Verätzung

Von , Wissenschaftsjournalistin
und , Notfallsanitäter und Dozent im Rettungsdienst
Carola Felchner

Carola Felchner ist freie Autorin in der NetDoktor-Medizinredaktion und geprüfte Trainings- und Ernährungsberaterin. Sie arbeitete bei verschiedenen Fachmagazinen und Online-Portalen, bevor sie sich 2015 als Journalistin selbstständig machte. Vor ihrem Volontariat studierte sie in Kempten und München Übersetzen und Dolmetschen.

Andreas Fromm

Andreas Fromm ist Fachautor für Notfallmedizin und lehrt seit 2018 als Dozent an der Berufsfachschule für Notfallsanitäter und -sanitäterinnen der Feuerwehr Hamburg.

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Oft erleiden Kinder eine Verätzung, wenn sie beim Spielen oder Stöbern eine ätzende Substanz in die Finger kriegen. Erwachsene kann es etwa erwischen, wenn Sie beim Hausputz zu schwungvoll mit dem Abflussreiniger hantieren. Verätzungen sind ein medizinischer Notfall, weil sie schwere Folgen haben können. Welche das sind und wie Sie bei verschiedenen Arten von Verätzungen als Ersthelfer richtig reagieren, lesen Sie hier!

ätzende Gefahrenstoffe

Kurzübersicht

  • Was bedeutet Verätzung? Eine Verletzung von Haut oder Schleimhaut durch ätzende Substanzen wie Säuren, Laugen oder andere Chemikalien (z.B. Abflussreiniger).
  • Was tun bei Verätzung? Erste Hilfe: Rettungsdienst (112) rufen, Schutzhandschuhe überziehen, ätzende Substanz in bzw. auf der Haut/Schleimhaut verdünnen (z.B. schluckweises Wasser trinken bei Verschlucken einer ätzenden Substanz; bei Hautkontakt Haut unter fliessendem Wasser spülen), verätzte Hautpartien oder Augen steril abdecken; Betroffenen beruhigen und ggf. in Schocklage bringen
  • Verätzungs-Risiken: je nach Ausmass und Ort der Verätzung z.B. Erblindung oder Schleimhautschäden in Speiseröhre und Magen
  • Wann zum Arzt? Jede Verätzung sollte schnellstens ärztlich behandelt werden.

Achtung!

  • Eine Verätzung ist immer ein akuter Notfall, der lebensbedrohlich werden kann. Rufen Sie immer und schnellstmöglich den Rettungsdienst (112)!
  • Schützen Sie stets zuerst sich selbst, bevor Sie einem Patienten mit Verätzung helfen.
  • Tragen Sie dazu nach Möglichkeit spezielle Schutzhandschuhe, die der ätzenden Substanz standhalten. Die Einmalhandschuhe aus dem Erste-Hilfe-Kasten sind dazu nicht geeignet.
  • Bringen Sie eine Person, die eine ätzende Substanz geschluckt hat, niemals zum Erbrechen! Die Substanz würde sonst ein zweites Mal die Speiseröhre und den Rachen passieren und so weiteren Schaden anrichten.

Verätzung: Was tun?

Je nachdem, welcher Körperbereich betroffen ist, gibt es bei einer Verätzung unterschiedliche Erste-Hilfe-Massnahmen. Einige Dinge gelten jedoch immer:

  • Rufen Sie sofort den Rettungsdienst (112) bei einer Verätzung!
  • Falls verfügbar: Ziehen Sie zum Eigenschutz Spezialhandschuhe über, die ätzenden Substanzen standhalten können.
  • Beruhigen Sie den Betroffenen so gut wie möglich.
  • Decken Sie den Patienten zu, während Sie auf den Notarzt warten - das verhindert eine Unterkühlung.
  • Behalten Sie den Betroffenen im Auge und prüfen Sie regelmässig Bewusstsein, Atmung und Puls (Schock-Gefahr!)
  • Wird der Betroffene ohnmächtig, atmet aber noch selbstständig, bringen Sie ihn in die stabile Seitenlage.
  • Atmet der Patient nicht mehr oder nicht ausreichend, beginnen Sie mit der Wiederbelebung (Reanimation).

