Mein Bauch gehört zu mir!
Viele Frauen hadern mit ihrem Körper, sind auf Dauerdiät, entwickeln ein problematisches Essverhalten. Das Online-Coaching everyBody will das ändern.
Eine pummelige Blondine, die bei einem Bikini-Contest den Saal zum Kochen bringt? Die trotz fehlenden Lippenvolumens eine Modelkarriere in Betracht zieht? Da kann doch was nicht stimmen! Tatsächlich hat ein Sturz auf den Kopf Renées Selbstbild verrutschen lassen – zum Positiven. Sie hält sich nun für den heissesten Feger weit und breit. Und weil sie entsprechend auftritt, verändert sich ihr Leben.
Ausgedacht hat sich das natürlich Hollywood. Der Film „I Feel Pretty“, der im Mai dieses Jahres in Deutschland startete, spielt mit Klischees und hat die Botschaft: Wer sich attraktiv fühlt, der ist es auch.
Doch genau das gelingt immer weniger Frauen. Ungeachtet ihrer tatsächlichen Masse hadern sie mit ihrer Figur und schleichen durchs Leben, statt es in vollen Zügen zu geniessen. Viele kasteien sich, manche entwickeln sogar ein problematisches Essverhalten. Ändern will das das Studienprojekt everyBody, initiiert von der TU Dresden.
Freundschaft schliessen mit dem Körper
In einem online-moderierten kostenlosen Coaching-Programm können Frauen ab 18 unter anderem lernen, ihre Figur zu akzeptieren. „Es geht darum, mit dem Körper Freundschaft zu schliessen, den Sie haben“, bringt es die Website auf den Punkt. Weiteres Ziel ist es, ein gesundes Essverhalten zu fördern. Beides dient letztlich der Steigerung von Selbstbewusstsein, Gesundheit und Lebensfreude. Und es beugt Essstörungen aller Art vor – von Magersucht über Binge-Eating bis hin zur Bulimie.
Ein Programm für alle
„Neu an dem Programm ist, dass wir mit dem Angebot alle Frauen abholen wollen. Das können Frauen sein, die sich einfach nur ein bisschen informieren wollen und keine grossen Figursorgen haben, aber auch Frauen, die erste Symptome einer Essstörung zeigen und beispielsweise manchmal Essanfälle haben“, sagt Barbara Nacke, die als Psychologin bei everyBody arbeitet, im Gespräch mit NetDoktor.
Am Anfang steht dabei ein umfangreicher Fragenkatalog, in dem sowohl Körperakzeptanz als auch Essverhalten abgefragt werden. Abhängig davon, wie ausgeprägt die Probleme sind, erhält jede Teilnehmerin ein passendes Lernprogramm. Je nach Variante erstreckt sich das Programm über vier bis zwölf Wochen.
Brief an den Bauch
Dabei wechseln sich informative Texte und Videos mit praktischen Übungen ab. Eine davon: Der Brief an einen Körperteil, mit dem die Frau besonders hadert. „Oft ist das der Bauch“, sagt Nacke. In ihrem Brief kann die Frau sich ihren Bauchfrust von der Seele schreiben. Im zweiten Teil der Übung gilt es dann, die Antwort des Bauches zu formulieren. „Da kommen dann ganz andere Aspekte auf, zum Beispiel, was der Bauch so alles leistet. Das ist eine ziemlich gute Übung, um den Fokus zu verändern.“
Tagebuch zum Essverhalten
Ebenfalls regelmässiger Teil des Übungsprogramms: ein Tagebuch zum Essverhalten. Darin notiert man nicht nur, was man den Tag über isst und trinkt, sondern auch, bei welchen Mahlzeiten man sich absichtlich nicht satt gegessen hat, oder auch potenzielle Essanfälle. Solche Vorfälle können dann mit Hilfe einer Psychologin online bearbeitet werden. Was war der Auslöser? Stress? Oder hat man sich zuvor einfach zu sehr kasteit? Es werden aber auch Fragen besprochen wie: Welche Gedanken, welche Emotionen haben den Anfall begleitet? Wie ging es mir dabei und danach?
Konfrontation mit dem Spiegel
Eine besondere Herausforderung ist für viele Frauen, sich dem eigenen Spiegelbild zu stellen. „Viele schauen sich gar nicht mehr an, weil sie das zu sehr runterzieht“, sagt Nacke. Schritt für Schritt erfolgt die Annäherung: Erst vollbekleidet, bis das gut verkraftet wird, und dann mit immer weniger Kleidung.
Wichtig ist dabei die wertfreie Beurteilung: „Mein Bauch ist schwabbelig“ – da steckt schon die Abwertung drin. „Mein Bauch ist weich“ - das klingt gleich viel freundlicher. Idealerweise entdecken die Frauen sogar ihre Schokoladenseite, zumindest aber ist eine neutrale Begegnung mit dem eigenen Spiegelbild erlernbar.
Keine Chance gegen Photoshopfrauen
Ein weiteres Thema ist es, das mediengeprägte Frauenbild einem Realitätscheck zu unterziehen: Nur vier Prozent der Frauen entsprechen dem überschlanken Schönheitsideal. Und was so ätherisch von Plakaten und Magazincovern schaut, ist zusätzlich gephotoshopt: der Hals mit ein paar Mausklicks ein bisschen länger gezogen, die Augen vergrössert, die Taille verschmälert, der Busen gepusht. Eine Video-Animation verdeutlicht das im Onlinekurs.
Parallel lernen die Frauen, Eigenschaften jenseits der Optik zu entdecken, auf die sie stolz sein können: Kreativität, Empathie oder Begeisterungsfähigkeit vielleicht.
Noch ist das Ganze eine Studie – insgesamt 4000 Teilnehmerinnen sollen es am Ende sein. „Nach kleineren Pilotstudien möchten wir jetzt nachweisen, dass das Angebot ein ebenso wirksames wie kosteneffizientes Angebot ist. Eines, dass Frauen stärker macht und sie gesund hält“, sagt Nacke.
Für jede einzelne Teilnehmerin, der das gelingt, wäre das tatsächlich ein Happy End. Doch was wurde eigentlich aus Renée, dem Hollywood-Pummel mit dem positiv verzerrten Selbstbild? Die Auswirkungen des Schädeltraumas, man ahnt es schon, waren nicht von Dauer. Als der Wahn verpufft, ist sie zunächst kreuzunglücklich. Bis sie entdeckt, dass die Qualitäten, wegen derer man sie schätzte, unabhängig von ihrer Figur sind. everyBody vermittelt diese Erkenntnis ebenfalls – und das ganz ohne Schlag auf den Kopf.
Interessierte Frauen können sich kostenlos über folgenden Link zu der Studie anmelden: https://www.icare-online.eu/de/everybody.html
Autoren- & Quelleninformationen
- An der Studie teilnehmen können Frauen ab 18 Jahren unter „everyBody“ www.icare-online.eu/de/everybody.html