Immunsystem: Mehr Entzündungen durch zu viel Salz?
Salz ist überlebenswichtig. Daher hat der Körper raffinierte Mechanismen entwickelt, um nicht zu viel der kostbaren Substanz auszuscheiden. Dass zu viel davon aber ungesund ist, dafür gibt es nun einen weiteren Beleg: Es lässt nicht nur den Blutdruck steigen, sondern beeinflusst auch die Funktion von Immunzellen.
Grund dafür könnte bereits eine minimal erhöhte Natriumkonzentration im Blut sein, die ein hoher Salzkonsum verursacht. Denn Kochsalz besteht aus Natrium und Chlorid, die sich im wässrigen Milieu des Blutes lösen.
Das Natrium kann dann in bestimmte Immunzellen eindringen, die ständig im Blut patrouillieren - die sogenannten Monozyten. Sie sind die Vorläuferzellen der Makrophagen, deren Aufgabe es ist, Krankheitserreger, Schadstoffe und abgestorbene Körperzellen zu verschlingen und zu verdauen.
Natrium bremst die Zellkraftwerke aus
In den Monozyten aber bremsen die Natriumionen die Arbeit der Mitochondrien. Sie sind die Energielieferanten fast aller Körperzellen. Besonders viele sitzen dort, wo viel Energie verbraucht wird: in Muskel-, Nerven-, Sinnes- und Eizellen.
Unter dem Einfluss des Natriums verlangsamt sich der Stoffwechsel der sogenannten Organellen: „Die Atmungskette wird gestört“, erklärt Prof. Dominik Müller vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) im Gespräch mit NetDoktor. Die Zellen produzieren dann weniger Adenosintriphosphat (ATP). Dieser ist der Kraftstoff, den die Zellen beispielsweise benötigen, um Proteine herzustellen, die unter anderem den Stoffwechsel regulieren.
Dass unter Natriumeinfluss die Leistungskraft der Zellkraftwerke abnimmt, haben die Wissenschaftler zuerst im Labor festgestellt. Unter erhöhter Salzzufuhr reduzierte sich die ATP-Produktion der Mitochondrien innerhalb von Stunden. Gleichzeitig sank ihr Sauerstoffverbrauch – ein weiteres Indiz dafür, dass die Zellkraftwerke nicht optimal arbeiten.
Aktivierte Fresszellen könnten Entzündungsprozesse verstärken
Was die Forscher beobachteten: Wegen des Energiemangels reifen die Monozyten anders aus als sonst. Doch statt ausgebremst zu werden, wie aufgrund des heruntergefahrenen Energiehaushalts vielleicht zu erwarten wäre, wurden die aus ihnen entstandenen Immunzellen eher aggressiver: „Die Fresszellen, deren Aufgabe es ist, Krankheitserreger im Körper aufzuspüren und zu beseitigen, konnten bestimmte Pathogene besser bekämpfen“, erklärt Müller.
Natriumhaushalt: Geringe Schwankungen, gravierende Auswirkungen
Das hat sich auch ausserhalb des Labors bestätigt. In Experimenten mit Freiwilligen, die beispielsweise sechs Gramm Salz zusätzlich zu ihrer gewohnten Ernährung zu sich nahmen oder eine Pizza verzehrten, die zehn Gramm Salz enthielt, konnten die Forscher den gleichen Effekt beobachten.
Funktion der Mitochondrien erholt sich schnell
In den Experimenten hielt dieser Effekt nur wenige Stunden an. „Das ist auch gut so. Denn wäre es zu einer langanhaltenden Störung gekommen, müsste man sich Sorgen machen, dass die Zellen längerfristig nur eingeschränkt mit Energie versorgt werden“, sagt Müller. Die Mitochondrien-Aktivität erholt sich also wieder.
„Uns hat überrascht, dass selbst geringe Schwankungen im Natriumhaushalt solche gravierenden Auswirkungen haben“, berichtet Müller. Es handle sich um Abweichungen, die bei medizinischen Untersuchungen völlig unauffällig wären.
Auf der Suche nach dem biologischen Nutzen
Den Grund für das Phänomen kennen die Wissenschaftler noch nicht. Doch ein früheres Experiment liefert Hinweise darauf, dass das Zusammenspiel von Natrium und Immunsystem einen biologischen Vorteil haben könnte.
Bei Personen, die unter einer bakteriell entzündete Hautpartie an einem Bein litten, war die Natriumkonzentration rund um den Entzündungsherd stark erhöht. „An der gleichen Stelle am anderen Bein war das aber nicht der Fall“, berichtet Müller. Der Körper kann die Natriumkonzentration offenbar gezielt und punktuell steuern.
„Das könnte ein wichtiger regulatorischer Mechanismus sein“, so Müller. Denkbar wäre, dass der Körper über die Natriumkonzentration ein Mikromilieu schafft, in dem Bakterien besser bekämpft werden können. Die hohe Natriumkonzentration könnte beispielsweise bestimmte Schalter im Erbgut umlegen. So liessen sich spezielle Gene aktivieren, die die Abwehrzellen längerfristig hochregulieren.
Schattenseiten der starken Abwehr
Aktivere Immunzellen – das klingt erst einmal positiv. Doch eine zu starke Immunaktivität hat auch ihre Schattenseiten. Beispielsweise begünstigt sie chronische Entzündungsprozesse, die unter anderem die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördern. In dem Fall könnte die kurzfristige Störung der Mitochondrienfunktion durch eine salzhaltige Mahlzeit möglicherweise langfristige negative Konsequenzen haben.
„Und die Makrophagen sind nicht die einzigen Immunzellen, die auf Salz sensibel reagieren“, berichtet Müller. Ein Experiment aus dem Jahr 2013 hat ergeben, dass bestimmte T-Zellen, die bei der Entstehung von Autoimmunerkrankungen eine Rolle spielen, ebenfalls durch Salz aktiviert werden. Denkbar wäre, dass eine salzreiche Ernährung demnach auch Rheuma oder Multiple Sklerose begünstigt.
Was passiert bei mehreren Salzmahlzeiten täglich?
Was also geschieht, wenn Menschen mehrmals am Tag stark salzhaltige Mahlzeiten zu sich nehmen? Müller verweist darauf, dass Salz in der Frühzeit der Menschheitsgeschichte Mangelware war. „Die Evolution hat den Körper nicht darauf vorbereitet, dass wir uns so salzreich ernähren“, so Müller. Er geht allerdings davon aus, dass die Menge an Salz, die ein Mensch toleriert, genetisch- oder lebensstilbedingt, sehr unterschiedlich sein könnte. Japan beispielsweise, wo die Menschen besonders salzig essen, ist das Land (nach dem Stadtstaat Hongkong) mit der weltweit höchsten Lebenserwartung.
Autoren- & Quelleninformationen
- Jonathan Jantsch et al: Cutaneous Na+ Storage Strengthens the Antimicrobial Barrier Function of the Skin and Boosts Macrophage-Driven Host Defense, Cell Metabolism, Volume 21, Issue 3, 3 March 2015, Pages 493-501
- Sabrina Geisberger et al.: „Salt transiently inhibits mitochondrial energetics in mononuclear phagocytes“. Circulation, 28 Apr 2021 DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.120.052788