Erste Hilfe bei inneren Verätzungen

Gelangt eine ätzende Substanz über den Mund in den Körper, kann es für den Betroffenen sehr gefährlich werden – je nachdem, wie viel von der Substanz aufgenommen wurde. So leisten Sie bei einer inneren Verätzung Erste Hilfe:

  • Versuchen Sie, die ätzende Substanz, die in den Verdauungstrakt gelangt ist, zu verdünnen. Das heisst, lassen Sie den Betroffenen Leitungswasser in kleinen Schlucken trinken.
  • Zeigt der Betroffene Anzeichen eines Schocks (z. B. blasse Haut, Frieren/Zittern, kalter Schweiss), bringen Sie ihn in die Schocklage (flach auf den Rücken legen, Beine erhöht lagern).
  • Geben Sie, wenn möglich, dem Rettungsdienst das Behältnis mit der ätzenden Substanz. Wenn der behandelnde Arzt den Auslöser der Verätzung kennt, kann er die Behandlung ggf. anpassen.

Bringen Sie den Betroffenen nicht absichtlich zum Erbrechen! Die Substanz würde ein zweites Mal Speiseröhre und Rachen passieren und weiteren Schaden anrichten.

Erste Hilfe bei Verätzungen der Augen

Spritzer von Reinigungsmitteln können ebenso wie Kalkstaub (früher etwa als Markierung auf Sportplätzen verwendet) eine Verätzung im Auge verursachen. Dann sollten Sie schnell Erste Hilfe leisten, sonst droht Erblindung.

So gehen Sie als Ersthelfer bei Augen-Verätzungen durch Flüssigkeiten vor:

  • Legen Sie den Betroffenen flach auf den Rücken.
  • Drehen Sie den Kopf des Betroffenen so zur Seite, dass sich das verätzte Auge unten (in Bodennähe) befindet.
  • Spülen Sie das Auge mit Wasser aus, und zwar mindestens 15 Minuten lang bzw. bis der Rettungsdienst eintrifft. Giessen Sie dazu aus zirka zehn Zentimetern Höhe Wasser in den inneren Augenwinkel des betroffenen Auges oder lassen Sie das Wasser von der Nasenwurzel aus Richtung Auge/Boden fliessen. Das ist wichtig, damit es den gesamten Augapfel spült und das gesunde Auge nicht erwischt.
  • Falls der Notarzt nach dem Spülen noch nicht eingetroffen ist: Verbinden Sie das verätzte Auge mit einer sterilen Kompresse.

Hat jemand ätzenden Kalk ins Auge bekommen, dürfen Sie es nicht mit Wasser spülen! Das würde die Verätzung verstärken und zu Hornhauttrübung und Erblindung führen. Legen Sie stattdessen nur eine sterile Kompresse auf das Auge und warten Sie auf den Notarzt. Dieser übernimmt dann die weitere Behandlung.

Erste Hilfe bei Verätzungen der Haut

Je zarter die Hautpartie ist, die in Kontakt mit einer ätzenden Substanz gekommen ist, desto heftiger wird die Wunde ausfallen und desto höher ist das Risiko einer Narbenbildung. Handeln Sie als Ersthelfer umgehend:

  • Entfernen Sie vorsichtig alle benetzten Kleidungsstücke.
  • Spülen Sie den betroffenen Hautbereich mindestens 15 Minuten lang unter fliessendem Wasser oder - wenn kein Wasserhahn in der Nähe ist - mit ständig frischem Wasser aus einem Eimer o. Ä..
  • Lässt sich kein Wasser auftreiben, tupfen Sie die ätzende Substanz vorsichtig mit einem Tupfer (z. B. Zellstoff-Mullkompresse aus dem Erste-Hilfe-Kasten) ab. Verwenden Sie jeden Tupfer nur einmal!
  • Nach dem Spülen sollten Sie die betroffene Hautpartie steril verbinden.

Warnung: Geben Sie bei einer Verätzung der Haut keine Salben, Puder oder Ähnliches auf die betroffene Stelle. Das kann den Zustand der offenen Wunde verschlimmern! Finger weg auch von Öl oder Mehl, auch wenn es manchmal bei einer Verätzung der Haut als Hausmittel empfohlen wird!

Verätzung: Risiken

Die gesundheitlichen Risiken einer Verätzung hängen von mehreren Faktoren ab: Um welche ätzende Substanz handelt es sich? Wie stark ist sie konzentriert? Wie viel davon hat der Betroffene „abgekriegt“? Wie lange konnte die ätzende Substanz an Haut oder Schleimhäuten einwirken? Welche Körperstelle ist betroffen?

Welche Folgen eine Verätzung haben kann, lesen Sie in den folgenden Abschnitten.

