Älteres Paar

Parkinson: Spurensuche im Darm

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Am 11. April ist Welt-Parkinson-Tag. Wie entsteht die neurologische Erkrankung? Gibt es Chancen auf Heilung? Noch sind viele Fragen offen. Doch jetzt kommt Bewegung in die Forschung. Die Spurensuche beginnt im Darm.

Alte Menschen mit zitternden Händen – das ist das Bild, dass die meisten von Parkinsonerkrankten haben. Doch Parkinson bedeutet so viel mehr: trippelnde Schritte, ruckartige Bewegungen, die manchmal einfrieren, als würden sie von einem ungeschickten Marionettenspieler gelenkt. Gesichter, deren Mimik erstarrt, was die Umwelt zutiefst irritieren kann. Im weiteren Verlauf kommt schliesslich bei jedem dritten Betroffenen ein Nebel der Demenz hinzu.

So vielfältig sind die Symptome, dass manch einer Parkinson auch die „Krankheit der tausend Gesichter“ nennt. Und diese trifft nicht nur Alte, sondern ebenso jüngere Menschen. Bei fünf bis zehn Prozent der Betroffenen treten die ersten Symptome vor dem 40. Lebensjahr auf.

Verklumpte Proteine blockieren die Nervenfunktion

Schicksalhaft für die Betroffenen ist ein Eiweissstoff, der im Körper für viele Prozesse wichtig ist, darunter für Blutbildung und Immunreaktionen: α-Synuclein. Doch bei Parkinsonpatienten durchläuft ein Teil dieser Proteine einen fatalen Verwandlungsprozess: Die Moleküle legen sich in Falten, die ihre Funktion behindern. Und anders als die leicht löslichen Originale können sie nur schwer abgebaut werden: „Sie verklumpen“, erklärt Prof. Claudia Trenkwalder, vormals Präsidentin der International Parkinson and Movement Disorder Society (MDS) im Gespräch mit NetDoktor.

Im Gehirn legen entzündliche α-Synuclein-Moleküle dann Neuronen lahm. „Die Nervenzellen werden gleichsam verstopft und die Übertragung zwischen ihnen blockiert. Und irgendwann sterben die Nerven dann ab“, berichtet Trenkwalder, die das Paracelsus-Kompetenzzentrums Parkinson und Bewegungsstörungen der Elena-Klinik in Kassel leitet.

Untergang der Dopamin-Produktion

Betroffen sind vor allem die sogenannten Basalganglien, welche die „Substantia nigra“ bilden – die dunkel gefärbte „schwarze Substanz“ des Gehirns. Sie produzierenden den Botenstoff Dopamin, der unter anderem für die Koordination der Muskelaktivitäten essenziell ist.

Der wichtigste Behandlungsansatz bei Parkinson besteht deshalb darin, künstlich Dopamin zu geben – beziehungsweise die Vorstufe L-Dopa. Doch das ist mit Nebenwirkungen verbunden und funktioniert langfristig immer schlechter.

Wodurch die fatale Verwandlung von α-Synuclein angestossen wird, hat auch jahrzehntelange Forschung nur ansatzweise klären können. Bei rund 80 Prozent der Patienten weiss man nicht, was die Krankheit ausgelöst hat. Immerhin haben Forschende schon eine ganze Reihe von Genen aufgespürt, die das Risiko für die neurologische Erkrankung erhöhen. Manche haben nur geringen Einfluss auf die Erkrankungswahrscheinlichkeit, kommen aber häufig vor. Andere hingegen sind selten – erhöhen aber das Parkinsonrisiko massiv.

Beginnt Parkinson im Darm?

Auf der Suche nach den Gründen, warum manche Genträger Parkinson entwickeln, andere aber nicht, ist Medizinern schon früh ein seltsam anmutender Zusammenhang aufgefallen: Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa erkranken etwa dreimal häufiger an der rätselhaften „Schüttellähmung“, wie die Krankheit früher genannt wurde.

Gibt es folglich einen Zusammenhang zwischen den Abläufen im Darm und dem Hirn? Völlig aus der Luft gegriffen scheint das nicht: Denn Gehirn und Darm stehen in regem Austausch. Dazu nutzen sie das vegetative (autonome) Nervensystem, das auch andere unbewusste Körpervorgänge wie Herzschlag und Atmung steuert. Die Hauptachse bildet hier der sogenannte Vagusnerv, eine Art Zentralleitung des vegetativen Nervensystems.

