Östrogen

Von , Student der Humanmedizin
und , Ärztin
Lukas von Kunhardt

Lukas v. Kunhardt studiert Humanmedizin an der LMU München. Seit 2022 ist er Teil der NetDoktor-Redaktion und verfasst dort unter anderem medizinische Fachtexte. Er interessiert sich sehr für die Belange von Patienten und möchte ihnen durch seine Artikel den Zugang zur Medizin erleichtern.

Eva Rudolf-Müller

Eva Rudolf-Müller ist freie Autorin in der NetDoktor-Medizinredaktion. Sie hat Humanmedizin und Zeitungswissenschaften studiert und immer wieder in beiden Bereich gearbeitet - als Ärztin in der Klinik, als Gutachterin, ebenso wie als Medizinjournalistin für verschiedene Fachzeitschriften. Aktuell arbeitet sie im Online-Journalismus, wo ein breites Spektrum der Medizin für alle angeboten wird.

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Östrogen ist ein Hormon, das eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung der weiblichen Geschlechtsmerkmale und der Fortpflanzung spielt. Aber auch Männer bilden und brauchen geringe Mengen Östrogen. Lesen Sie hier mehr über die verschiedenen Östrogene (Östradiol, Östron, Östriol), ihre Wirkung und Normwerte sowie die Bedeutung erhöhter und erniedrigter Messwerte!

Was ist Östrogen?

Östrogene sind weibliche Geschlechtshormone. Die Eierstöcke, die Nebenniere und das Fettgewebe bei Frauen synthetisieren Östrogene aus Cholesterin. Auch die Hoden bei Männern produzieren geringe Mengen Östrogene.

Es gibt drei Hauptformen von Östrogen, die im Körper vorkommen: Östron (E1), Östradiol (E2) und Östriol (E3).

  • Östradiol: Das am stärksten wirksame und am häufigsten im Körper vorkommende Östrogen. Es ist für die meisten physiologischen Östrogen-Wirkungen verantwortlich.
  • Östron: Die zweithäufigste Form von Östrogen. Sie wird hauptsächlich in den Eierstöcken nach den Wechseljahren gebildet.
  • Östriol: Das Östrogen mit der schwächsten Wirkung. Der Körper bildet es vor allem während der Schwangerschaft.

Jede Östrogenform hat eine leicht unterschiedliche chemische Struktur und Aktivität, wodurch unterschiedlichen Auswirkungen auf den Körper entstehen. Die Kenntnis der verschiedenen Östrogenformen ist für Mediziner wichtig, um Erkrankungen zu diagnostizieren und zu behandeln, die mit einem hormonellen Ungleichgewicht zusammenhängen - wie zum Beispiel Unfruchtbarkeit.

Östrogen bei der Frau

Bei Frauen ist Östrogen für die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale verantwortlich. Es sorgt etwa dafür, dass die Brüste und Schamhaare wachsen und die Hüften breiter werden.

Ausserdem reguliert Östrogen den Menstruationszyklus und ist wichtig für die Fruchtbarkeit.

Schwankende Östrogenspiegel im Zyklusverlauf

Der Östrogenspiegel im Körper schwankt während des Menstruationszyklus als Reaktion auf die veränderte Hormonproduktion in den Eierstöcken.

Der Menstruationszyklus ist in drei Phasen unterteilt: die Follikelphase (1. Tag der Regelblutung bis zum Eisprung), den Eisprung (Tag 12-14 im Zyklus) und die Lutealphase (nach dem Eisprung bis Zyklusende)

  • In der Follikelphase ist der Östrogenspiegel niedrig, steigt aber allmählich an, wenn die Follikel in den Eierstöcken heranreifen.
  • Der Östrogenspiegel erreicht seinen Höhepunkt kurz vor dem Eisprung, etwa am Tag 12-14 des Menstruationszyklus.
  • Dieser Höchststand des Östrogens löst die Ausschüttung des luteinisierenden Hormons (LH) aus, das seinerseits den Eisprung auslöst.
  • In der Lutealphase sinkt der Östrogenspiegel leicht ab, bleibt aber erhöht.

