Autor Bas Kast beim Eisbaden

Wie funktioniert Ihr Kompass für die Seele, Bas Kast?

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Das moderne Leben bietet viele Freiheiten und Vorteile – doch es kann auch die Seele krank machen. Was hilft? Wissenschaftsautor Bas Kast hat die aktuelle Studienlage zu dieser Frage durchforstet, ausgewertet (und selbst ausprobiert!) welche Strategien uns glücklicher und psychisch stärker machen. Im NetDoktor-Gespräch erzählt er, wie Safran im Gehirn wirkt und warum kalte Duschen nicht nur wach machen.

Bas Kast © Mike Meyer

Bas Kast

Bas Kast studierte Psychologie und Biologie und arbeitet heute als Wissenschaftsjournalist und Autor. 2018 erschien sein Welterfolg „Der Ernährungskompass“. Im März 2023 kam sein neues Buch „Kompass für die Seele“ in den Buchhandel.

Herr Kast, zuallererst mal: Herzlichen Glückwunsch! Ihr Buch „Kompass für die Seele“ hat auf Anhieb Platz Eins der Sachbuchbestseller erobert.

Vielen Dank.

Ganz neu ist Ihnen das Leben als Bestsellerautor nicht. Vom Vorgänger „Der Ernährungskompass“ haben Sie Millionen Exemplare weltweit verkauft. Im Einstieg Ihres neuen Buches beschreiben Sie allerdings, wie Sie nach der ersten Euphorie in ein seelisches Loch gefallen sind. Jetzt stecken Sie mitten im nächsten Hype. Droht nun das nächste Tief?

Ich hoffe, ich habe ein bisschen dazugelernt. Ich habe mich sozusagen prophylaktisch mit meinen eigenen Strategien zur Stabilisierung der Psyche abgehärtet.

Genau diese sind das Thema von „Kompass für die Seele“. Dazu haben Sie die wissenschaftliche Literatur durchforstet.

Das ist die beste Methode, herauszuklamüsern, was wirklich wirkt und was nicht.

Anschliessend haben Sie die vielversprechendsten an sich selbst ausprobiert. Ihr wesentliches Fazit ist: achtsam leben, regelmässig bewegen, gut essen, ausreichend schlafen. All das ist nicht wirklich neu. Warum hat Sie das Thema dennoch so gereizt?

Goethes „Faust“ könnten Sie auch in einem Satz zusammenfassen: „Alter Mann verliebt sich in junges Mädchen – und die Geschichte geht nicht gut aus.“ Interessant wird es erst, wenn man erfährt, wie es dazu kommt. Das gilt auch dafür, wie sich Lebensstil und Umweltfaktoren konkret auf die Psyche auswirken. Solche Zusammenhänge finde ich faszinierend - und andere Menschen offenbar auch.

Wenn wir verstehen, warum etwas funktioniert, sind wir eher bereit, uns darauf einzulassen?

Darum hilft es, dass Untersuchungen inzwischen nicht nur die Wirksamkeit vermeintlich einfacher Faktoren aufdecken, sondern auch ihre Wirkmechanismen. Dass die Ernährung die Psyche erheblich beeinflussen kann, wissen allerdings auch heute noch die wenigsten Psychiater. Aber dieses Wissen setzt sich langsam durch.

Besonders effektiv erscheint die Mittelmeerdiät - eine Ernährung, die nicht auf Pizza und Pasta basiert, sondern auf viel Gemüse, Obst, Vollkornprodukten und gesunden Fetten, beispielsweise aus Olivenöl und Fisch.

Genau. Australische Forscher haben im Experiment wirklich klipp und klar anhand von Kontrollgruppen demonstriert, dass man mit einer solchen Mittelmeerkost immerhin knapp ein Drittel der depressiven Patienten in Remission [vorübergehendes oder anhaltendes Nachlassen von Krankheitssymptomen, Anm. d. Red.] bringen kann.

Eine solche Ernährung wäre somit ähnlich wirksam wie ein Antidepressivum?

Nur ohne die Nebenwirkungen! Die Hälfte der Patienten, die Antidepressiva einnehmen, klagt beispielsweise über Abstumpfungsphänomene. Die fühlen dann generell nicht mehr viel, haben keine Freude an Hobbies, keine Lust mehr am Sex. Und bei einem Drittel der Patienten wirken Antidepressiva sogar überhaupt nicht - obwohl sie verschiedene Medikamente ausprobiert haben.

