Baclofen

Von Lisa Hein
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Baclofen gehört zu den wichtigsten Medikamenten bei erhöhter Skelettmuskel-Anspannung (Spastik). Der Wirkstoff wurde im Jahr 1962 zum ersten Mal hergestellt und ist inzwischen in zahlreichen Medikamenten enthalten. Er gilt allgemein als gut verträglich, kann in seltenen Fällen aber Müdigkeit und Magen-Darm-Beschwerden hervorrufen. Hier lesen Sie alles Wichtige über Baclofen. 

So wirkt Baclofen

Baclofen greift an einer bestimmten Andockstelle des Nervenbotenstoffes gamma-Aminobuttersäure (GABA) an - dem GABA-B-Rezeptor. Der Wirkstoff imitiert so die Wirkung von GABA und aktiviert die Rezeptoren. Diese sind speziell für die Muskelspannung zuständig. So kommt es zu einer Erschlaffung der betroffenen Muskulatur - eine bestehende Spastik wird gelindert.

Die menschliche Skelettmuskulatur wird durch bestimmte Botenstoffe (Neurotransmitter) aktiviert oder gehemmt. Normalerweise werden diese Botenstoffe entsprechend der äusseren Umstände ausgeschüttet.

GABA ist der wichtigste hemmende Botenstoff im zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark). Es sorgt unter anderem für Schlaf und Muskelerschlaffung und unterdrückt Muskelkrämpfe.

Bei Erkrankungen oder Verletzungen des Nervensystems ist dieses kontrollierte Gleichgewicht der Botenstoffe gestört und GABA manchmal nicht ausreichend wirksam. Das Nervensystem ist dann übererregbar. Spastiken - also unnatürliche, beständige Anspannungen der Muskulatur - können die Folge sein. Baclofen lindert sie.

Aufnahme, Abbau und Ausscheidung

Baclofen wird rasch und nahezu vollständig aus dem Darm ins Blut aufgenommen. Allerdings ist die Menge an Baclofen, die den tatsächlichen Wirkort (zentrales Nervensystem) erreicht, relativ gering. Bei sehr schweren Spastiken wird der Wirkstoff deshalb direkt in den Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (Liquor) eingebracht, um so hohe Konzentrationen am Wirkort zu erreichen.

Baclofen wird unverändert über die Nieren ausgeschieden.

Wann wird Baclofen eingesetzt?

Zu den Anwendungsgebieten (Indikationen) von Baclofen gehören:

  • Spastizität der Skelettmuskulatur durch Multiple Sklerose
  • Spastizität der Skelettmuskulatur durch eine Verletzung oder Funktionsstörung des Gehirns

So wird Baclofen angewendet

Normalerweise wird Baclofen in Form von Tabletten eingenommen - für eine bessere Verträglichkeit zusammen mit einer Mahlzeit. Bei schwerwiegenden Symptomen kann Baclofen aber auch als Infusion direkt in die Liquor-Flüssigkeit des Gehirns eingebracht werden.

Die Baclofen-Dosierung beträgt bei Erwachsenen maximal 75 Milligramm täglich (selten bis zu 120 Milligramm). Diese Menge sollte durch langsame Steigerung der Dosis erreicht werden, wobei für jeden Behandelten eine individuelle Dosis gefunden werden muss.

Man beginnt in der Regel mit drei Mal täglich fünf Milligramm und steigert die Dosierung dann so lange, bis sich die Symptome deutlich verbessert haben. Kinder und Jugendliche erhalten eine verringerte Dosis.

Normalerweise handelt es sich bei der Behandlung mit dem Wirkstoff Baclofen um eine Langzeitbehandlung. So wie der Therapiebeginn "einschleichend" erfolgt, muss das Absetzen des Wirkstoffes "ausschleichend" von Statten gehen: Die verabreichte Dosis wird über einen Zeitraum von etwa zwei bis drei Wochen schrittweise reduziert.

Welche Nebenwirkungen hat Baclofen?

Vor allem zu Beginn der Behandlung kann Baclofen Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Probleme, Müdigkeit oder Benommenheit (tagsüber) hervorrufen.