Ausbreitung über den Vagusnerv

2019 ist ein Team der Johns Hopkins University School of Medicine dem Zusammenhang von Darmerkrankungen und Parkinson auf den Grund gegangen: Bei Mäusen, die genetisch auf die Entwicklung von Parkinsonsymptomen programmiert waren, injizierten die Forschenden fehlgefaltetes α-Synuclein in das Muskelgewebe von Dünndarm und Magenausgang. Bei einem Teil der Tiere kappten sie sodann den Vagusnerv, der an der Regulierung der inneren Organe beteiligt ist – auch der des Darms.

Der Effekt war eindrucksvoll: Während Tiere, deren Leitung zum Gehirn unterbrochen worden war, symptomfrei blieben, entwickelten die übrigen „Mäuseparkinson“. Weitere Untersuchungen zeigten, dass α-Synuclein tatsächlich über die Äste des Vagusnervs vom Darm bis ins zentrale Nervensystem transportiert werden kann und sich dort – ebenfalls über die Nervenbahnen - weiter ausbreitet.

Beginnt Parkinson somit im Darm? „Das ist zumindest eine wichtige Hypothese“, sagt Trenkwalder. In dem Fall könnte die Reise der krankmachenden Proteine Richtung Hirn einsetzen, wenn die Darmwand aufgrund von Entzündungsprozessen durchlässiger ist als gewöhnlich. Die Proteine bereits im Darm abzufangen, bevor sie sich ausbreiten, wäre somit ein möglicher Therapieansatz.

Die Rolle der Darmmikroben

Mögliche Mitspieler am Krankheitsgeschehen könnten Darmbakterien sein. „Wir beginnen erst zu verstehen, wie das Mikrobiom im Darm körperliche Prozesse beeinflusst“, erklärt Trenkwalder. Was man bereits weiss: Wie die Milliarden Darmbakterien sich zusammensetzen, wird zum einen durch die Gene geprägt und zum anderen durch frühe Einflüsse in der Kindheit sowie Erkrankungen wie Virusinfektionen. „Jeder hat gewissermassen sein persönliches Mikrobiom“, so Trenkwalder.

Aber auch mit welchen Nährstoffen man die Darmbewohner füttert, hat weitreichende Effekte. „Wir wissen, dass Menschen, die sich mediterran ernähren, seltener an Parkinson erkranken“, berichtet die Medizinerin. Mediterran bedeutet: viel Gemüse, reichlich Ballaststoffe, öfter Fisch, gesunde Fette, wenig Fleisch. Eine solche Ernährungsweise bringt vielfältige gesundheitliche Vorteile mit sich.

Wer sich hingegen sehr Zucker-, Weissmehl- und Fleisch-lastig ernährt und reichlich tierische Fette konsumiert, begünstigt entzündliche Prozesse im Körper. „Das könnte auch bei Parkinson eine Rolle spielen“, sagt Trenkwalder.

Das Nervensystem ist keine Einbahnstrasse

Doch bei Parkinson ist nichts eindeutig: Möglich ist auch, dass der Austausch in beide Richtungen funktioniert – schliesslich ist das Nervensystem keine Einbahnstrasse. „Entzündliches α-Synuclein könnte auch vom Gehirn in den Darm wandern“, sagt Trenkwalder: „Was ist zuerst: das Gehirn oder die Peripherie – das ist in der Forschung gerade eine zentrale Streifrage.“

Und damit ist nicht nur der Darm gemeint: Auch in anderen Körpergeweben könnten entzündliche Proteine zuerst entstehen und sich von dort aus über Nervenfasern ausbreiten.

Unter anderem hätten Forschende fehlerhafte Versionen des Proteins auch in der Nasenschleimhaut entdeckt, berichtet die Wissenschaftlerin. Tatsächlich seien Probleme des Geruchssinns eines der ersten Symptome der neurologischen Erkrankung.

Frühe Diagnose entscheidend für die Wirkstoffentwicklung

Ein Test auf fehlerhaftes α-Synuclein in der Nase könnte somit ein wichtiges Puzzleteil sein, um eine Parkinsonerkrankung früh zu diagnostizieren. Aktuell bedeutet das für die Betroffenen zwar lediglich, dass sie früher Gewissheit über ihren künftigen Zustand bekommen. Denn noch gibt es kein Medikament, welches das Fortscheiten der Erkrankung bremsen oder gar umkehren kann.

