Treacher-Collins-Syndrom

Von , Medizinredakteurin
Tanja Unterberger

Tanja Unterberger studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien. 2015 begann sie ihre Arbeit als Medizinredakteurin bei NetDoktor in Österreich. Neben dem Schreiben von Fachtexten, Magazinartikeln sowie News bringt die Journalistin auch Erfahrung im Podcasting und in der Videoproduktion mit.

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Beim Treacher-Collins-Syndrom (auch Franceschetti-Zwahlen-Syndrom, Berry-Syndrom oder Dysostosis mandibulofacialis), handelt es sich um eine seltene, vererbte Entwicklungsstörung bei Babys. Durch die Erkrankung kommt es zu Fehlbildungen des Schädels und Gesichts, von denen häufig Ohren, Jochbein, Augen oder Unterkiefer und Kinn betroffen sind. Mehr zu Ursachen, Symptomen, Verlauf und Therapie lesen Sie hier!

Schwangere Frau bei der Ultraschallkontrolle

Kurzübersicht

  • Beschreibung: Das Treacher-Collins-Syndrom ist eine seltene Erbkrankheit, die häufig zu Fehlbildungen der Augen, der Ohren, des Kiefers, des Gaumens und des Jochbeins führt.
  • Behandlung: Die Therapie richtet sich nach der Ausprägung der Symptome. Infrage kommen unter anderem Operationen zur Behandlung der Fehlstellungen, ggf. Hörgeräte bei Hörproblemen oder eine Brille bei Sehschwierigkeiten.
  • Ursachen: Ein defektes Gen (TCOF1-Gen, POLR1C-Gen oder POLR1D-Gen), das die Eltern an das Kind weitervererben
  • Symptome: Fehlbildungen des Gesichts und Schädels (z.B. Augen, Ohren, Gaumen, Jochbein), Hörstörungen, Sehschwierigkeiten, Atemprobleme
  • Diagnose: Das Syndrom lässt sich meist schon vor der Geburt des Kindes mithilfe einer Ultraschalluntersuchung erkennen. Endgültige Sicherheit gibt ein molekularer Gen-Test (Bluttest).
  • Verlauf: Die Erkrankung verläuft sehr unterschiedlich und reicht von milden Verlaufsformen, die meist gut behandelbar sind, bis hin zu einer lebensbedrohlichen Verengung der Atemwege.
  • Vorbeugen: Genetische Beratung vor einer geplanten Schwangerschaft, wenn die Erkrankung innerhalb der Familie bekannt ist

Was ist das Treacher-Collins-Syndrom?

Das Treacher-Collins-Syndrom (kurz: TCS) oder auch Franceschetti-Zwahlen-Syndrom (Dysostosis mandibulofacialis) ist eine seltene Erbkrankheit. Sie betrifft etwa eines von 50.000 neugeborenen Babys. Bei der Erkrankung führt ein Gendefekt dazu, dass sich Bereiche des Gesichtsschädels, wie beispielsweise das Jochbein, der Unterkiefer und/oder die Ohrmuschel, im Mutterleib fehlentwickeln (faziale Dysmorphien). Häufig haben Betroffene durch eine Fehlentwicklung des äusseren und inneren Ohrs auch Probleme beim Hören.

Die Bezeichnung Treacher-Collins-Syndrom stammt vom englischen Arzt Edward Treacher Collins, der die Erkrankung im Jahr 1900 erstmals beschrieben hat. Seine Arbeit führten die Ärzte Adolphe Franceschetti und David Klein 1949 fort.

Wer ist betroffen?

Das Treacher-Collins-Syndrom betrifft etwa eines von 50.000 Neugeborenen und tritt somit relativ selten auf. Ist ein Elternteil erkrankt, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung an das Kind weitervererbt wird, bei rund 50 Prozent. Es ist jedoch durch Mutationen im Erbgut auch möglich, dass das Syndrom bei Kindern auftritt, deren Eltern nicht von der Erkrankung betroffen sind.

Wie wird das Treacher-Collins-Syndrom behandelt?

Die Therapie beim Treacher-Collins-Syndrom richtet sich nach den Symptomen, die die Erkrankung auslöst. Sie hängt zudem davon ab, wie stark die Beschwerden ausgeprägt sind.

