Krankheitsrisiken - was die Körpergröße verrät
Kinder sind oft grösser als ihre Eltern. Das ist kein Zufall: Weltweit sind die Menschen von Generation zu Generation stärker in die Höhe geschossen. Spitzenreiter sind die Niederländer: Holländische Männer sind heutzutage ganze 20 cm grösser als vor 150 Jahren.
„Dieser Trend war für uns der Anlass, uns die Bedeutung der Körpergrösse genauer anzusehen“, sagt Prof. Norbert Stefan vom Universitätsklinikum Tübingen im Gespräch mit NetDoktor. Gemeinsam mit seinem mehrköpfigen Forschungsteam hat er untersucht, welche Faktoren das Körperwachstum beeinflussen und wie es mit unserer Gesundheit zusammenhängt.
Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes sind heutzutage Volkskrankheiten. Sie alle fördert ein ungesunder Lebensstil: eine unausgewogene Ernährung, wenig Bewegung, Übergewicht und Rauchen. Jetzt konnten die Forscher zeigen, dass auch die Körpergrösse einen Einfluss auf das Krankheitsrisiko hat. "Dass die Körpergrösse die Sterblichkeit beeinflusst, wussten wir bereits", schreiben die Experten. Um herausfinden, warum das so ist, haben sie epidemiologischen Daten der Jahre 1990 bis 2015 aus der ganzen Welt ausgewertet.
Hoher Wuchs, hohes Krebsrisiko
„Wir haben entdeckt, dass grosse Menschen seltener an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes erkranken – dafür aber häufiger an Krebs“, sagt Stefan. Die Daten zeigten, dass pro 6,5 cm Körpergrösse das Risiko für kardiovaskuläre Sterblichkeit um sechs Prozent sinkt. Gleichzeitig stieg aber die Krebsmortalität um sechs Prozent. „Vergleicht man die Extreme, also die Grössten mit den Kleinsten, findet man Unterschiede in den Erkrankungsraten von 20 bis 25 Prozent“, erklärt der Forscher. Durch Risikofaktoren wie Übergewicht oder Rauchen allein lassen sie sich nicht erklären.
Die Körpergrösse ist zwar überwiegend genetisch bedingt, wird aber auch durch die Ernährung beeinflusst. Ausschlaggebend für den Anstieg der Körpergrösse könnte vor allem das Überangebot an kalorienreicher Nahrung und tierischen Eiweissen während der Wachstumsphasen eines Menschen sein – also während der Embryonalentwicklung, in der Kindheit und der Pubertät. „Möglicherweise hängt die Grösse der Niederländer mit ihrem hohen Konsum von Milchprodukten zusammen“, mutmassen die Experten.
Aktivierte Wachstumsfaktoren
Wenn eine Frau sich während der Schwangerschaft kalorienreich und mit viel tierischem Eiweiss ernährt, wird beim Kind das sogenannte insulin like growth factor (IGF) 1/2-System besonders aktiviert, das die Produktion von Wachstumsfaktoren steuert. Dadurch verstärken sich Zellwachstum und Zellteilung, was das Grössenwachstum des Kindes angeregt. Doch auch Tumorzellen springen auf die Wachstumsfaktoren an. Daher steigt auch das Krebsrisiko hochgewachsener Menschen, vor allem für Brustkrebs, Dickdarmkrebs und schwarzen Hautkrebs.
Ist der Mechanismus einmal aktiviert, beeinflusst er den Körper ein Leben lang, so Stefan. Bestätigt wird das auch durch Studien, die zeigen, dass Frauen, die als Kinder oder Jugendliche sehr schnell gewachsen sind, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs erkranken.
Doch der hochtourige Wachstumsmotor hat auch sein Gutes: „Eine Aktivierung der Wachstumsfaktoren vor der Geburt oder in der Kindheit schützt auch lebenslang vor einer Insulinresistenz, einem erhöhten Fettgehalt in der Leber und somit vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes“, erklärt Stefan.
Normalen Milchkonsum während der Schwangerschaft
Die Forscher ziehen daraus zwei Schlüsse: Erstens sollten Ärzte Wachstum und Körpergrösse als Faktoren miteinbeziehen, wenn sie Patienten bezüglich ihres Erkrankungsrisikos und Präventionsmassnahmen beraten.
Zweitens sollten Frauen in der Schwangerschaft zwar weiterhin ihre Kalziumreserven auffüllen, aber dazu nicht unbedingt viel Milch trinken. „Das geht auch mit Gemüse“, sagt Stefan. Und wer Brokkoli und Co. nicht mag, greift einfach zu kalziumreichem Mineralwasser.
Autoren- & Quelleninformationen
- Deutsches Zentrum für Diabetesforschung. Pressemitteilung: Körpergröße beeinflusst Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, und Krebs.
- Norbert Stefan, Hans-Ulrich Häring, Frank B Hu, Matthias B Schulze. Divergent associations of height with cardiometabolic disease and cancer: epidemiology, pathophysiology, and global implications. Lancet Diabetes & Endocrinology 2016
- Robert Koch Institut