Für die Entwicklung solcher Medikamenten hingegen ist die Früherkennung essenziell: Die ersten deutlichen Bewegungsstörungen treten erst auf, wenn das Gehirn bereits zu 50 Prozent befallen ist. Dann aber ist bereits so viel Schaden angerichtet, also der Krankheitsprozess so weit fortgeschritten, dass eine Heilung oder auch nur eine deutlich Verbesserung kaum noch möglich ist.

Die Krankheit wird erst sichtbar, wenn der Schaden zu gross ist

„Dieses Problem kennen wir auch von anderen Demenzerkrankungen wie Alzheimer“, sagt Trenkwalder. Die grosse Flexibilität des Gehirns, die auch bei Ausfällen ein langes Funktionieren ermöglicht, wird hier zum Komplizen der Krankheit: Sie verschleiert das Problem, bis es zu spät ist.

„Das Ganze ist viel komplexer, als wir uns das in den letzten Jahren vorgestellt haben“, sagt Trenkwalder. Um gezielt Medikamente gegen Parkinson zu entwickeln, müsse man den Krankheitsmechanismus verstehen. Das beginne schon mit der Frage: „Ist α-Synuclein wirklich der ursprüngliche und krankheitsmachende Auslöser? Oder ist es nur die Folge der Erkrankung?“

Ein weitere Hürde: α-Synuclein sitzt innerhalb der Nervenzellen und richtet dort den Schaden an. „Da müssen Sie erst einmal hinkommen mit Substanzen, die vielleicht einer Faltung entgegenwirken“, so Trenkwalder.

Michael J. Fox-Stiftung: Wirkstoffforschung im grossen Stil

Genau das hat sich die renommierte Stiftung des von Parkinson betroffenen US-Schauspielers Michael J. Fox jetzt im grossen Stil vorgenommen: Im Rahmen einer internationalen Studie will man künftig eine ganze Reihe vielversprechender Wirkstoffe an Personen mit Parkinson im sehr frühen Stadium testen. Auch in Deutschland gibt es drei Zentren, die hier mitarbeiten. Darunter ist auch das Kasseler Parkinsonzentrum, das Trenkwalder leitet.

Geeignete Testkandidaten lassen sich anhand verräterischer Symptome identifizieren. Neben dem gestörten Geruchssinn ist das vor allem ein gestörter Traumschlaf. Normalerweise ist die Muskulatur in dieser Schlafphase gelähmt. Menschen, die Parkinson entwickeln, beginnen hingegen, im Traum zu agieren: Sie reden oder schlagen um sich – was allerdings meist nur der Partner oder die Partnerin bemerkt.

Tritt das nach dem 40. Lebensjahr auf, ist dies der deutlichste Hinweis auf eine mögliche Parkinsonerkrankung. Ein Nasenabstrich auf fehlerhaftes α-Synuclein könnte den Verdacht dann erhärten.

Medikamente: Ein Mittel für alle wird es nicht geben

Wahrscheinlich wird es später nicht den einen Wirkstoff geben, der allen Betroffenen helfen kann. Denn als sei die Angelegenheit nicht schon kompliziert genug: Abhängig vom jeweils zugrundeliegenden Parkinson-Gen nimmt α-Synuclein unterschiedliche Formen an. So wie Wassermoleküle unterschiedliche Eiskristalle erzeugen, können dieselben Proteine unterschiedliche gefaltet sein.

Schon heute sind verschiedene Varianten bekannt, denen sich zudem jeweils etwas abweichende Symptome und damit Erkrankungssubtypen zuordnen lassen. Um die krankmachenden Proteine aufzubrechen, damit sie abgebaut werden können, würde man vermutlich jeweils einen anderen Wirkstoff benötigen.

Der Trend geht daher zur personalisierten Diagnostik und Therapie. Auch wenn die Suche nach Medikamenten, welche die Symptome nicht nur lindern, sondern stoppen können, bislang von vielen Fehlschlägen gekennzeichnet war: „Jetzt kommt Bewegung in die Sache“, sagt Trenkwalder.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Sangjune Kim et al: Transneuronal Propagation of Pathologic a-Synuclein from the Gut to the Brain Models Parkinson’s Disease. Neuron; Juni 2019, 103: 1-15. DOI: 10.1016/j.neuron.2019.05.035
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