Turner-Syndrom

Von , Ärztin
Mareike Müller

Mareike Müller ist freie Autorin in der NetDoktor-Medizinredaktion und Assistenzärztin für Neurochirurgie in Düsseldorf. Sie studierte Humanmedizin in Magdeburg und sammelte viel praktische medizinische Erfahrung während ihrer Auslandsaufenthalte auf vier verschiedenen Kontinenten.

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Das Turner-Syndrom (Ullrich-Turner-Syndrom, UTS, Monosomie X) ist eine genetisch bedingte Krankheit. Die Patienten sind stets weiblich und fallen durch einen Kleinwuchs auf. Da ihre Eierstöcke meist fehlgebildet sind, sind sie in der Regel unfruchtbar. Durch eine Hormontherapie kann das Wachstum gesteigert und die Pubertät eingeleitet werden. Lesen Sie hier alles über das Turner-Syndrom.

Turner-Syndrom

Turner-Syndrom: Beschreibung

Das Turner-Syndrom wird auch als Monosomie X bezeichnet. Es tritt bei einem von 2.500 Neugeborenen auf. Frauen mit Turner-Syndrom fehlen funktionierende Eierstöcke. Das Turner-Syndrom wird als Syndrom bezeichnet, weil verschiedene Krankheitszeichen vorliegen, die gleichzeitig auftreten und in einem Zusammenhang stehen. Man spricht auch von einem Symptomkomplex.

Die Turner-Syndrom-Symptome wurden bereits 1929 von dem deutschen Kinderarzt Dr. Otto Ullrich und 1938 von dem amerikanischen Arzt Dr. Henry Turner beschrieben. Daher wird für die Krankheit auch der Name Ullrich-Turner-Syndrom (UTS) verwendet. Doch erst 1959 ist es gelungen, das fehlende Geschlechtschromosom als Ursache ausfindig zu machen.

Die Monosomie X ist relativ häufig. Man geht davon aus, dass jeder zehnte Spontanabort im ersten Schwangerschaftsdrittel durch sie bedingt ist. Insgesamt sterben 99 Prozent der Feten mit dem Chromosomensatz "45, X0" während der Schwangerschaft.

Turner-Syndrom: Symptome

Patienten mit Turner-Syndrom sind stets weiblich. Die Turner-Syndrom-Merkmale sind vielfältig und treten nicht immer vollständig bei allen Patientinnen auf. Ausserdem sind sie altersabhängig, das heisst: Einige Symptome zeigen sich bereits vor oder kurz nach der Geburt, während andere Anzeichen erst im weiteren Lebenslauf auftreten.

Während einige Symptome nur schwach ausgeprägt sind oder fehlen können, ist ein Kleinwuchs mit einer Durchschnittsgrösse von 148 cm typisch für das Turner-Syndrom.

In allen Lebensabschnitten haben Turner-Syndrom-Patientinnen häufig

  • verkürzte Mittelhandknochen
  • einen tief sitzenden Haaransatz und eine verbreiterte Hautfalte an der Seite zwischen Nacken und Schultern (Flügelfell, Pterygium colli)
  • Fehlbildungen innerer Organe: z. B. Herzfehler (u. a. Aortenisthmusstenose, Vorhofseptumdefekt) oder Nierenfehlbildungen (z. B. Hufeisenniere)

Altersabhängige Turner-Syndrom-Symptome

Neugeborene fallen häufig durch Lymphödeme an den Hand- und Fussrücken auf. Dabei handelt es sich um Flüssigkeitsansammlungen in der Haut, die durch defekte Lymphbahnen entstehen.

Kleinkinder mit Turner-Syndrom haben häufig folgende Symptome:

  • breiter und flacher Brustkorb (Schildthorax) mit weit auseinanderliegenden Brustwarzen
  • viele Leberflecke (Naevi)
  • beginnende Osteoporose (Knochenschwund)

Im Jugendalter macht sich die Unterfunktion der Eierstöcke bemerkbar. Sind Eierstöcke vorhanden, bilden sich diese immer weiter zurück. Meist sind jedoch von Anfang an nur Stränge aus Bindegewebe (Streak-Gonaden) vorhanden. Dadurch bleibt die Pubertät aus.

Mädchen mit Turner-Syndrom haben keine Menstruationsblutung. Mediziner sprechen dann auch von einer primären Amenorrhö.

Weitere Turner-Syndrom-Merkmale

Weitere Anzeichen, die bei einem Turner-Syndrom auftreten können, sind:

Die geistige Entwicklung bei Patientinnen mit Turner-Syndrom verläuft in der Regel normal. Jedoch können aufgrund der Schwerhörigkeit Lernprobleme in der Schule auftreten.

