Klimawandel begünstigt die Ausbreitung krankheitserregender Mücken

Klimawandel: Vormarsch der Krankheitskeime

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Der menschgemachte Klimawandel hat sich lange angekündigt. Jetzt ist er nicht mehr zu übersehen. Er trifft die Natur und damit auch die Arten. Und beeinflusst so auch die Ausbreitung von Infektionskrankheiten, die mit ihnen einhergehen.

Tropische Mückenarten, die Krankheitserreger übertragen können, erobern zunehmend Raum in nördlichen Breiten. Wärmere Gewässer lassen Keime gedeihen. Trockenheit und Waldbrände zwingen Tiere, sich in die Nähe von Menschen zu begeben. Und dann ist da auch noch der auftauende Permafrost, der uralte Keime freisetzt.

58 Prozent der Infektionskrankheiten haben an Boden gewonnen

Jüngst haben Hawaiianische Wissenschaftler eine Berechnung vorgelegt, die schon jetzt das Ausmass der bedrohlichen Veränderungen zeigt. „Von 375 Infektionskrankheiten, die den Menschen befallen können, wurden 218 bereits durch Klimarisiken gravierender“, berichten Camilo Mora und Kollegen vom Department of Geography and Environment an der University of Hawaii. „Dies entspricht 58 Prozent aller bekannten humanpathogenen Infektionskrankheiten.“

Mückenforschung im Tropeninstitut

Einer von denen, die das Problem schon lange im Blick haben, ist Dr. Renke Lühken vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Sein Institut, das in einem imposanten Backsteinbau über der Elbe in Hamburg thront, hat eine lange Tradition.

Der Namensvater, Bernhard Nocht, wurde einst nach Hamburg berufen, um die dort grassierende Choleraepidemie in den Griff zu kriegen. Nocht führte aber auch ärztliche Routinekontrollen im Hafen ein, um Krankheiten, die einlaufende Schiffe immer wieder in die Hansestadt brachten, einzuhegen.

Krankheitserreger auf Weltreise

Auch heute noch bringen Reisende Krankheiten mit wie derzeit das Affenpockenvirus, das sich wohl von einem Afrikareisenden ausgehend aufgrund eines Superspreaderevents in Spanien rasch ausgebreitet hat. Oder exotische Mückenarten kommen als blinde Passagiere mit Warenlieferungen in Europas Häfen an.

Als besonderes Risiko gilt die Asiatische Tigermücke, die potenziell gefährliche Krankheiten wie Dengue-, Chikungunya- oder auch Gelbfieber übertragen kann.

Im Bernhard-Nocht-Institut hat man das im Blick. Hier werden Inhalte von deutschlandweit aufgestellten Insektenfallen regelmässig ausgewertet, aber auch tote Vögel auf Krankheitserreger hin untersucht, bei denen sich die Mücken infizieren könnten. Eingeschickt werden die gefiederten Kadaver von Findern in ganz Deutschland. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse lassen sich aufgrund der örtlichen Nähe natürlich auch auf Nachbarländer wie Österreich oder die Schweiz umlegen.

Nur eine Frage der Zeit

„Momentan bereiten uns exotische Stechmücken noch keine grossen Sorgen“, sagt Stechmückenexperte Lühken im Gespräch mit NetDoktor. Die Populationen in Deutschland seien klein, die Ausbrüche in Südeuropa sehr begrenzt. „Noch sehen wir keine Übertragung von Krankheitserregern - aber das ist nur eine Frage der Zeit“, so der Wissenschaftler. In Italien habe es etwa 20 Jahre gedauert, bis die Populationen gross genug waren. „Das wird auch bei uns in etwa der Zeithorizont sein.“

Die dringlichere Problematik geht aktuell von heimischen Stechmücken aus, warnt der Experte. „Die sitzen hier in jeder Regentonne und können durchaus das West-Nil-Virus übertragen.“

Ein Labor voller Mückenlarven

Im Mückenlabor des Bernhard-Nocht-Instituts untersuchen die Wissenschaftler seit Jahren, welche äusseren Bedingungen dafür nötig sind.

Der erste Schritt ist die Infektion des fliegenden Blutsaugers. Dazu muss die Stechmücke das Virus erst aufnehmen, beispielsweise von einem Zugvogel. „Doch dann befindet es sich erst im Magen des Insekts“, sagt Lühken. Anschliessend müsse der Erreger sich in der Mücke vermehren und bis in die Speicheldrüsen einwandern. Erst dann kann das Insekt das Virus beim nächsten Stich weitergeben.

Der Knackpunkt: „Je höher die Temperaturen sind, desto schneller läuft dieser Prozess ab - und desto wahrscheinlicher ist die Übertragung. Wir sehen das im Labor, wir sehen das auch im Feld“, so der Forscher.

Von Griechenland lernen

Für die Zukunft müsse man sich Gedanken machen, wie man Stechmücken bekämpft. „Da können wir uns was aus Italien und Griechenland abgucken.“ Beispielsweise lassen sich die Larven gezielt mit speziellen Mitteln bekämpfen, die anderen Insekten wenig anhaben. Langjährige Erfahrung gibt es am Oberrhein, aber andere warme Regionen in Deutschland haben noch keinen Plan und keine Strukturen. „Da stehen wir erst am Anfang“, sagt der Wissenschaftler.