Wie es mit dem Östrogenspiegel weitergeht, hängt davon ab, ob die beim Eisprung in den Eileiter entlassene Eizelle befruchtet wird:

  • Wenn die Eizelle befruchtet wird, steigt der Östrogenspiegel weiter an, um eine frühe Schwangerschaft zu unterstützen.
  • Wird die Eizelle nicht befruchtet, sinkt der Östrogenspiegel schliesslich ab und löst die Menstruation und den Beginn eines neuen Menstruationszyklus aus.

Die Schwankungen des Östrogenspiegels während des Menstruationszyklus haben eine Reihe von Auswirkungen auf den Körper. Durch sie verändert sich etwa die Konsistenz des Zervixschleims, der Säuregrad (pH-Wert) der Scheide und die Dicke der Gebärmutterschleimhaut. All das trägt dazu bei, eine Schwangerschaft zu ermöglichen.

Verhütung mit der Pille

Verhütungsmittel vom Typ Östrogen-Progesteron-Kontrazeptiva (auch bekannt als kombinierte orale Kontrazeptiva, KOK) enthalten synthetische Versionen von Östrogen und Progesteron. Sie unterdrücken die Freisetzung des luteinisierenden Hormons (LH) und des follikelstimulierenden Hormons (FSH). Dadurch verhindern sie den Eisprung.

Ausserdem verdicken Östrogen-Progesteron-Kontrazeptiva den Gebärmutterhalsschleim (Zervixschleim). Dadurch wird es für Spermien schwieriger, bis zur Eizelle vorzudringen, um sie zu befruchten.

Schliesslich beeinflussen die hormonellen Verhütungsmittel auch die Gebärmutterschleimhaut in einer Weise, dass eine eventuell doch befruchtete Eizelle sich dort weniger gut einnisten kann.

Insgesamt können Östrogen-Progesteron-Verhütungsmittel eine Schwangerschaft sehr wirksam verhindern, wenn sie korrekt und konsequent angewendet werden. Sie schützen aber nicht vor sexuell übertragbaren Infektionen (STIs), etwa mit Chlamydien - im Unterschied zum Verhütungsmittel Kondom.

Östrogen beim Mann

Bei Männern wird Östrogen hauptsächlich in den Hoden synthetisiert, und zwar in den Leydig-Zellen. Diese sind für die Produktion von Testosteron, dem primären männlichen Sexualhormon, verantwortlich. Sie produzieren aber auch geringe Mengen Östrogen, und zwar durch die Umwandlung von Testosteron über das Enzym Aromatase.

Auch das Fettgewebe produziert durch die Umwandlung von Testosteron über dasselbe Aromatase-Enzym geringe Mengen an Östrogen. Das bedeutet: Je höher der Fettanteil am Körpergewicht eines Mannes, desto höher die resultierende Östrogenproduktion.

Obwohl Östrogen in der Regel als weibliches Hormon gilt, spielt es auch in der männlichen Physiologie eine wichtige Rolle. Es beeinflusst unter anderem die Knochengesundheit, den Fettstoffwechsel und die kognitiven Funktionen.

Ein zu hoher Östrogenspiegel bei Männern hat jedoch negative Auswirkungen wie Gynäkomastie (Vergrösserung des Brustgewebes) und Unfruchtbarkeit.

Was sind die Normwerte?

Der Normalbereich für den Östrogenspiegel hängt von mehreren Faktoren ab, darunter Alter, Geschlecht und ob eine Schwangerschaft besteht. Ausserdem kann er je nach Labor und Testmethode variieren.

Zudem interpretieren Mediziner die Ergebnisse einer Östrogen-Bestimmung immer im Zusammenhang mit der Krankengeschichte und den Symptomen des Patienten oder der Patientin.

Die folgende Auflistung enthält übliche Normwerte (je nach Labor sind aber, wie gesagt, abweichende Normwerte möglich):

