Die gerettete Brust
Sich die gesunden Brüste amputieren zu lassen, ist ein drastischer Schritt. Trotzdem entscheiden sich manche Frauen dazu – weil sie ein hochgefährliches Brustkrebsgen in sich tragen. Nun gibt es Hoffnung, dem hohen Krebsrisiko mit einem Medikament statt des Skalpells Paroli zu bieten.
Über Frauen mit einer bestimmten Variante des Gens BRCA1 schwebt ein Damoklesschwert. Denn das Gen, das eigentlich verhängnisvolle Veränderungen im Brustgewebe reparieren soll, arbeitet nicht richtig. Mit durchschnittlich 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit erkranken seine Trägerinnen an einer aggressiven Form von erblichem Brustkrebs. Und auch ihr Risiko für Eierstockkrebs ist deutlich höher.
Viele sehen ihre Mütter, Tanten, Schwestern sterben. Manche fassen daraufhin einen extremen Entschluss. Sie lassen sich vorsorglich die Brüste abnehmen - und oft auch die Eierstöcke entfernen. Kunstbrüste, vorzeitige Wechseljahre, mitunter auch Kinderlosigkeit sind der Preis, den sie für ihre verbesserte Überlebenschance zu zahlen bereit sind.
Knochenmedikament gegen Krebs
Die Entscheidung, aktiv zu werden, bevor der Krebs ausbricht, könnte in Zukunft erheblich leichter werden. Denn es gibt vielleicht schon bald eine Alternative zu dem drastischen Schritt einer Operation: einen Wirkstoff, der die Gefahr zu erkranken, erheblich reduziert. Besser noch: ein Medikament, das bereits zugelassen ist - wenn auch für ganz andere Erkrankungen. Denosumab heisst der Wirkstoff. Ein Antikörper, der derzeit vor allem gegen Knochenschwund verschrieben wird.
Ein Anti-Osteoporosemittel gegen Brustkrebs? „Das ist gar nicht so abwegig“, sagt Verena Sigl vom Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie im Gespräch mit NetDoktor. Die junge Wissenschaftlerin hat die jüngste Veröffentlichung zu dem Thema als Doktorandin mit erarbeitet. Wie die österreichischen Forscher zuvor herausgefunden hatten, haben Brustgewebe und Knochensubstanz eine ungeahnte Gemeinsamkeit. Beide sprechen auf denselben Botenstoff an: RANKL.
Ungeahnte Verbindung von Knochen und Brüsten
RANKL dockt passgenau an die Oberfläche von Knochengewebszellen, aber auch Brustzellen an. Beide sind mit bestimmten Oberflächenproteinen bestückt, sogenannten Rezeptoren, die RANK genannt werden. Dockt RANKL an Knochenzellen an, löst das den Befehl zum Knochenabbau aus. Denn Knochensubstanz wird im menschlichen Körper stetig auf- und abgebaut – ein Prozess, der idealerweise in einem dynamischen Gleichgewicht steht.
Im Brustgewebe stösst RANKL eine andere Kettenreaktion an: Es sendet den Brustzellen ein Signal, das diese zum Wachstum anregt. „Biologisch ist das sehr clever“, sagt Sigl. Denn für die Milchproduktion benötigt die Frau viel Kalzium. Unter anderem stammt das aus den Knochen. Progesteron – „das Schwangerschaftshormon schlechthin“, wie Sigl sagt, steigert die Freisetzung von RANKL um das 2000-Fache. So wird durch den verstärken Knochenabbau viel Kalzium bereitgestellt, das dem Kind zugutekommt. Und gleichzeitig regt es das Brustgewebe dazu an, zu wachsen und sich auf die Milchproduktion einzustellen.
Unkontrolliertes Zellwachstum
Besonders Frauen mit problematischen BRCA1-Varianten wird jedoch diese geniale biologische Doppelwirkung zum Verhängnis. „Ist das RANKL-Signal zu stark, können die Brustzellen unkontrolliert zu wuchern beginnen“, erklärt Sigl.
Darauf wiesen zuerst Tierexperimente hin. Die Forscherin untersuchte dazu Mäuse, die eine Mutation am BRCA1-Gen trugen. Im Brustgewebe von Tieren, in denen RANKL aktiv war, entwickelten sich Krebstumoren sowie zahlreiche Vorstufen für Krebs. Bei Mäusen aber, bei denen die Forscher die Andockstellen für RANKL, also die RANK-Rezeptoren, genetisch blockiert hatten, entdeckten sie bei keinem einzigen Tier Karzinome – und auch Vorstufen von Krebs waren deutlich seltener.
Wachstumsbremse in der Petrischale
Ob sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen, überprüften die Wissenschaftler in einem weiteren Experiment: Sie testeten die Wirkung des RANK/RANKL-Blockierers Denosumab an Zellkulturen, die sie aus dem Gewebe von Frauen mit verändertem BRCA1-Gen gewonnen hatten. „Sobald wir das Medikament zugegeben hatten, reduzierte sich das Wachstum der Brustkrebszellen drastisch“, sagt Sigl. Warum das passiert, können die Forscher allerdings noch nicht sagen: „Wir kennen die genauen Zusammenhänge noch nicht“, so Sigl.
Auch wie wirksam und nachhaltig Denosumab oder ein ähnlicher Wirkstoff bei Frauen mit einem BRCA1-Gen tatsächlich vor Krebs schützen könnte, lässt sich noch nicht abschätzen. „Ich lege aber viel Hoffnung darein. Mit der Blockade von RANK beziehungsweise RANKL schaltet man ein ganz zentrales Glied in der Signalkette ab.“
Vorsorge ohne Skalpell
Etwa eine von 300 Frauen trägt die verhängnisvollen ererbten Brustkrebsgene in sich. Die vielleicht bekannteste von ihnen ist die amerikanische Schauspielerin Angelina Jolie: Oscarpreisträgerin, UN-Sondergesandte, sechsfache Mutter – eine Frau, die zu den schönsten der Welt gezählt wird.
Auch sie liess sich die Brüste entfernen. 2013 veröffentlichte die New York Times einen eindringlichen Brief der damals 38-Jährigen an ihre Schicksalsgenossinnen: „Mein Risiko, Brustkrebs zu bekommen ist von 87 Prozent auf fünf Prozent gesunken. Ich kann meinen Kindern jetzt sagen, dass sie keine Angst haben müssen, mich an den Brustkrebs zu verlieren.“
Es besteht Hoffnung, dass Frauen diesen Satz in nicht allzu ferner Zukunft auch ohne drastische Operationen sagen können.