Nur um das an dieser Stelle deutlich zu sagen: Ein antidepressives Medikament auf eigene Faust abzusetzen und stattdessen Olivenöl zu trinken, ist sicher keine gute Idee.

Natürlich nicht. Aber mit der Ernährung hat man einen weiteren Hebel, um die Therapie zu ergänzen oder eine Alternative, wenn Medikamente und Psychotherapie nicht ausreichend helfen.

Also gut: Die richtige Ernährung hilft – aber weiss man auch, wie?

Darüber findet man immer mehr heraus. Safran beispielsweise: In Meta-Analysen hat sich herausgestellt, dass das Gewürz bei leichten Depressionen mit der gleicher Effektstärke wirkt, wie herkömmliche Antidepressiva. Und wenn man dann auch noch einen Wirkmechanismus kennt, wenn man beispielsweise herausfindet, dass Safran die Neurogenese ankurbeln kann, dass man seinen Effekt also wirklich im Gehirn sehen kann – dann ist das doch faszinierend!

Durch Neurogenese entstehen neue Nervenzellen. Das, und die Neuverdrahtung bestehender Neuronen untereinander ermöglicht die Plastizität des Hirns, also seine Fähigkeit, sich an neue Situationen anzupassen.

Und genau die ist bei Menschen mit Depressionen herabgesetzt. Man kann im Kernspintomographen (MRT) sogar sehen, dass das Volumen gewisser Hirnareale bei Depressionen schrumpft, beispielsweise der Hippocampus.

Das ist eine Hirnregion, die eine zentrale Funktion für Lernen und Gedächtnis übernimmt.

Und vermutlich auch bei der Stressresilienz [Widerstandskraft gegen Stress, Anm. d. Red.]. Noch spannender ist, dass solche Hirnareale wieder wachsen können. Dieses Wissen, dass das Gehirn wie ein Muskel verkümmern, sich aber auch wieder regenerieren kann, das hat etwas sehr Motivierendes – zumindest für mich.

Und Ernährung kann dazu beitragen, dass der Hippocampus sich regeneriert?

Tatsächlich unterstützen Gewürze wie Safran, aber auch Kurkuma einen solchen Prozess. Wenn man das weiss, fängt man an, Berichte über die antidepressive Wirkung von Ernährung ernst zu nehmen.

Die zweite grosse Stellschraube für eine gesunde Psyche ist Bewegung. Einen unmittelbaren Effekt kennen wohl die meisten: Auch wenn man vorher überhaupt keine Lust hatte, fühlt man sich nach dem Sport deutlich besser gestimmt.

Sport baut Stresshormone im Blut ab, deswegen fühlt man sich anschliessend auch seelisch angenehm entspannt. Aber Sport stärkt auch die Emotionskontrolle: Studien der Harvard-Universität zeigen, dass Menschen, die eine traurige Filmszene sehen, schneller wieder aus der negativen Stimmung herauskommen, wenn sie vorher eine halbe Stunde auf dem Laufband waren.

Wie funktioniert das?

Das passiert vermutlich unter anderem über eine Aktivierung des Hippocampus und des präfrontalen Kortex. Beides sind Strukturen, die eine wichtige Rolle in der Gefühlssteuerung spielen.

Wirkt sich Sport auch langfristig stabilisierend auf die Psyche aus?

Wenn wir uns bewegen, beginnen im Grunde alle unsere Organe, Botenstoffe auszuschütten. Sogar die Knochen! Viele Leute halten die ja für starre, leblose Gebilde. Dabei haben sie auch die Funktion einer Drüse. Sie setzen beim Sport verstärkt Osteocalcin frei. Dieser Botenstoff kann bis in den Hippocampus vordringen und dort die Neurogenese anregen.

Ernährung, Bewegung – fehlt nur noch Achtsamkeit, um das Trio der gesundheitsstabilisierenden Spitzendisziplinen zu vollenden.

Wir haben in der westlichen Gesellschaft die Meditation über Jahrhunderte nicht sonderlich ernst genommen. Jetzt aber fängt die Wissenschaft an zu gucken, was im Gehirn und im Körper passiert, wenn wir meditieren. Man fand: Meditationskurse, wie ich ihn über acht Wochen gemacht habe, bewirken, dass das Volumen des Hippocampus zunimmt. Und auch die Stress-Resilienz steigt. Auf einer neuronalen Ebene sieht man also eine gewisse Parallele zwischen den Effekten von Safran, Bewegung und Meditation, was ja schon bemerkenswert ist.

