Handbremse für Entzündungen
Chronische Entzündungen sind tickende Zeitbomben. Sie begünstigen Erkrankungen von Diabetes über Herzkreislaufleiden bis hin zu Krebs. Ein machtvolles Gegenmittel ist Sport. Doch wie wirkt der eigentlich?
Rötung, Hitze, Schwellungen – Entzündungen sind unangenehm, aber lebensnotwendig. Die Symptome zeigen, dass das Immunsystem seine Arbeit macht: Es geht gegen Krankheitserreger vor oder entsorgt beschädigtes Gewebe. Anders sieht es aus, wenn die Entzündungsprozesse im Körper immer wieder neu befeuert und schliesslich chronisch werden – ein Zustand, den man oft lange Zeit gar nicht bemerkt.
Und genau hier kommt offenbar Sport ins Spiel: Schon länger weiss man, dass regelmässige Bewegung vor einem ganzen Bündel von Krankheiten schützt: Typ-2-Diabetes und Arteriosklerose, Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall und sogar viele Krebsformen. „Die Frage war nur: Warum ist das so?“, sagt Prof. Wilhelm Bloch von der Deutschen Sporthochschule in Köln im Gespräch mit NetDoktor.
Immunzellen mit Bremsfunktion
Der Kölner Forscher und seine Kollegen haben einen Mechanismus aufgedeckt, der die eindrucksvolle Schutzwirkung von Sport erklären könnte. Denn er hemmt chronische Entzündungsprozesse im Körper, die bei der Entstehung vieler Krankheiten eine wesentliche Rolle spielen.
Die Wissenschaftler fanden heraus: Körperliches Training lässt die Zahl der sogenannten regulierenden T-Zellen im Blut ansteigen. Anders als die auch Killerzellen genannten T-Zell-Typen, die auf das Aufspüren von Viren und Bakterien dressiert sind, sind die regulatorischen T-Lymphozyten für die Ausbalancierung der Immunreaktionen zuständig. „Sie wirken gewissermassen wie eine angezogene Handbremse auf das Immunsystem“, sagt Bloch.
Nicht jede Sportart wirkt
Nachgewiesen haben die Forscher den Einfluss körperlichen Trainings auf die regulierenden T-Zellen an Blutproben, die sie knapp 300 jungen Eliteathleten abzapften. „In den Disziplinen, in denen sehr viel trainiert wird und in denen die Leute auch über eine exzellente Ausdauer verfügen, haben wir einen hohen Anteil T-regulatorischer Zellen gefunden“, berichtet der Sportmediziner. In Disziplinen, in denen Ausdauer weniger entscheidend ist – etwa beim Rodeln oder Sportschiessen – hatten die Sportler lediglich Werte wie die Normalbevölkerung. Die Ergebnisse präsentieren die Sportmediziner demnächst im „Journal of Allergy and Clinical Immunology“.
Wie eindrucksvoll Sport auf die regulatorischen T-Zellen einwirkt, hat bereits eine frühere Studie gezeigt: Damals hatten die Wissenschaftler Blutproben von Spielern der Hockeynationalmannschaft unmittelbar nach einer mehrwöchigen Trainingspause und nach einem daran anschliessenden knallharten Trainingscamp verglichen. „Innerhalb einer Woche stieg die Zahl der regulatorischen T-Lymphozyten um 20 Prozent“, berichtet Bloch.
„Entzündungsähnlicher Zustand“
Der Forscher hat auch eine Erklärung für den eindrucksvollen Anstieg der Immunzellen parat: „Wenn Sie hart trainieren und Ihre Muskeln stark belasten, provozieren Sie einen entzündungsähnlichen Zustand.“ Unter anderem schütteten die Muskeln grosse Mengen an Myokinen aus, das sind Botenstoffe, die auf vielfältige Weise körperliche Prozesse beeinflussen. „Damit das Immunsystem darauf nicht zu stark reagiert, muss es sich anpassen“, erklärt der Forscher. Und zwar, indem es mehr Immunzellen mit Bremsfunktion ins Blut absondert.
Wenig Muskeln, wenig Bremswirkung
Der Zusammenhang von Muskeln und T-regulatorische Zellen erklärt auch, warum Frauen im Schnitt 15 bis 20 Prozent weniger davon haben als Männer. Sie besitzen schlicht weniger Muskelmasse. „Allerdings sind Frauen von Haus aus besser vor chronischen Entzündungen geschützt als Männer – nämlich durch ihre höhere Östrogenproduktion“, erklärt der Wissenschaftler. Das sei ein wesentlicher Grund dafür, warum sie seltener Infarkte in Herz und Hirn erleiden. Nach der Menopause, mit sinkendem weiblichen Östrogenspiegel, gleichen sich die Herzkreislaufvorfälle bei den Geschlechtern an. „Spätestens dann wird es auch für Frauen noch wichtiger, regelmässig Sport zu treiben“, so der Sportmediziner.
Krank nach dem Marathon
Doch wie viel Sport ist notwendig? Ein 35-stündiges Trainingspensum wie das der Profi-Hockeyspieler ist von Normalsterblichen natürlich nicht zu schaffen – und übrigens auch gesundheitlich gar nicht erstrebenswert. „20 Prozent mehr T-regulatorische Zellen – da ist das Immunsystem nicht optimal ausbalanciert“, sagt Bloch. Unter anderem liesse sich damit das „Open Window-Phänomen“ erklären: Nach extremen körperlichen Belastungen wie einem Marathon steigt die Infektanfälligkeit erst einmal erheblich. Wird das Immunsystem zu stark ausgebremst, haben Viren und Bakterien ein leichteres Spiel.
Ein moderater Anstieg an T-regulatrischen Zellen hingegen könnte chronische Entzündungen im Körper eindämmen, ohne die Immunabwehr insgesamt zu schmälern. „Welchen Effekt ein gemässigtes Training genau hat, untersuchen wir derzeit aber noch“, sagt Bloch.
Ein Grund sich mit Sport zurückzuhalten, ist das natürlich nicht. Denn dass Sport der Gesundheit nützt, steht auch ohne die Kölner Ergebnisse schon lange fest.