Zur Behandlung der meist sehr komplexen Fehlbildungen ist eine enge Zusammenarbeit verschiedener behandelnder Fachärzte und Spezialisten, zum Beispiel HNO-Ärzte und Plastische Chirurgen, notwendig. Im Vordergrund steht zunächst die rasche Behandlung lebensbedrohlicher Ausprägungen des Syndroms. Dabei ist es besonders wichtig, dass die Behandlung möglichst schnell erfolgt – manchmal sogar bereits im Mutterleib.

Wenn etwa die Atemwege verengt sind (z.B. bei einer Gaumenspalte, wenn die Zunge zurückfällt), ist häufig eine Operation nötig. Dazu stellt der Arzt beispielsweise durch einen Luftröhrenschnitt operativ eine Verbindung zwischen der Luftröhre und dem äusseren Luftraum, auch Tracheostoma genannt, her. Anschliessend setzt der Arzt einen Kunststoffschlauch in den Luftröhrenschnitt ein, wodurch Sauerstoff direkt in die Luftröhre gelangt.

Die Fehlbildungen des Gesichts korrigiert der Arzt bis zu einem gewissen Grad durch Operationen oder er rekonstruiert bestimmte Gesichtsbereiche (z.B. Kiefer). Darunter fallen etwa Gaumenspalten sowie leichte Fehlbildungen der Ohrmuscheln und Augenlider.

Kommt es durch eine Fehlbildung der Augen bzw. der Augenhöhlen zu Sehschwierigkeiten, werden diese durch einen Augenarzt behandelt (z.B. mittels einer Brille). Dasselbe gilt bei Hörstörungen, die ein HNO-Arzt meist mit einem Hörgerät versorgt.

Da das Treacher-Collins-Syndrom viele Betroffene psychisch belastet, ist es ausserdem wichtig, dass sie möglichst frühzeitig therapeutische Beratung (z.B. eine Psychotherapie) erhalten. Dadurch lässt sich möglichen psychischen Problemen wie Depressionen besser vorbeugen.

Wie entsteht das Treacher-Collins-Syndrom?

Als Ursache für das Treacher-Collins-Syndrom gelten genetische Defekte, sogenannte Mutationen, die entweder im TCOF1-Gen (betrifft etwa 90 Prozent der Erkrankungsfälle), im POLR1C-Gen oder im POLR1D-Gen auftreten. Diese Gene sind unter anderem für die Merkmalsentwicklung des Kopfs verantwortlich. Daher führt eine Veränderung dieser Gene zu den typischen Fehlbildungen im Kopfbereich.

Die Erkrankung tritt bereits auf, wenn nur ein defektes Gen auf einem der beiden Chromosomen vorhanden ist. Wissenschaftler sprechen von einer autosomal-dominanten Vererbung mit 90 Prozent Penetranz. Das bedeutet: Ist ein Elternteil am Treacher-Collins-Syndrom erkrankt, besteht für das Kind ein etwa 50-prozentiges Risiko, ebenfalls zu erkranken. Jedoch gibt es grosse Unterschiede, wie stark die Symptome ausgeprägt sind (Expressivität).

Das Gen wird unabhängig vom Geschlecht vererbt. Frauen und Männer sind also gleich häufig betroffen.

Neben dem Treacher-Collins-Syndrom sind heute weitere Genmutationen bekannt, die zu ähnlichen Erkrankungen führen. Dazu gehören unter anderem das Elschnig-Syndrom, das mandibulo-faziale Dysostose-Mikrozephalie-Syndrom (MFDM), das Miller-Syndrom, das Goldenhar-Syndrom sowie das Nager-Syndrom.

Wie äussert sich das Treacher-Collins-Syndrom?

Die Symptome des Treacher-Collins-Syndroms äussern sich sehr unterschiedlich und sind kaum vorherzusagen. So unterscheiden sich beispielsweise mitunter die Beschwerden beim Kind stark von denen der erkrankten Eltern. Allerdings gibt es bestimmte Symptome, die vermehrt auftreten.

Als Hauptsymptome des Treacher-Collins-Syndroms gelten unter anderem:

  • Fehlbildung oder Fehlentwicklung des Jochbeins oder/und des Unterkieferknochens (z.B. „fliehendes“ Kinn, auch Mikrognathie genannt) und/oder der Ohrmuschel
  • Gaumenspalte (auch Lippen-Kiefer-Gaumenspalte), bei der die Oberlippe, der Oberkiefer und der Gaumen teilweise oder komplett von einem Spalt durchzogen sind.
  • Hörstörungen, z.B. durch eine fehlgebildete Ohrmuschel
  • Augenfehlstellungen, wie z.B. Schielen oder Sehstörungen mit Sehverlust
  • Fehlbildung des Augenlids
  • Spaltbildung (Kolobom) im Auge, z.B. von Regenbogenhaut (Iris), Linse, Augenlid, Netzhaut oder Aderhaut: Die entsprechenden Strukturen sind nicht vollständig zusammengewachsen; in der Mitte sind sie gespalten.
  • Atembeschwerden durch Verlegung der Atmungsorgane