Turner-Syndrom: Ursachen und Risikofaktoren

Turner-Syndrom: Worterklärungen

Um das Turner-Syndrom besser verstehen zu können, folgen hier einige Begriffserklärungen.

Das Turner-Syndrom beruht auf einer Chromosomenaberration. Darunter verstehen Mediziner, dass die Anzahl oder die Struktur der Chromosomen gestört ist.

Auf den Chromosomen sind unsere Erbinformationen gespeichert. Normalerweise liegen in jeder Zelle 46 Chromosomen vor. Dazu zählen auch zwei Geschlechtschromosomen. Beim weiblichen Karyotyp (Chromosomensatz) werden sie als XX bezeichnet, beim männlichen als XY.

Ein normaler Karyotyp wird als 46, XX beziehungsweise 46, XY beschrieben. Fehlt ein Chromosom spricht man von einer Monosomie.

Turner-Syndrom: verschiedene Karyotypen

Verschiedene Karyotypen können zum Turner-Syndrom führen:

  • 45, X0: Etwa 50 Prozent der Betroffenen haben in allen Körperzellen nur 45 anstatt 46 Chromosomen. Dabei fehlt ein Geschlechtschromosom (X oder Y). Das wird als Monosomie X bezeichnet.
  • 45, X0/46, XX oder 45, X0/46, XY: Bei über 20 Prozent der Patientinnen liegen sowohl Zellen mit vollständigem Chromosomensatz (46, XX) vor, als auch Zellen mit Monosomie X (45, X0). Dies wird als Mosaik bezeichnet
  • 46, XX: Rund 30 Prozent der Betroffenen haben in allen Zellen einen vollständigen Chromosomensatz (46, XX), jedoch ist ein X-Chromosom strukturell verändert

Wie entsteht die Monosomie X?

Es wird vermutet, dass die Ursache für das Turner-Syndrom in der Heranreifung der Samenzellen des Vaters liegt. Begründet wird dies damit, dass Untersuchungen zeigen, dass das vorliegende X-Chromosom in fast 80 Prozent der Fälle von der Mutter vererbt wurde.

Eltern eines Kindes mit Turner-Syndrom haben kein erhöhtes Risiko, dass ein weiteres Kind ebenfalls erkrankt. Ausserdem gilt das Alter der Mutter nicht als Risikofaktor für die Ausbildung eines Turner-Syndroms.

Turner-Syndrom: Untersuchungen und Diagnose

Das Turner-Syndrom kann zu verschiedenen Zeiten diagnostiziert werden. Häufig fallen Kleinkinder als erstes durch ihren Kleinwuchs auf, sodass der Kinderarzt weitere Untersuchungen veranlasst. Im weiteren Verlauf der Erkrankung spielen auch Gynäkologen und Humangenetiker eine Rolle.

Sollte Ihr Kinderarzt ein Turner-Syndrom vermuten, befragt er Sie zunächst ausführlich zur Krankheitsgeschichte (Anamnese). Dabei stellt er möglicherweise unter anderem folgende Fragen:

  • Sind in Ihrer Familie Erbkrankheiten bekannt?
  • War Ihr Kind schon immer kleiner als gleichalte Spielkameraden?
  • Sind Ihnen bei der Geburt geschwollene Hände oder Füsse bei Ihrem Baby aufgefallen?

Turner-Syndrom: körperliche Untersuchung

Das Hauptaugenmerk liegt bei der körperlichen Untersuchung des Turner-Syndroms auf der Inspektion. Der Kinderarzt schaut sich einzelne Körperpartien genau an und achtet auf Auffälligkeiten wie kurze Mittelhandknochen, Flügelfell (Pterygium colli), Leberflecke (Naevi), Brustkorbform, Brustwarzenabstand und Köpergrösse.

Bei der Auskultation kann der Arzt eine eventuelle Herzfehlbildung feststellen. Mit dem Ultraschall können Fehlbildungen der Niere entdeckt werden.

Turner-Syndrom: Blutuntersuchung

Nach einer Blutentnahme können im Labor verschiedene Hormonspiegel bestimmt werden. Patientinnen mit Turner-Syndrom haben in der Regel hohe FSH- und LH-Spiegel sowie sehr wenig Östrogen in Ihrem Blut.

Ausserdem können die entnommenen Blutzellen unter einem Mikroskop betrachtet und die Anzahl sowie Struktur der Chromosomen analysiert werden. So kann die Monosomie X leicht erkannt werden, da anstatt zwei Geschlechtschromosomen nur eines vorliegt.

Turner-Syndrom: Vorgeburtliche Untersuchungen

Mithilfe pränataler Untersuchungen (Pränataldiagnostik) lässt sich das Turner-Syndrom schon bei Kindern im Mutterleib feststellen. Das gelingt etwa mit invasiven Verfahren wie Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) oder einer Untersuchung des Mutterkuchens (Chorionzottenbiopsie). Deren Nachteil ist aber ein erhöhtes Fehlgeburtsrisiko, weil für die Probenentnahme ein Eingriff bei der Schwangeren nötig ist (Entnahme von Fruchtwasser oder einer Probe der Plazenta).