Geschlecht

Alter / Zyklusphase/ Schwangerschaft

pg/ml

m/w

bis 10 Jahre

18-48

w

bis 15 Jahre

24-240

w

120 Jahre

18-138

m

bis 120 Jahre

18-48

w

1. Trimester

155-3077

w

2. Trimester

409-6215

w

ohne Hormonersatztherapie

31-100

w

mit Hormonersatztherapie

51-488

w

mit hormonellen Verhütungsmitteln

48-342

w

Follikelphase

36-157

w

Lutealphase

47-198

w

rund um den Eisprung

58-256

Geschlecht

Alter

Östradiol Wert

w

0-2 Monate

163-803

m

0-2 Monate

60-130

w

3-12 Monate

32-950

m

3-12 Monate

25-71

w

1-3 Jahre

11-55

m

1-3 Jahre

13-88

w

4-6 Jahre

16-36,6

m

4-6 Jahre

15-62

w

7-9 Jahre

12-55,4

m

7-9 Jahre

17-24,4

w

10-12 Jahre

12-160

m

10-12 Jahre

12-47

m

13-15 Jahre

14-110

m

16-20 Jahre

30-169

m

> 21 Jahre

28-156

w

~13-50 Jahre

nach Zyklusphase

w

~51 Jahre

18,4-201

Normwerte für freies Östriol (E3)

Die Östriolspiegel sind bei nicht schwangeren Frauen sehr niedrig oder nicht nachweisbar, da Estriol hauptsächlich während der Schwangerschaft von der Plazenta produziert wird. Die Referenzwerte schwanken stark zwischen Laboren, daher entnehmen Sie diese bitte dem Befundbericht.

E1, E2 oder E3 - Wann wird welche Form von Östrogen gemessen?

Östron (E1) wird hauptsächlich nach der Menopause (= letzte Regelblutung) gebildet. Mediziner messen es hauptsächlich, um die Knochengesundheit und das Risiko für Osteoporose bei Frauen nach den Wechseljahren zu beurteilen.

Die Messung von Östradiol (E2) führt man häufig in der Reproduktionsmedizin und Gynäkologie durch, zum Beispiel bei:

Auch wenn man im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung medikamentös den Eisprung bei einer Frau auslöst (Ovulationsinduktion), misst man routinemässig den E2-Spiegel.

Das vor allem in der Schwangerschaft gebildete Östriol (E3) bestimmen Mediziner in der Regel, um das Wohlbefinden des Fötus zu überwachen. So hilft der E3-Spiegel, bestimmte Anomalien beim Ungeborenen wie das Down-Syndrom (Trisomie 21) oder Neuralrohrdefekte (z.B. offener Rücken) zu diagnostizieren.

Wann ist Östrogen zu niedrig?

Niedrige Östrogenwerte treten bei Frauen oft in der Perimenopause auf, d. h. in der Zeit vor der letzten Regelblutung (Menopause).

Ein niedriger Östrogenspiegel kann aber auch durch bestimmte Erkrankungen oder Behandlungen entstehen, z. B. durch das Turner-Syndrom, Magersucht (Anorexia nervosa), Chemotherapie oder Strahlentherapie.

Östrogen und Wechseljahre

In den Wechseljahren sinkt der Östrogenspiegel im Körper infolge des natürlichen Alterungsprozesses. Die Eierstöcke produzieren zunehmend weniger Östrogen. Dadurch wird der Menstruationszyklus unregelmässig und bleibt schliesslich ganz aus. Die letzte Regelblutung (Menopause) tritt in der Regel zwischen dem 45. und 55. Lebensjahr ein (im Schnitt mit 51 Jahren).

Der Östrogenrückgang in den Wechseljahren kann Körper und Psyche beeinflussen und verschiedene Beschwerden bereiten. Dazu zählen Hitzewallungen, nächtliche Schweissausbrüche, Scheidentrockenheit, Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen.

Langfristige Veränderungen des Östrogenspiegels in den Wechseljahren können auch gesundheitliche Probleme wie Osteoporose (Knochenschwund), Herzerkrankungen und kognitivem Abbau begünstigen.

Um die Auswirkungen der Wechseljahre abzumildern, entscheiden sich viele Frauen für eine Hormonersatztherapie (HRT). Dabei führt man dem Körper regelmässig synthetische Versionen von Östrogen und Progesteron zu, um die Hormonspiegel im Körper aufrechtzuerhalten.

Mehr Informationen finden Sie in unserem Artikel zum Östrogenmangel!

Wann ist Östrogen erhöht?

Verschiedene Faktoren können bei Frauen eine Östrogendominanz verursachen - also einen im Verhältnis zum Progesteronspiegel zu hohen Östrogenspiegel.