Ein weiteres Beispiel für vektorübertragene Krankheiten, die sich durch veränderte klimatische Bedingungen ausbreiten, sind solche, die von Zecken weitergegeben werden. Bei wärmeren Temperaturen können sich die Blutsauger erfolgreicher vermehren. Inzwischen sind sie selbst in den nördlichen Regionen von Norwegen und Schweden zu finden. Zecken übertragen die Hirnhautentzündung Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) sowie die Lyme-Borreliose. Die Zahl der Regionen, die als Risikogebiete für diese Erkrankungen gelten, nimmt Jahr für Jahr zu.

Zoonosen: Wenn Erreger überspringen

Waldbrände, Dürren, Überflutungen – sie sind nicht nur eine Katastrophe für den Menschen, sondern auch für das Tierreich. Auf der Suche nach neuem Überlebensraum rücken Affen, Fledermäuse, Nagetiere und andere Wildtiere näher an den Menschen heran.

Andernorts profitieren Tiere von veränderten klimatischen Bedingungen und breiten sich massenhaft aus: Im Pelz von Nagetieren hausen dann womöglich pestinfizierte Flöhe, oder die Tiere tragen Erreger wie das Hantavirus in sich.

Umgekehrt rückt auch der Mensch den Tieren immer enger auf den Pelz: Auf der Suche nach Bodenschätzen, beim Ausverkauf der Wälder oder der Eroberung weiterer Gebiete für die klimabedingt darbende Landwirtschaft dringt er immer tiefer in noch unberührte Regionen vor.

„Solche klimabedingten Veränderungen der Landnutzung haben das Vordringen des Menschen in wilde Gebiete begünstigt“, schreiben die Hawaiianischen Forscher. Zahlreiche Ausbrüche von Krankheiten wie Malaria, Tsutsugamushi-Fieber, Lyme-Borreliose und australischem Zeckentyphus seien die Folge gewesen.

Zudem steigt das Risiko, dass Krankheitserreger aus dem Tierreich auf den Menschen überspringen. Was solche Zoonosen bedeuten können, haben uns unter anderem HIV, Ebola und Sars-CoV-2 gelehrt: Dass die aktuelle Pandemie die letzte sein wird, lässt sich nahezu ausschliessen.

Im warmen Wasser tummeln sich mehr Keime

Auch im Wasser leben Keime, die sich bei höheren Temperaturen schlagartig vermehren. Zu ihnen zählen Bakterien wie Cholera und Vibrionen, aber auch krankmachende Amöben. Bislang waren Nord- und Ostsee sowie Flüsse und Badeseen nur gering belastet. Entsprechende Krankheitsausbrüche waren in unseren Breiten unwahrscheinlich.

Auch das dürfte sich ändern: In den Weltmeeren steigen die Temperatur. Messstationen verzeichneten für die Nordsee beispielsweise in den vergangenen drei Jahrzehnten eine Erwärmung im Bereich zwischen 0,5 und 2 Grad. Das macht den weltweiten Meeresbewohnern von Krill bis zum Blauwal schon heute zu schaffen. In den seichteren Ufergewässern steigen die Temperaturen aber in heissen Sommern noch erheblich stärker an. Beste Bedingungen für Krankheitserreger.

Wenn der Permafrost taut

Eine Bedrohung, die kaum jemand in Bezug auf Gesundheitsgefahren auf dem Radar hat, ist die Erwärmung der arktischen Regionen. Es schmelzen nicht nur die Polkappen, auch die Permafrostböden tauen immer schneller auf. Dabei legen sie neben gut erhaltenen Mammuts auch Krankheitserreger frei. Anders als die wolligen Riesenelefanten sind so manche dieser Keime nach dem Auftauen wieder höchst aktiv.

2016 starb ein zwölfjähriger Junge im Nordosten Sibiriens an Milzbrand. Das hochgefährliche Bakterium, das die Krankheit auslöste, stammte von einem aufgetauten Tierkadaver, an dem sich grasende Rentiere infizierten. Siebzig weitere Menschen mussten im Krankenhaus behandelt werden. Anders als Viren, die an der Luft meist schnell zugrunde gehen, erweisen sich manche Bakterien mitunter auch nach jahrtausendelangem Winterschlaf als erstaunlich lebensfähig.

Die Büchse der Pandora

„Das Auftreten solcher eingefrorenen Pathogene könnte eine Büchse der Pandora öffnen“, warnen Mora und Kollegen. Es könne sich ein grosser Pool von Erregern angesammelt haben, die für den heutigen Menschen völlig unbekannt sein könnten – und die auf ein entsprechend unvorbereitetes Immunsystem treffen.

Was tun? Auf diese Frage gibt es nur eine Antwort. Lühken sagt: „Die Quintessenz der Hawaiianischen Studie ist: Ganz entscheidend für all diese Probleme ist der Kampf gegen die Klimaerwärmung, das ist der absolute Schlüssel.“

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Camilo Mora et al.: Over half of known human pathogenic diseases can be aggravated by climate change, Nat. Clim. Chang. 8. August 2022, https://doi.org/10.1038/s41558-022-01426-1
  • Lijing Cheng et al.: Record-Setting Ocean Warmth Continued in 2019, Adv. Atmos. Sci., 37(2), 137−142, https://doi.org/10.1007/s00376-020-9283-7, 9. Jan 2020
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