Traurige Seniorin im Pflegeheim

Coronakrise: S.O.S. im Pflegeheim

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Seit Wochen haben sich deutsche Pflegeheime auf den Ernstfall vorbereitet. Jetzt ist es soweit: Das Coronavirus ist in den ersten Einrichtungen angekommen. Hier trifft es auf die Verletzlichsten unserer Gesellschaft – alte Menschen und Schwerkranke. Die ersten von ihnen sind gestorben. Es werden nicht die letzten sein.

„So weit ist es bei uns noch nicht“, sagt die Altenpflegerin Ilka Steck im Gespräch mit NetDoktor. Trotzdem hätten davor alle Angst. „Durch das Besuchsverbot sind wir Pflegenden selbst im Moment die grösste Gefahrenquelle für die Bewohner, das ist sehr bedrückend.“

Auch in der Freizeit hat deshalb Ansteckungsvermeidung bei allen Mitarbeitern höchste Priorität. Sie drillen ihre Familien, Abstand zu halten – die Sorge, das Virus ins Pflegeheim einzuschleppen, ist gross.

Dienstpläne in Coronazeiten

Steck arbeitet seit vielen Jahren als Altenpflegerin in einem Pflegeheim der evangelischen Heimstiftung im Baden-Württembergischen Langenau. Insgesamt 99 alte Menschen werden dort in familiären Wohngruppen betreut.

Angesichts der Bedrohung haben Steck und ihr Team ihre Dienstpläne umgeschrieben: „Es arbeiten immer dieselben Mitarbeiter zusammen. Und die versorgen immer dieselben Mitbewohner“, berichtet sie. So hoffe man die Erkrankung, wenn sie denn ausbricht, einzudämmen.

Teamwork aus der Distanz

„Wir schauen darauf, dass Mitarbeiter untereinander mindestens anderthalb Meter Abstand einhalten“, berichtet die Altenpflegerin ausserdem. In der pflegerischen Versorgung sei das natürlich meist nicht möglich. Aber einen niedergeschlagenen Bewohner nicht nur körperlich zu pflegen, sondern auch Mal in den Arm zu nehmen wird immer schwieriger.

Auch ein freundliches Lächeln können die Bewohner bei ihren Pflegekräften nur noch an den Augen ablesen: „Wir tragen jetzt die ganze Schicht über Mundschutz - angenehm ist das nicht“, so Steck.

Steigende Sterbezahlen auch für Deutschland erwartet

Lag der Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zunächst auf den Kliniken, kommt endlich auch die Pflegebranche zunehmend ins öffentliche Bewusstsein. Das Robert Koch-Institut rechnet damit, dass die Zahl der Corona-Toten jetzt auch in Deutschland deutlich steigen wird. Anfangs waren es vor allem jüngere, fitte Menschen, die sich das Virus in den Skiferien oder dem Karneval einfingen. Jetzt erreicht es zunehmend auch die Älteren. Die, die ihm am wenigsten entgegensetzen können.

Die Versorgung muss weiterlaufen

Vergangene Woche stellte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ein Massnahmenpaket vor, das durch einen pragmatischen Angang die Pflege in der Krise am Laufen halten soll. Massgeblich mitgearbeitet an dem Entwurf hat der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus.

Seine Aufgabe ist es, die Interessen der Betreuten und der Pflegekräfte in der Politik zu vertreten. Worum es dabei geht, weiss er aus eigener Erfahrung: Er hat selbst lange Jahre als Pfleger gearbeitet. „Jetzt müssen wir alles tun, damit die Versorgung weiterläuft“, sagt er. Ziel sei es, pragmatische Lösungen zu finden, die sich schnell umsetzen lassen.

Bürokratie wird ausgesetzt

Eine davon: Bürokratische Aufgaben wie die Pflicht zur strengen Dokumentation sollen ausgesetzt werden. Sie fressen viel Zeit, die dann in der Pflege fehlt.

„Es ist gut, dass sie den Druck rausnehmen“, sagt Steck. Für sie persönlich machten aber solche Ausnahmeregelungen keinen wesentlichen Unterschied. „In Notsituationen ist uns ohnehin klar, dass wir nicht zuerst Fragebögen ausfüllen, sondern uns um die Bewohner kümmern“, so die Altenpflegerin.

Eine weitere Massnahme: Man hat den sogenannten Betreuungsschlüssel vorerst aufgehoben. Er soll normalerweise sicherstellen, dass eine Pflegekraft nicht zu viele Menschen auf einmal betreuen muss.