Folgen einer inneren Verätzung

In jedem Fall bereitet eine Verätzung dem Betroffenen heftige Schmerzen. Bei einer Verätzung im Bereich von Mund, Speiseröhre und Magen-Darm machen sie sich in der Kehle, hinter dem Brustbein bis hinunter in den Bauch bemerkbar. Hinzu kommen starker Speichelfluss und ggf. Erbrechen. Wenn der Rachen infolge der Verätzung zuschwillt, stellt sich Atemnot ein.

Weitere Folgen und Risiken einer inneren Verätzung:

  • Oft treten Schleimhautblutungen auf. Zudem können sich Beläge und Geschwüre auf der Schleimhaut bilden.
  • Gelangt die ätzende Substanz in die Muskelschicht der Speiseröhrenwand, kann sie dort das Gewebe zerstören (Nekrose) sowie Wasserablagerungen im Gewebe (Ödeme) und Entzündungen verursachen.
  • Verätzungen können zu Vernarbungen an den Wänden von Speiseröhre und Magen führen. Die Speiseröhre kann durch die Vernarbung so verengt werden (Striktur), dass dem Betroffenen das Schlucken schwer fällt. Eine solche Verengung entwickelt sich oft erst einige Wochen nach der Verätzung.
  • Verätzungen können auch Löcher in die Wand von Speiseröhre und Magen „brennen“ (Perforation). Wenn durch diese Speichel und Nahrung in den Brust- bzw. Bauchraum austreten, können Entzündungen und Infektionen die Folge sein (z.B. Entzündung des Mittelfells = Mediastinitis, Bauchfellentzündung = Peritonitis).

Menschen mit einer geschädigten bzw. vernarbten Speiseröhre haben ein erhöhtes Risiko für Speiseröhrenkrebs.

Folgen einer Verätzung der Augen

Die Augen sind sehr empfindlich. Kommen sie in Kontakt mit ätzenden Substanzen, reagieren sie mit heftigen Schmerzen. Der Patient kneift reflexartig die Augenlider gegen die Schmerzen zusammen. Die Augen tränen stark. Zudem können akute Sehstörungen bis hin zur Erblindung auftreten.

Folgen einer Verätzung der Haut

Säuren und Laugen wirken unterschiedlich auf die Haut: Säuren lassen die Zelleiweisse oberflächlich gerinnen und verklumpen – das Gewebe stirbt ab (Koagulationsnekrose). Meist verhindert dieser Prozess, dass die Säure in tieferliegendes Gewebe vordringt.

Eine Lauge hingegen verflüssigt das Gewebe (Kolliquationsnekrose) und kann dadurch tief ins Gewebe eindringen. Sie kann deshalb unter Umständen schwerere Schäden anrichten als eine Säure.

Insgesamt werden Verätzungen der Haut je nach Schweregrad folgendermassen eingeteilt:

  • Schweregrad 1: Die Haut rötet sich, schwillt an und tut weh.
  • Schweregrad 2: Es bilden sich Risse in der oberen Hautschicht und Blasen. Eventuell blutet der Betroffene auch.
  • Schweregrad 3: Die ätzende Substanz zerstört die Haut so stark, dass sie nur schlecht wieder heilt. Es entstehen tiefe Wunden, die sich entzünden können.

Bei grossflächigen Hautverätzungen verliert der Betroffene unter Umständen viel Flüssigkeit: In das geschädigte Gewebe strömt viel Flüssigkeit aus dem Blutkreislauf ein, sodass es anschwillt (Ödembildung). Gleichzeitig verringert sich das Blutvolumen, was letztlich zu einem Schock (hypovolämischer Schock) führen kann.

Gelangen ätzende Substanzen über die Haut in den Körper, können innere Gewebe und Organe geschädigt werden.

Verätzung: Wann zum Arzt?

Jede Verätzung ist ein akuter Notfall, der lebensgefährlich werden kann. Deshalb sollten Sie mit dem Betroffenen schnellstens zum Arzt gehen beziehungsweise sofort den Rettungsdienst alarmieren. Je schneller der Arzt sich um eine Verätzung kümmert, desto höher ist die Chance, dass er das verätzte Gewebe retten kann.

Verätzung: Untersuchungen beim Arzt

Zunächst fragt der Arzt den Patienten (oder den Ersthelfer), womit er sich verätzt hat. Danach begutachtet er den betroffenen Körperbereich, um das Ausmass der Verätzung abzuschätzen. Je nach Bedarf schliessen sich weitere Untersuchungen an.

Beispielsweise kann der Arzt bei Patienten, die eine ätzende Substanz verschluckt haben, eine sogenannte Endoskopie durchführen. Dabei schiebt er einen dünnen Schlauch mit einer winzigen Kamera an der Spitze (Endoskop) vorsichtig über Mund und Speiseröhre bis in den Magen des Patienten. So kann er sich die Schleimhautschäden direkt betrachten.