Diesen Nachteil haben nicht-invasive pränatale Bluttests (NIPT) wie der Harmony-Test, PraenaTest und Panorama-Test nicht. Für diese Untersuchungen wird nämlich nur eine Blutprobe der Schwangeren benötigt. Darin lassen sich Spuren kindlichen Erbguts finden, die man auf Chromosomenanomalien wie dem Turner-Syndrom untersuchen kann. Das Testergebnis ist recht zuverlässig.

Allerdings kostet eine solche Untersuchung je nach Test und Umfang der Analyse mehrere Hundert Euro, zuzüglich zu den Kosten für die notwendigen ärztlichen Leistungen (wie genetische Beratung und Blutabnahme). Das alles müssen Schwangere in der Regel selber bezahlen.

Turner-Syndrom: Behandlung

Um den Kleinwuchs zu behandeln, sollte bereits im Kleinkindalter eine Therapie mit Wachstumshormonen begonnen werden. Auf diese Weise kann ein Längenzuwachs von 5 bis 8 Zentimetern erreicht werden. Dafür muss das Wachstumshormon täglich in das Unterhautfettgewebe (subkutan) gespritzt werden.

Im Alter von zwölf bis 13 Jahren sollte durch einen erfahrenen Kinderendokrinologen oder Kindergynäkologen die Pubertät medikamentös eingeleitet werden. Dafür werden über sechs bis 18 Monate täglich Östrogenpräparate eingenommen. Anschliessend wird ein normaler vierwöchiger Zyklus etabliert, in dem deri Wochen lang Östrogene genommen werden, die anschliessend eine Woche lang pausiert werden.

Der Kleinwuchs und das Ausbleiben der Pubertät sind für Turner-Syndrom-Patientinnen häufig sehr belastend, sodass die genannten Therapien das Wohlbefinden steigern können. Ausserdem helfen die Östrogene der früh einsetzenden Osteoporose entgegenzuwirken.

Turner-Syndrom: Krankheitsverlauf und Prognose

Der der dem Turner-Syndrom zugrundeliegende Karyotyp beeinflusst die Symptomausprägung und Prognose zum Teil erheblich:

Bei Patientinnen mit Ullrich-Turner-Syndrom, die in allen Zellen einen 45, X0 Chromosomensatz haben, bleibt die Pubertät aus, da die Eierstöcke keine Sexualhormone produzieren. Mediziner sprechen dann auch von einer primären Ovarialinsuffizienz. Diese Patientinnen sind unfruchtbar.

Patientinnen, die einen gemischten Karyotyp mit Y-Chromosom-Anteilen haben (45, X0/46, XY), haben das Risiko, dass die Eierstöcke (Gonaden) zu einem Gonadoblastom entarten. Bei diesen Patientinnen sollte eine vorsorgliche Entfernung der Ovarien erwogen werden.

Patientinnen mit einem Mosaik-Chromosomensatz können eine normale Pubertät mit regulärem Menstruationszyklus haben. Eine Schwangerschaft ist dann möglich.

Turner-Syndrom: Risiko für andere Erkrankungen

Im Erwachsenenalter haben Turner-Syndrom-Patientinnen ein erhöhtes Risiko an

zu erkranken. Deshalb sollten regelmässig Kontrollen des Gesundheitszustandes durchgeführt werden, um die Krankheiten frühestmöglich zu erkennen und behandeln zu können.

Turner-Syndrom: Schwangerschaft

Falls eine Schwangerschaft möglich ist, sollte das Risiko für das Leben von Mutter und Kind mit einem erfahrenen Gynäkologen besprochen werden. Während der Schwangerschaft hat eine Turner-Frau im Vergleich zu gesunden Frauen ein 100-fach höheres Risiko, einen Riss der Hauptschlagader (Aortenruptur oder -dissektion) zu erleiden.

Ausserdem ist die Wahrscheinlichkeit für schwangerschaftsbedingten Diabetes und Bluthochdruck erhöht. Die Häufigkeiten von Frühgeburt, Totgeburt und Wachstumsverzögerung (intrauterine Wachstumsretardierung) bei mütterlichem Turner-Syndrom sind erhöht.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Mareike Müller
Mareike Müller

Mareike Müller ist freie Autorin in der NetDoktor-Medizinredaktion und Assistenzärztin für Neurochirurgie in Düsseldorf. Sie studierte Humanmedizin in Magdeburg und sammelte viel praktische medizinische Erfahrung während ihrer Auslandsaufenthalte auf vier verschiedenen Kontinenten.

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