es sind keine zusätzlichen Strukturen geschaffen worden. Daher müssen wir mit dem arbeiten, was wir haben.“

Der Kardiologe fordert daher mehr und vor allem auch vernetzte Behandlungszentren – und mehr Forschung. Wichtig sei es, jene Menschen zu identifizieren, die ein besonders hohes Risiko für Long-Covid und Post-Vac-Syndrom hätten. „Wir sehen hier zum Teil schwerkranke Menschen, die Hilfe brauchen!“, mahnt er. Und mit der kommenden Herbstwelle werden es noch mehr.

Autoren- & Quelleninformationen

Jetzt einblenden
Datum :
Autor:

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Krank nach Coronaimpfung, exactly, mdr, 29.08.2022
  • Our World in Data, Universität Oxford
  • Post-Vac-Syndrom: Corona-Impfung mit Nebenwirkungen, Fakt, Das Erste, 09. Aug 2022
Teilen Sie Ihre Meinung mit uns
Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie NetDoktor einem Freund oder Kollegen empfehlen?
Mit einem Klick beantworten
  • 0
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9
  • 10
0 - sehr unwahrscheinlich
10 - sehr wahrscheinlich