Frau im Homeoffice mit Wein

Corona und Alkohol: Wie wirkt sich die Krise aus?

Von , Medizinredakteurin
Lisa Vogel

Lisa Vogel hat Ressortjournalismus mit dem Schwerpunkt Medizin und Biowissenschaften an der Hochschule Ansbach studiert und ihre journalistischen Kenntnisse im Masterstudiengang Multimediale Information und Kommunikation vertieft. Es folgte ein Volontariat in der NetDoktor-Redaktion. Seit September 2020 schreibt sie als freie Journalistin für NetDoktor.

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Die Krise ist noch lange nicht zu Ende: Bars und Kneipen haben vielerorts noch immer geschlossen. Viele Menschen trinken deshalb häufiger zu Hause Alkohol und so mancher auch mehr. Driften derzeit mehr Menschen in eine Abhängigkeit? Und wie geht es denen, die bereits süchtig sind?

„Die Corona-Krise trägt auf jeden Fall dazu bei, dass sich das Trinkverhalten mancher Menschen verändert hat“, sagt Stefan Fischer im Gespräch mit NetDoktor. Der Suchttherapeut leitet die Beratungsstelle des Blauen Kreuzes in München. Die Organisation hilft Suchtkranken, einen Weg aus der Abhängigkeit zu finden. In den vergangenen Wochen gingen hier vermehrt Anrufe von Betroffenen ein.

Mehr trinken in der Krise?

Doch die Krise wirkt sich auch auf jene aus, die noch keine manifestierte Suchterkrankung haben. Gefährdet sind jetzt beispielsweise die, die auch sonst nach der Arbeit zwei oder drei Feierabendbiere zur Entspannung trinken – und dabei oft nicht ahnen, dass dieses Trinkverhalten bereits riskant ist.

„Im Homeoffice oder ohne die soziale Kontrolle fangen die Leute damit unter Umständen schon früher am Tag an“, sagt Fischer. Die Corona-Krise kann dann als eine Art Katalysator dienen und das Trinken verstärken – bis hin zur Sucht. „Das betrifft vor allem Menschen, die eher allein oder sogar heimlich trinken.“

Der Konsum verlagert sich ins eigene Heim

Weil sich der Konsum ins eigene Heim verlagert, können Konflikte in der Partnerschaft und der Familie aufbrechen. „Regelmässiger oder übermässiger Konsum springt den Partnern oder Mitbewohnern eher ins Auge“, weiss der Suchttherapeut.

Das wiederum kann dazu beitragen, dass die Sucht erstmals sichtbar wird. Sprechen die Angehörigen den Betroffenen darauf an, kann das hohe Wogen schlagen: von Abstreiten, über Trotz und Zorn bis zur Verzweiflung.

Ein Drittel mehr Wein und Bier

Ob tatsächlich insgesamt mehr getrunken wird, ist unklar. Im Vergleich zum Vorjahr hamsterten die Deutschen zwar nicht nur mehr Klopapier - von Ende Februar bis Ende März 2020 kauften sie auch 34 Prozent mehr Wein, 11,5 Prozent mehr Bier, 31 Prozent mehr Schnaps und sogar 87,1 Prozent mehr Alkoholmixgetränke. Dagegenrechnen muss man aber all den Alkohol, der sonst in Restaurants und Bars fliesst.

Wer nicht allein trinkt, trinkt weniger

Tatsächlich hat die Corona-Krise bei manchen auch einen gegenläufigen Effekt auf den Alkoholkonsum, so Fischer. Wer nur in Gesellschaft trinkt, konsumiert in den Monaten von Kontaktsperre und Isolation automatisch weniger. „Wer nur in der Stammkneipe oder oder im Club mit Freunden zu viel konsumiert, hatte momentan dazu keine Gelgenheit mehr.“

Isolation, Unsicherheit, Ängste fördern Suchtverhalten

Besonders gefährdet sind in der Corona-Krise auch Menschen, die bereits an einer Suchterkrankung leiden, weiss Stefan Fischer. Das gilt sowohl für jene, die noch trinken, als auch Menschen, die bereits einen Weg in die Abstinenz gefunden haben – und denen nun ein Rückfall droht. „Einige arbeiten im Homeoffice, andere sind vielleicht gänzlich allein - die soziale Kontrolle fällt dadurch einfach weg“, sagt der Suchttherapeut.