Altenpflegerin Steck kommentiert das mit einem Seufzen. „Wir kommen ja ohnehin nicht aus einer Situation, in der wir top besetzt sind und jetzt bloss einfach mal ein bisschen schneller arbeiten müssen.“ Schon jetzt gingen alle über ihre Grenzen hinaus. „Uns ist klar, dass es trotzdem irgendwie weitergehen muss, auch wenn die Hälfte der Kollegen ausfällt. Da ist dann nix mehr mit normalem Schichtdienst.“

Beeindruckende Hilfsbereitschaft

Füllen könnten die zu erwartenden Lücken zumindest in Teilen Menschen, die früher in Pflegeberufen gearbeitet haben und jetzt Zeit hätten, sagt Westerfellhaus. „Unser Appell an sie ist: ‚Wir brauchen euch dringend, in jedem Bereich‘.“

Wer gerade erst in den Ruhestand gegangen ist, könne sich vielleicht vorstellen, einige Monate weiterzuarbeiten. Auch andere, die den Beruf einst ausgeübt haben und jetzt unterstützen wollen, seien hochwillkommen. Und wer derzeit in Teilzeit arbeitet, könne vielleicht aufstocken.

„Wie viele sich da jetzt melden, ist beeindruckend“, sagt Westerfellhaus. Wichtig sei nun dafür zu sorgen, dass die Helfer schnell und unbürokratisch loslegen können. Das funktioniere leider noch nicht überall reibungslos.

Grenzen auf für Pflegekräfte

Mit den Grenzschliessungen wurden zudem erstmal alle Arbeitskräfte aus Tschechien und Polen zurückgewiesen. Inzwischen sollen aber Pendler, die einen Arbeitsvertrag im medizinischen Bereich oder der Altenpflege nachweisen können, die Landesgrenzen wieder passieren dürfen.

In der Theorie. „In der Praxis hakt es auch da noch - hier muss Deutschland bilateral mit jedem Land einzeln verhandeln “, berichtet Westerfellhaus. Viele Arbeitskräfte kämen zudem nicht mehr, weil sie Angst hätten ihre Familien in dieser schwierigen Situation in der Heimat zurückzulassen.

Beschäftigte, die als häusliche 24-Stunden-Pflegekräfte gearbeitet haben, sind natürlich noch einmal ein Sonderfall. Und deren Anteil an der pflegerischen Versorgung sei erheblich. „Das wird für viele Betroffene und ihre Angehörigen sehr schwer“, sagt Westerfellhaus besorgt, der in diesem Bereich derzeit die grössten Probleme sieht.

Ausländische Pflegekräfte in Quarantäne?

Eine weitere Option ist das Anwerben neuer ausländischer Pflegekräfte. Derzeit wird diskutiert, diese zunächst für zwei Wochen in den vielen leerstehenden Hotelzimmern in Quarantäne unterzubringen.

„Das ist sicher berechtigt,“ so Westerfellhaus. Auch heimkehrende deutsche Kräfte könnten ja nicht gleich loslegen, damit sie die Betreuten nicht gefährden. Er könne sich aber vorstellen, dass eine solche Massnahme die Motivation herzukommen und zu arbeiten, erheblich dämpfe.

Skypen mit den Enkeln

Noch läuft in Ilka Stecks Pflegeheim alles in ruhigen Bahnen. Dass es die Ruhe vor dem Sturm ist, fürchtet aber nicht nur sie. „Man spürt schon, dass einige trauriger sind und demente Menschen unruhiger“, sagt Steck. Immerhin helfe jetzt, dass man über die Jahre ein Stück weit zu einer Art Familie zusammengewachsen sei.

Auf zwei gespendeten Laptops haben sie jetzt Skype installiert, damit wenigstens Videotelefonate mit den Lieben möglich sind. „Und wir haben einen grossen Balkon.“ Da stünden die Bewohner dann oben und können ihren Familien wenigstens zuwinken. „Wir hoffen jetzt einfach, dass es an uns vorbeigeht“, sagt Steck. Mit ihr hoffen 600 000 Pflegekräfte in Deutschland.

Lernen für die Zukunft

Und nach der Krise? Wird wieder alles wie es war?

„Nein“, sagt Westerfellhaus. Er habe nicht nur die Hoffnung, er sei sogar absolut sicher, dass man nicht zum Status quo zurückkehre. „Jetzt hat jeder von uns erlebt: Wir haben nicht genügend Pflegekräfte, wir haben zu wenig Schutzkleidung, zu wenig Atemgeräte – das darf nicht wieder passieren!“

Notwendig sei eine grundsätzliche Aufwertung der Tätigkeit in versorgenden Berufen, damit sie wieder attraktiver würden. „Diese Diskussion gewinnt jetzt ganz anders an Fahrt. Schade, dass es dafür erst zur Krise kommen musste.“

„Klatschen allein reicht nicht“

Auch Ilka Steck hofft auf einen Wandel nach Corona: „Der Applaus auf den Balkonen zeigt, dass die Menschen wahrnehmen, was wir leisten“, sagt sie. „Aber Klatschen allein reicht nicht.“ Künftig müsse man endlich angemessene Arbeitsbedingungen schaffen und die Menschen anständig bezahlen.

Jeder Einzelne solle dann auch bereit sein, ein Prozent mehr in die Pflegekasse zu. Steck sagt: „Leute, jetzt hängen wir uns für Euch rein. Aber: So kann es in Zukunft nicht weitergehen!“ Sie sagt es mit einem Lachen, aber auch mit grossem Nachdruck.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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