Bluthochdruck: Sind die Zielwerte zu lasch?
Bislang galten Blutdruckwerte von unter 140 mmHg als guter Zielwert für Hypertoniker. Die aktuelle SPRINT-Studie lässt daran erhebliche Zweifel aufkommen. Doch was bedeutet das für den einzelnen Patienten?
Die Meldung erregte bereits im September Aufsehen: Die SPRINT genannte Studie zur Bluthochdrucktherapie werde vorzeitig abgebrochen, teilten die Wissenschaftler damals mit. Den Zwischenergebnissen zufolge bewahrte eine intensive Therapie mit systolischen Blutdruckzielwerten unter 120 mmHg die Teilnehmer so eklatant öfter vor dem vorzeitigen Tod als eine Standardtherapie, dass den übrigen Studienteilnehmern eine entsprechende Behandlung nicht länger vorenthalten werden konnte. Nun wurden die Daten der Studie im renommierten New England Journal of Medicine nachgereicht.
„Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen Blutdruck und Herz-Kreislauf-Risiken“, sagt Studienleiter Paul Whelton in einem Interview mit dem ehemalige Präsidenten der American Heart Association, Dan Jones. „Jede blutdrucksenkende Therapie reduziert das Risiko. Die grosse Frage war: Wie tief gehen wir?“ Derzeit gelten systolische Werte von unter 140 mmHg als ausreichendes Ziel für Bluthochdruckpatienten.
Blutdruck unter 120
Dabei gibt es schon lange Hinweise, dass noch weniger mehr sein könnte. So zeigen Beobachtungsstudien an Menschen mit niedrigem Risiko für Herzkreislaufleiden, dass kritische Herz-Kreislauf-Ereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzversagen bis zu Werten von 115/75 mmHG kontinuierlich abnehmen.
27 Prozent weniger Todesfälle
Die aktuelle SPRINT-Studie mit mehr als 9000 Risikopatienten bestätigt nun die Wirksamkeit niedriger Zielwerte: Hier lag die Zahl der schweren Herz-Kreislauf-Zwischenfälle in der intensiv therapierten Gruppe nach etwas mehr als drei Jahren um 25 Prozent niedriger als bei Teilnehmern, deren Zielwert bei den bisher propagierten 140 mmHg lag. Zudem verstarben im Beobachtungszeitraum von den intensiv Therapierten 27 Prozent weniger. „Das sind beeindruckende Zahlen“, kommentiert Whelton. Sie waren so überzeugend, dass die Forscher damit schon jetzt an die Öffentlichkeit gehen wollten.
Mit drei Medikamenten zum Zielwert
Um Traumwerte von unter 120 mmHg zu erreichen, mussten die Teilnehmer im Schnitt 2,8 Medikamente einnehmen – ein Medikament mehr als für die Zielwerte der weniger intensiv therapierten Gruppe notwendig war. Im Schnitt wurde der Blutdruck bei ihnen so von durchschnittlich 139 mmHg auf 121 mmHg gesenkt. „Die wichtige Nachricht für die behandelnden Ärzte ist, dass das mit Standardmedikamenten möglich war“, sagt der Wissenschaftler. Allerdings traten auch häufiger Nebenwirkungen wie verschlechtere Nierenwerte auf. "Die Vorteile der Behandlung übertrafen die Nachteile jedoch bei Weitem“, so der Forscher. Ob das auch unter einer langfristigen Therapie so bleibt, ist indes offen.
Bunt gemischte Teilnehmergruppe
Teilgenommen an der Studie hatten Patienten, die mindestens 50 Jahre alt waren. 30 Prozent von ihnen waren sogar 75 Jahre und älter. Ihr systolischer Blutdruck lag zwischen 130 und 180 mmHg, obwohl die meisten von ihnen bereits Blutdrucksenker einnahmen. Ausserdem brachten sie mindestens einen zusätzlichen Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Leiden mit – beispielsweise rauchten sie oder waren übergewichtig. Ausgeschlossen von der Studie waren Menschen, die nierenkrank waren, die bereits einen Herzinfarkt erlitten hatten, deren Blutdruck besonders schwer zu kontrollieren war – und Diabetiker.
Fraglicher Vorteil für Diabetiker
Für Letztere hatte die viel beachtete ACCORD-Studie bereits zuvor ein anderes Ergebnis geliefert: Für Diabetiker mit Bluthochdruck liess sich kein Vorteil von Werten unter 120 mmHg gegenüber Werten zwischen 120 und 140 mmHg erkennen. Auch auf Basis dieser Untersuchung waren die Blutdruckzielwerte daraufhin weithin gelockert worden. „Allerdings ist die SPRINT-Studie der ACCORD-Studie statistisch überlegen“, schreiben Vlado Perkovic und Anthony Rodgers vom The George Institute for Global Health in Sydney in einem Kommentar zu der Untersuchung.
Massive Blutdrucksenkung für alle?
Zurück zur SPRINT-Studie: Was bedeutet das nun für den Einzelnen? Streng genommen liefert die Studie nur Behandlungshinweise für genau jene Typen von Patienten, die denen in der Studie entsprechen - beispielsweise einem 80-Jährigen, der Werte von 130 mmHg hat. „Wenn er keine Nebenwirkungen durch die Medikamente verspürt, könnte es richtig sein, seinen Blutdruck noch weiter zu senken“, sagt Whelton. Anders sieht es bei einem 30-Jährigen mit einem Wert von 136 mmHg aus, der ein familiäres erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes trägt. Auch für ihn könnten niedrigere Werte sinnvoll sein. „Doch das kann die Studie streng genommen nicht klären“, so der Forscher.
So oder so: Die Untersuchung wird nicht ohne Nachhall bleiben. „Zeit, die Blutdruckziele zu überdenken“, titelt dann auch der Kardiologe und frühere Präsident der University of Boston Aram V. Chobanian einen weiteren Kommentar. Eine mögliche Konsequenz könnte eine Anpassung der intentionalen Leitlinien sein.
Autoren- & Quelleninformationen
- American heart Associeation, Scientiffic Sessinos. “SPRINT-Results in Context”
- Aram V. Chobanian: Time to Reassess Blood-Pressure Goals, New England Journal of Medicine , November 9, 2015DOI: 10.1056/NEJMp1513290
- A Randomized Trial of Intensive versus Standard Blood-Pressure Control, The SPRINT Research Group, New England Journal of Medicine, November 9, 2015DOI: 10.1056/NEJMoa1511939
- Vlado Perkovic Anthony Rodgers: Redefining Blood-Pressure Targets — SPRINT Starts the Marathon New England Journal of Medicine, November 9, 2015DOI: 10.1056/NEJMe1513301