In den meisten Fällen treten die Symptome bilateral, also auf beiden Körperhälften, auf. Die Beschwerden können mild verlaufen, in einigen Fällen kommt es durch die Erkrankung aber auch zu lebensbedrohlichen Verengungen der Atemwege.

Da das Treacher-Collins-Syndrom chronisch verläuft, ist es in der Regel notwendig, einzelne Symptome dauerhaft von einem Arzt kontrollieren und gegebenenfalls behandeln zu lassen.

Welche Folgen können auftreten?

Häufig kommt es dazu, dass Menschen mit Treacher-Collins-Syndrom durch die Fehlentwicklung von Ohren, Augen oder Kiefer nicht gut hören, sehen oder sprechen können. Tritt etwa eine Fehlbildung der Ohrmuschel auf, klagen Betroffene häufig über Hörstörungen. Augenfehlstellungen verursachen mitunter Sehstörungen wie zum Beispiel Schielen oder den Verlust der Sehschärfe.

Eine Fehlbildung des Unterkieferknochens führt bei Menschen mit dem Treacher-Collins-Syndrom häufig zu Problemen bei der Nahrungsaufnahme. Bei Babys führt dies etwa dazu, dass sie zu wenig Nahrung aufnehmen und dadurch mangelernährt sind.

Tritt eine Gaumenspalte auf, sind Mund- und Nasenhöhle nicht voneinander getrennt, sondern bilden durch den Spalt einen gemeinsamen Raum. Das Gaumengewölbe fehlt, wodurch die Zunge des Kindes nach hinten zurückfallen kann und so seine Atmung lebensbedrohlich behindert.

Wenn die Gaumenspalte nicht geschlossen ist, besteht zudem die Gefahr, dass Nahrung in die Nase gelangt, was für die Betroffenen sehr unangenehm ist. Neugeborene mit Gaumenspalte haben häufig Schwierigkeiten, Unterdruck zum Saugen an der Brust herzustellen. Dadurch erhalten die Kinder oft zu wenig Muttermilch.

Neben den körperlichen Symptomen treten bei vielen Menschen mit dem Treacher-Collins-Syndrom psychische Beschwerden auf. Denn sie empfinden die Fehlbildungen im Gesicht häufig als ästhetisch störend und schämen sich vor ihrem Umfeld, worunter das Selbstwertgefühl leidet. Viele fürchten sich, von anderen Menschen als merkwürdig, peinlich oder gar lächerlich empfunden zu werden, und entwickeln eine Sozialphobie.

Wie stellt der Arzt die Diagnose?

Zur Diagnose eines Treacher-Collins-Syndroms zieht der Arzt verschiedene Untersuchungen heran, die er nach der Geburt oder bereits im Mutterleib durchführt. Erster Ansprechpartner ist daher der Frauenarzt (Gynäkologe) oder Kinderarzt (Pädiater). Bei Bedarf und für weitere Untersuchungen überweisen diese das Kind weiter an einen Spezialisten (z.B. Facharzt für Humangenetik).

Wichtig bei der Diagnose ist, das Syndrom von anderen Erbkrankheiten wie dem Nager-Syndrom, Miller-Syndrom oder dem Goldenhar-Syndrom zu unterscheiden, die ähnliche Symptome verursachen.

Das Syndrom lässt sich in den meisten Fällen schon vor der Geburt durch Ultraschalluntersuchungen im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge diagnostizieren. Dabei sieht der Arzt meist recht schnell, ob Gesichtsbereiche des Kindes fehlgebildet sind. Um die Diagnose zu bestätigen, führt der Arzt eine molekulare Analyse von Gewebeproben aus der Plazenta der Mutter (Chorionzottenbiopsie) durch.