Gelegentlich, das heisst bei weniger als einem Prozent der Behandelten, treten unter anderem Mundtrockenheit, Sehstörungen, Kopfschmerzen und Zittern auf.

Was ist bei der Einnahme von Baclofen zu beachten?

Gegenanzeigen

Medikamente mit Baclofen dürfen nicht angewendet werden bei:

  • Krampfleiden (Epilepsie)
  • schweren Nierenfunktionsstörung

Der Wirkstoff sollte nur mit Vorsicht angewendet werden, wenn der Patient unter leichten bis mässig schweren Nierenfunktionsstörungen, schweren psychischen Erkrankungen oder akuten Verwirrungszuständen leidet. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Vergiftung mit Alkohol oder Schlafmitteln vorliegt.

Wechselwirkungen

Baclofen und andere zentral wirksame Substanten (wie Alkohol, Schlafmittel, Mittel gegen Depressionen oder starke Schmerzmittel) können sich gegenseitig in ihren Wirkungen und Nebenwirkungen verstärken.

Der Wirkstoff kann die Wirkung von Blutdruck-senkenden Mitteln verstärken, weshalb eine Dosisanpassung notwendig sein kann. In Einzelfällen ist eine Erhöhung der Leberenzymwerte möglich.

Verkehrstüchtigkeit und Bedienen von Maschinen

Da Baclofen das Reaktionsvermögen beeinträchtigen kann, sollten Patienten insbesondere bei Therapiebeginn auf eine aktive Teilnahme am Strassenverkehr und das Bedienen von schweren Maschinen verzichten. Dies gilt vor allem bei gleichzeitigem Konsum von Alkohol.

Altersbeschränkungen

Baclofen kann unter strenger ärztlicher Aufsicht schon bei Säuglingen angewendet werden.

Schwangerschaft und Stillzeit

Der Erfahrungsumfang zur Anwendung von Baclofen in Schwangerschaft ist sehr gering. Das Medikament gehört nicht zu den Mitteln der Wahl bei werdenden Müttern und sollte diesen nur in Ausnahmesituationen verabreicht werden. Im Zweifelsfall entscheidet der behandelnde Arzt, ob der individuelle Nutzen der Behandlung das Risiko überwiegt.

Auch in der Stillzeit ist eine strenge Nutzen-Risiko-Abwägung erforderlich. Experten vermuten, dass Baclofen in die Muttermilch übergeht. Die Folgen für den Säugling sind nicht bekannt.

Besser erprobte Alternativen gegen Spastiken in der Schwangerschaft und Stillzeit sind physiotherapeutische Massnahmen und Schmerzmittel wie Ibuprofen. Diazepam stellt eine mögliche Alternative dar, wenn kurzfristig eine spannungslösende Wirkung erzielt werden soll.

So erhalten Sie Medikamente mit Baclofen

Medikamente mit Baclofen sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz verschreibungspflichtig. Sie erhalten solche Medikamente deshalb in der Apotheke nur mit einem Rezept vom Arzt.

Seit wann ist Baclofen bekannt?

Baclofen wurde im Jahr 1962 zum ersten Mal synthetisiert und zunächst zur Behandlung von Krampfleiden eingesetzt. Auch eine schmerzlindernde Wirkung wurde dem Wirkstoff nachgesagt.

Erst zehn Jahre später (1972) erkannte man seine gute Wirkung bei Multipler Sklerose und Spastiken, die auf Rückenmarks- und Gehirnverletzungen beruhen. Mittlerweile wird Baclofen nur noch auf diesem Gebiet angewendet.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Quellen:
  • Geisslinger, G. et al.: Mutschler Arzneimittelwirkungen - Pharmakologie, Klinische Pharmakologie, Toxikologie, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 11. Auflage, 2020.
  • Herdegen, T.: Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie, Georg Thieme Verlag, 2. Auflage, 2010.
  • Karow, T. et Lang-Roth, R.: Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie, Thomas Karow Verlag, 29. Auflage, 2021.
  • Lemke, T. et al.: Foye’s Principles of Medicinal Chemistry, Lippincott Williams and Wilkins, 7. Ausgabe, 2013.
  • Pharmakovigilanz und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin: Baclofen, unter: www.embryotox.de (Abruf: 09.11.2021).
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