Dieses hormonelle Ungleichgewicht kann zum Beispiel durch eine Schwangerschaft, die Wechseljahre, bestimmte Medikamente und Erkrankungen wie Eierstocktumore entstehen. Auch Fettleibigkeit, Stress und die Belastung durch Umweltgifte können einen Östrogenüberschuss bei Frauen hervorrufen.

Bei Männern kann ein erhöhter Östrogenspiegel beispielsweise ein Anzeichen für eine Grunderkrankung wie das Klinefelter-Syndrom oder bestimmte Krebsarten sein.

Mehr Informationen finden Sie in unserem Text zur Östrogendominanz!

Was tun bei veränderten Östrogen-Werten?

Wenn die Östrogenwerte verändert sind, suchen Mediziner zunächst nach der Ursache dafür. In einigen Fällen weisen veränderte Östrogenwerte auf eine Erkrankung hin wie beispielsweise eine Schilddrüsenunterfunktion oder eine Funktionsstörung der Eierstöcke. Werden diese Erkrankungen behandelt, normalisieren sich oft auch die Östrogenspiegel.

Bei manchen Betroffenen ist eine Hormonersatztherapie (etwa in den Wechseljahren) oder eine Änderung der Lebensgewohnheiten sinnvoll, um die Östrogenwerte zu normalisieren.

Auf alle Fälle ist es ratsam, sich von einem Facharzt oder einer Fachärztin für Endokrinologie oder Gynäkologie beraten zu lassen, wenn die Blutwerte für Östrogen aus dem Rahmen fallen.

Autoren- & Quelleninformationen

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Datum :
Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Vorlage:
Dr. med. Karlheinz Zeilberger
Autoren:
Lukas v. Kunhardt
Lukas von Kunhardt

Lukas v. Kunhardt studiert Humanmedizin an der LMU München. Seit 2022 ist er Teil der NetDoktor-Redaktion und verfasst dort unter anderem medizinische Fachtexte. Er interessiert sich sehr für die Belange von Patienten und möchte ihnen durch seine Artikel den Zugang zur Medizin erleichtern.

Eva Rudolf-Müller
Eva Rudolf-Müller

Eva Rudolf-Müller ist freie Autorin in der NetDoktor-Medizinredaktion. Sie hat Humanmedizin und Zeitungswissenschaften studiert und immer wieder in beiden Bereich gearbeitet - als Ärztin in der Klinik, als Gutachterin, ebenso wie als Medizinjournalistin für verschiedene Fachzeitschriften. Aktuell arbeitet sie im Online-Journalismus, wo ein breites Spektrum der Medizin für alle angeboten wird.

Quellen:
  • Böhm, M. et al.: Männersprechstunde, Springer-Verlag, 2004
  • Hagemann, O.: Laborlexikon, www.laborlexikon.de (Abruf: 30.05.2019)
  • Labor Berlin - Charité Vivantes GmbH: www.laborberlin.com (Abruf: 30.05.2019)
  • Labor Berlin: Oestradiol (E2), unter: www.laborberlin.com (Abrufdatum: 14.04.2023)
  • Labor Berlin: Oestriol, freies (E3), unter: www.laborberlin.com (Abrufdatum: 14.04.2023)
  • Labor Berlin: Oestron (E1), unter: www.laborberlin.com/ (Abrufdatum: 14.04.2023)
  • Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie- und Geburtshilfe (DGGG): Peri- und Postmenopause, Stand: Januar 2020, unter: https://register.awmf.org (Abrufdatum: 14.04.2023)
  • Patel, S. et al.: Estrogen: The necessary evil for human health, and ways to tame it, in: Biomedicine & pharmacotherapy 2018, 102, 403–411, doi: 10.1016/j.biopha.2018.03.078
  • Pschyrembel Online, Klinisches Wörterbuch: www.pschyrembel.de (Abruf: 30.05.2019)
  • Schaenzler, N. & Bieger, W.: Laborwerte, Gräfe und Unzer Verlag, 2009
  • Vieten, M.: Laborwerte verstehen leicht gemacht, Georg Thieme Verlag, 2009
  • Weyerstahl, T. & Stauber, M.: Duale Reihe Gynäkologie und Geburtshilfe, Georg Thieme Verlag, 4. Auflage, 2013
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