Epigenetik - Gene sind kein Schicksal
Gene prägen unser Aussehen, unserer Krankheitsrisiken und sogar unsere Persönlichkeit. Das lehrt die klassische Genetik seit vielen Jahren. Umgekehrt können aber auch wir unsere Gene beeinflussen, zeigt der noch junge Forschungszweig der Epigenetik. Die genetische Ausstattung ist weit weniger schicksalhaft als lange gedacht.
Welche Gene wir in uns tragen, ist zwar vom Moment der Zeugung an festgelegt, nicht aber ob ein bestimmtes Gen auch tatsächlich aktiv ist. Auf diese Weise stellt die Zelle zum einen sicher, dass nur Gene abgelesen werden, die für ihre spezielle Aufgabe notwendig sind. In einer Herzzelle sind also andere Gene aktiv als in einer Leberzelle.
Ausgeknipste Krankheitsgene
Zum anderen beeinflussen aber auch Umwelteinflüsse, welche Gene in den Zellen aktiv sind. So kann ein gesunder Lebensstil ungünstige Gene stumm-, oder positive anschalten. Umgekehrt kann ein ungesunder Lebensstil dazu beitragen, dass krankmachende Gene anspringen. Solche epigenetischen Mechanismen ermöglichen es, dass Mensch und Tier sich schneller an veränderte Umweltbedingungen anpassen können.
Eine Schlüsselrolle haben dabei so genannten epigenetischen Marker, das sind winzige Anhängsel, die entlang des DNA-Strangs verteilt sind. Diese Metylgruppen wirken wie Schalter, die Gene an- oder ausknipsen können. Heften sie sich an die DNA verhindern sie, dass das Gen abgelesen werden kann. Methylierung nennen Wissenschaftler diesen Mechanismus.
Eine andere Möglichkeit, Gene zu inaktivieren, besteht darin, sie ganz einfach sicher zu verstauen. Damit der lange DNA-Strang im Zellkern untergebracht werden kann, ist er auf bestimmte Proteine - sogenannte Histone - gewickelt. In Abschnitten, wo die Wicklung sehr fest ist, können die Gene nicht mehr abgelesen werden.
Lebensstil als Therapie
Inzwischen werden epigenetische Veränderungen bereits als Therapiemöglichkeit getestet. Beispielsweise hat man festgestellt, dass Männer mit Prostatakrebs von einer positiven Lebensstilveränderung profitieren. Einige Wochen mit täglichen Spaziergängen, gesunder Ernährung und Entspannungsübungen reichten aus, um mehrere hundert Gene zu deaktivieren - darunter auch solche, die den Krebs fördern.
Besonders grosses Erstaunen hat die Tatsache hervorgerufen, dass epigenetische Prägungen nicht nur das betreffende Individuum verändern, sondern sogar an die Nachkommen weitergegeben werden können.
Das zeigen zum einen eindrucksvolle Tierexperimente. So ist ein bestimmter Stamm von Mäusen, der Agouti-Typ, in der regel fettleibig, trägt ein helles Fell und hat ein hohes Risiko für Diabetes und Krebs. Wurden die Weibchen aber mit einer Kost gefüttert, die viel Vitamin B12, Folsäure sowie Cholin enthielt, waren ihre Nachkommen schlank, dunkelbefellt und kerngesund.
Vererbte Erfahrung
Auch beim Menschen hat man bereits einige epigenetische Einflüsse nachweisen können, die an die Nachkommen weitergegeben werden. So reagieren Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft Misshandlungen erdulden mussten, überempfindlich auf Stress und entwickelten ein ängstlicheres Naturell. Evolutionsbiologisch ist das sinnvoll: Die Kinder sind so vorsichtiger und besser auf eine unsichere potenziell gefährliche Umwelt eingestellt.
Alle Themen aus unserem Gen-Special
Teil 2: Epigenetik - Gene sind kein Schicksal
Teil 3: Erbgut, Gene, Chromosomen
Teil 4: Das Geheimnis der Vererbung
Teil 5: Mutationen – Fehler im Gencode
Teil 6: Genforschung - Der geknackte Code
Teil 7: Gentests - Der entschlüsselte Mensch
Teil 8: Gentechnik - Manipulierter Bauplan
Teil 9: Gentherapie – Geflicktes Erbgut
Autoren- & Quelleninformationen
- Graw, J.: Genetik. Springer 2010