Verätzung: Behandlung durch den Arzt

Die Behandlung einer Verätzung hängt davon ab, welcher Körperbereich wie stark geschädigt wurde. Wie es schon der Ersthelfer machen sollte, wird auch der Arzt in der Regel zunächst versuchen, die ätzende Substanz an Haut oder Schleimhaut zu verdünnen. Dabei kann er neben Wasser auch spezielle Spüllösungen verwenden.

Nach dem Spülen wird der Arzt die Wunden fachgerecht versorgen. So werden leichtere Hautverätzungen oftmals steril verbunden. Bei schwerwiegenderen Verätzungen von Haut und Schleimhäuten kann ein chirurgischer Eingriff nötig sein. Beispielsweise kann der Arzt dabei abgestorbenes Gewebe wegschneiden, um die Wundheilung zu unterstützen.

Ist Kalk (Zement) ins Auge geraten, darf das Auge nicht mit Wasser gespült werden. Stattdessen muss der Arzt vorhandene Splitter und Körnchen mit der Hand von der Hornhaut entfernen. Zuvor erhält der Patient meist eine lokale Betäubung.

Gegen starke Schmerzen kann der Arzt Schmerzmittel verabreichen. Gegebenenfalls sind noch weitere Medikamente nötig, zum Beispiel entzündungshemmendes Kortison. Zeigt der Patient Anzeichen eines Schocks infolge von Volumenmangel, erhält er Infusionen. Sie können das Flüssigkeitsdefizit rasch ausgleichen.

Verätzung vorbeugen

Einer Verätzung vorbeugen lässt sich am besten mit Aufmerksamkeit und Vorsicht:

  • Bewahren Sie Reinigungsmittel ausserhalb der Reichweite von Kindern auf, am besten in einem verschlossenen Schrank.
  • Füllen Sie ätzende Substanzen nicht in andere Behältnisse um (z.B. leere Getränkeflaschen). Ist dies aus irgendwelchen Gründen unvermeidbar, beschriften Sie den Behälter gross und deutlich!
  • Beim Hantieren mit ätzenden Substanzen sollten Sie konzentriert und vorsichtig vorgehen und sich nicht ablenken lassen.
  • Halten Sie sich beim Hantieren mit Chemikalien (etwa am Arbeitsplatz) immer an die entsprechenden Schutzvorschriften, um eine Verätzung zu vermeiden.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autoren:
Carola Felchner
Carola Felchner

Carola Felchner ist freie Autorin in der NetDoktor-Medizinredaktion und geprüfte Trainings- und Ernährungsberaterin. Sie arbeitete bei verschiedenen Fachmagazinen und Online-Portalen, bevor sie sich 2015 als Journalistin selbstständig machte. Vor ihrem Volontariat studierte sie in Kempten und München Übersetzen und Dolmetschen.

Andreas Fromm
Andreas Fromm

Andreas Fromm ist Fachautor für Notfallmedizin und lehrt seit 2018 als Dozent an der Berufsfachschule für Notfallsanitäter und -sanitäterinnen der Feuerwehr Hamburg.

Quellen:
  • Altmeyers Enzyklopädie: Verätzung, Stand: 15.05.2014, unter www.enzyklopaedie-dermatologie.de, Abruf: 25.11.2021
  • Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e. V.: Erste Hilfe. Alle wichtigen Schritte und Maßnahmen verständlich zusammengefasst, 21. überarbeitete Auflage 2020, unter www.asb.de, Stand: 2020
  • Deutsches Rotes Kreuz: Verätzungen, unter www.drk.de, Abruf: 25.11.2021
  • Pschyrembel Online: Verätzung, Stand: April 2016, unter www.pschyrembel.de, Abruf: 25.11.2021
  • Schrage, N. & Struck, H.G.: Leitlinie zur Behandlung von Verätzungen und Verbrennungen der Augen und der Lider / Verätzungen und Verbrennungen der Augen: Empfehlungen zur Behandlung AAD 2016, Stand: 2016
  • Schwab, R. et al.: Notfälle in der Allgemein- und Viszeralchirurgie, Springer-Verlag, 2019
  • Unfallkasse Hessen: Hilfen zum Helfen – Materialien für den Schulsanitätsdienst/Thema 19: Verätzungen, unter www.hilfe-zum-helfen.ukh.de, Abruf: 25.11.2021
  • Walter, P. & Plange, N.: Basiswissen Augenheilkunde, Springer-Verlag, 2017
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