Auch Langeweile und der Wegfall der Tagesstruktur kann in der Krise dazu beitragen, dass sich eine bestehende Sucht verschlimmert.

Bei Abstinenten steigt in solchen Ausnahmesituationen das Risiko für einen Rückfall: Unsicherheit, Ängste und Sorgen können einen sogenannten Suchtdruck auslösen – ein starkes Verlangen, etwas zu trinken, das auch langjährige Abstinenzler überfallen und schwach machen kann.

Sucht erkennen

Doch wo ist die Grenze zwischen Genusstrinken, riskantem Konsum und einer Sucht? An der Menge allein lässt sich das nicht festmachen. Je nach Geschlecht, genetischer Veranlagung und Trinkgewohnheit kann eine andere Menge irgendwann „zu viel“ sein.

Denn eine Alkoholabhängigkeit kommt schleichend über Jahre. Der regelmässige Konsum wirkt zerstörerisch Körper, Psyche und Verhalten des Betroffenen . Negative Konsequenzen sind körperliche Erkrankungen, Verlust von sozialen Beziehungen, Vernachlässigen anderer Interessen, Jobverlust.

Wenn innerhalb eines Jahres drei der folgenden Merkmale auftreten, liegt eine Suchterkrankung vor:

  • Starker Wunsch und/oder Zwang, das Suchtmittel zu konsumieren
  • Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Menge und/oder der Beendigung des Konsums
  • Körperliche Entzugserscheinungen
  • Toleranzentwicklung gegenüber dem Suchtmittel bzw. Steigerung der Dosis
  • Erhöhter Zeitaufwand, um das Suchtmittel zu beschaffen oder sich von den Folgen des Konsums zu erholen, verbunden mit der Vernachlässigung anderer Interessen
  • Fortsetzung des Konsums trotz sozialer, psychischer oder Folgeschäden

Hilfe auch in der Corona-Krise

Wenn Sie bei sich selbst oder einer Person Ihres Umfeldes bemerken, dass der Alkoholkonsum grenzwertig ist oder bereits ausser Kontrolle geraten sein könnte, können Sie sich anonym und unverbindlich an Suchtberatungsstellen wenden. Eine Übersicht über Organisationen, Verbände und Selbsthilfeangebote finden Sie im Artikel „Sucht – Hilfe und Adressen“.

Auch das Blaue Kreuz ist währen der gesamten Corona-Krise weiterhin erreichbar. „Wir haben trotz Beschränkung den Kontakt zu unseren Klienten gehalten – eben telefonisch oder virtuell“, sagt Stefan Fischer.

Verstärkt virtuelle Angebote

Die Corona-Krise hat dazu geführt, dass das Beratungsangebot auch auf anderen Kanälen stattfindet. Das kann durchaus Zukunft haben: Gerade für ländliche Regionen, in denen die nächste Beratungsstelle oder Selbsthilfegruppe weiter entfernt ist, sind virtuelle Gespräche und Therapiesitzungen eine gute Möglichkeit.

Inzwischen hat Stefan Fischers Beratungsstelle in München wieder geöffnet – natürlich unter Hygienevorschriften. Sein Angebot: „Wenn jemand Hilfe braucht, egal welcher Art, kann er uns telefonisch kontaktieren. Dann schauen wir, wie wir demjenigen am besten weiterhelfen können.“

Blaues Kreuz: 049 202 62003-0 (https://www.blaues-kreuz.de/de/wege-aus-der-sucht/)

BZgA - Infotelefon zur Suchtvorbeugung: 0221 - 89 20 31 (Mo - Do, 10 - 22 Uhr; Fr - So, 10 - 18 Uhr (https://www.bzga.de/service/infotelefone/suchtvorbeugung/)

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Lisa Vogel hat Ressortjournalismus mit dem Schwerpunkt Medizin und Biowissenschaften an der Hochschule Ansbach studiert und ihre journalistischen Kenntnisse im Masterstudiengang Multimediale Information und Kommunikation vertieft. Es folgte ein Volontariat in der NetDoktor-Redaktion. Seit September 2020 schreibt sie als freie Journalistin für NetDoktor.

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