Eine spezielle Diagnostik stellt ausserdem die sogenannte OMENS-Klassifikation dar. Mithilfe dieser Methode klassifiziert und bewertet der Arzt die Ausprägung der Symptome. Dazu beurteilt er folgende Körperbereiche, die eventuell durch die Erkrankung beeinträchtigt sind:

  • Augenhöhlen (Orbita)
  • Unterkiefer (Mandibula)
  • Ohren (Ears)
  • Gesichtsnerv (Nervus facialis)
  • Weichteilgewebe des Gesichtsbereichs (Soft issue)

Durch Untersuchungen mit Ultraschall, Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT) lässt sich anschliessend genauer abschätzen, wie stark die Erkrankung ausgeprägt ist. Letztlich diagnostiziert der Arzt das Treacher-Collins-Syndrom eindeutig mithilfe genetischer Tests (DNA-Analyse). Dazu nutzt er in der Regel eine Blutprobe oder eine kleine Menge Speichel des Kindes, die anschliessend mit molekularbiologischen Verfahren in einem Labor untersucht wird.

Wie verläuft das Treacher-Collins-Syndrom?

Der Erfolg der Therapie hängt davon ab, wie stark die Symptome ausgeprägt sind. Werden Betroffene frühzeitig behandelt, ist die Prognose für leichte Formen der Erkrankung günstig. So ist die Lebenserwartung von Menschen mit einem gut behandelten Treacher-Collins-Syndrom kaum eingeschränkt.

In seltenen Fällen kommt es jedoch zu lebensbedrohlichen Situationen, wenn beispielsweise durch die Fehlbildungen die Atemwege teilweise oder komplett verengt sind. Dadurch bekommen die Patienten nicht mehr ausreichend Luft, was unter Umständen zu einem lebensbedrohlichen Sauerstoffmangel führt. Frühzeitige und regelmässige Kontrolluntersuchungen beim Arzt helfen, solche schweren Verläufe zu minimieren.

Operationen helfen mitunter, die Fehlbildungen zu korrigieren oder zumindest zu verbessern. Ziele sind, Beschwerden wie Atemstörungen, Hörstörungen oder Sehstörungen zu lindern, sowie ästhetisch zufriedenstellendere Ergebnisse zu erreichen. Operationen bergen aber auch das Risiko von Komplikationen. Daher sollte jeder Eingriff im Gesicht und am Kopf zusammen mit den Ärzten gut abgewogen werden. Mögliche Risiken von Operationen sind Verletzungen von Nerven, Blutgefässen und anderem Gewebe, die zum Beispiel zu Gefühlsstörungen führen können.

Nachsorge

Für Betroffene ist es wichtig, regelmässige Kontrolluntersuchungen beim Arzt wahrzunehmen, um neu auftretende Beschwerden rasch zu beheben und ernsthafte Komplikationen zu vermeiden.

Die Nachsorge beim Treacher-Collins-Syndrom übernehmen je nach Symptom der Allgemeinarzt, Hals-Nasen-Ohrenarzt, Internist, Plastischer Chirurg und weitere Fachärzte. Bei Kindern ist meist auch der Kinderarzt in die Behandlung miteinbezogen.

Wie kann man dem Treacher-Collins-Syndrom vorbeugen?

Einem Treacher-Collins-Syndrom lässt sich nicht vorbeugen. Allerdings lässt sich im Vorfeld abschätzen, wie hoch das Risiko für eine Erkrankung ist. Viele Ausprägungen und Symptome lassen sich ausserdem oft gut behandeln, wenn dies rechtzeitig geschieht.

Bei einer Schwangerschaft sollten die Eltern, in deren Verwandtschaft bereits Fälle des Syndroms bekannt sind, daher den behandelnden Frauenarzt (Gynäkologe) frühzeitig informieren. Dadurch hat der Arzt die Möglichkeit, so früh wie möglich den Kontakt zu Spezialisten herzustellen, die die Schwangerschaft begleiten.

Zudem ist es empfehlenswert, dass Paare vor einer geplanten Schwangerschaft eine genetische Beratung in Anspruch nehmen, wenn sie selbst oder Familienangehörige am Treacher-Collins-Syndrom erkrankt sind. Dabei klären ausgebildete Fachkräfte die Paare über die Risiken für Behinderungen und Entscheidungshilfen im Zusammenhang mit der Familienplanung auf. Zudem werden sie über eventuell anfallende genetische Untersuchungen und deren Konsequenzen informiert.

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:

Tanja Unterberger studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien. 2015 begann sie ihre Arbeit als Medizinredakteurin bei NetDoktor in Österreich. Neben dem Schreiben von Fachtexten, Magazinartikeln sowie News bringt die Journalistin auch Erfahrung im Podcasting und in der Videoproduktion mit.

ICD-Codes:
Q75
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
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