Die Wirksamkeit von Meditation, Sport und gesunder Ernährung ist inzwischen ein zunehmend grosses Thema. Wächst der Druck, nicht nur den Körper fit zu halten, sondern auch die Psyche zu optimieren?

Für mich geht es nicht um Selbstoptimierung, sondern darum, sich ein Umfeld zu schaffen, das für uns Menschen etwas natürlicher ist. Wir geniessen sehr viele Freiheit und Privilegien, doch wir sind heute auch sehr vielen unnatürlichen Elementen ausgesetzt, die uns nicht guttun.

An welche denken Sie da zuerst?

Wir bekommen zu wenig Tageslicht, bewegen uns kaum, haben viel Stress im Kopf, essen dauernd Fast Food. Ich habe drei kleine Kinder. Versuchen Sie mal, die halbwegs von viel zu viel Zucker und Salz fernzuhalten! Und dann ist da natürlich auch noch die soziale Isolation, die viele Menschen erleben.

Rund 40 Prozent der Menschen leben bei uns in Singlehaushalten, deutlich mehr als vor zehn Jahren. Die sind natürlich nicht alle vereinsamt, aber es ist ein gesellschaftliches Symptom.

Alleine zu leben, ist tatsächlich etwas, was dem Menschen eigentlich gar nicht entspricht, auch wenn es einfacher und konfliktfreier sein kann.

Tatsächlich haben die Bequemlichkeiten des modernen Lebens oft eine Kehrseite: Dass wir niemals Hunger haben, keiner extremen Hitze und Kälte ausgesetzt sind, ist zwar per se erstmal positiv, im Grunde ist so ein physiologisch reizarmes Leben aber unnatürlich. Darum können kalte Duschen, Saunagänge oder auch Fasten so einen positiven Effekt auf die Psyche haben.

Eisbaden ist in der Pandemie ein Trend geworden.

Das ist sicher kein Zufall. Auch mit Eisbaden und kalten Duschen kann man nicht nur eine archaische Erfahrung in den modernen Alltag einbauen, vermutlich trainiert man auch einmal mehr auf selbstkontrollierte Weise die Stressresilienz.

Wie funktioniert das genau?

Wenn Sie sich in kaltes Wasser begeben, fangen Sie automatisch mit einer Schnappatmung an, Blutdruck und Puls steigen, Adrenalin schiesst durch die Gefässe. Es ist wie eine Panikattacke. Nach und nach aber beruhigen Sie sich. Es ist, als würden Sie die Panikattacke in den Griff bekommen. Wenn es nun das nächste Mal das Leben ist, das Sie stresst, sind Sie vorbereitet.

Das klingt alles nach etwas, was einige Überwindung kostet - und vor allem Zeit. Wie soll man die im hektischen Alltag finden?

Meine Freunde stöhnen auch. Die sagen: „Bas, ernsthaft? Bei all dem Stress soll ich jetzt auch noch Joggen gehen, mich um gesundes Essen kümmern und anschliessend kalt duschen?“ Wovon wir aber tatsächlich reden, sind 15 Minuten Meditation und einer halben Stunde Laufen am Tag. Und frische Mahlzeiten gibt es inzwischen notfalls auch im Supermarkt. Stattdessen vertrödeln wir Stunden auf Social Media oder Zappen durch die Streamingdienste.

Das kommt einem bekannt vor.

Der Trick ist, Verhaltensweisen, die die Psyche stärken, fest in seinen Tagesablauf zu integrieren. Wenn die Kinder morgens aus dem Haus sind, ist bei mir eine halbe Stunde Joggen gesetzt, auch wenn es mich an den Schreibtisch zieht. Abgesehen davon sind die Dinge, die ich in meinem Buch beschreibe, ja kein Muss. Niemand wird dazu gezwungen! Ich vergleiche das immer mit einem Werkzeugkoffer, den man sich in den Keller stellt - und wenn man etwas davon gebrauchen kann, kann man sich bedienen.

Am Ende ist es doch einfach so: Wir könnten den Luxus, in dem wir leben, viel mehr geniessen, wenn wir ab und zu ein paar Elemente in unser Leben einbauen, die unserer Natur entsprechen.

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