Leberversagen

Von Christina Trappe
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Von einem Leberversagen oder einer Leberinsuffizienz spricht man, wenn das zentrale Stoffwechselorgan – die Leber – nicht mehr richtig arbeitet. Selten entwickelt sich dies ohne eine Vorerkrankung der Leber (akutes Leberversagen). Meistens ist die Ursache eine langfristige Leberschädigung (chronisches Leberversagen). Lesen Sie mehr über Symptome, Verlauf und Behandlung bei Leberversagen.

Leber 3D Illustration

Kurzübersicht

  • Symptome: Augen und Haut verfärben sich gelb; beeinträchtigte Hirnfunktion (Enzephalopathie), die zu Störungen von Konzentration und Bewusstsein führt; Blutgerinnungsstörungen; bei stark fortgeschrittener Erkrankung Versagen weiterer Organe möglich
  • Krankheitsverlauf und Prognose: In der Regel Folge anderer chronischer Leber-Erkrankungen; wesentlich seltener kommt es zur akuten Form ohne vorangehende chronische Lebererkrankung
  • Behandlung: Abhängig von Ursache und Verlauf des Leberversagens, z. B. Entgiftungsmassnahmen bei Toxinen
  • Ursache und Risikofaktoren: Chronische Leberschädigung beispielsweise durch Alkohol- oder Drogenkonsum; Infektionen mit bestimmten Viren (z. B. mehrere Hepatitisviren); Vergiftungen
  • Diagnose: Krankheitsgeschichte, körperliche Untersuchung, Blut-Untersuchungen, Röntgen oder Ultraschall der Leber
  • Vorbeugen: Mässiger Alkoholkonsum, ausgewogene Ernährung, Impfungen gegen relevante Virusinfektionen, Behandlung chronischer Vorerkrankungen

Was ist Leberversagen?

Bei einem Leberversagen (Leberinsuffizienz) fallen schrittweise verschiedene Funktionen der Leber aus. Das ist gefährlich, denn die Leber erfüllt im Körper viele lebenswichtige Aufgaben: Sie ist das wichtigste Organ des Stoffwechsels und mit durchschnittlich 1,5 Kilogramm Gewicht die grösste Drüse im menschlichen Körper. 

Die Leber sitzt im rechten Oberbauch. Jeden Tag produziert sie etwa 700 Milliliter Gallenflüssigkeit, baut verschiedene Eiweisse auf und spielt eine wichtige Rolle im Hormonhaushalt und im Abwehrsystem des Körpers. Besonders wichtig ist ihre Stoffwechselfunktion: Nahezu alle Nährstoffe, die der Darm aufnimmt – vor allem Eiweisse, Kohlenhydrate und Fette – werden anschliessend in der Leber umgebaut, abgebaut, eingespeichert oder weiterverwertet.

Auch der Abbau von Medikamenten, Alkohol und Schadstoffen ("Entgiftung") ist Aufgabe der Leber. Verschiedene Erkrankungen, viel Alkohol und eine zucker- und fettreiche Ernährung belasten die Leber auf Dauer und führen manchmal dazu, dass sich eine Fettleber und/oder eine Leberzirrhose entwickelt. Die Leber ist jedoch dazu in der Lage, auch mit deutlich weniger funktionierenden Zellen lange Zeit einen Grossteil ihrer Aufgaben durchzuführen.

Kommt es zu einem Leberversagen, ist die Leber bereits stark geschädigt. Ein Leberversagen entwickelt sich entweder chronisch (chronisches Leberversagen) oder sehr schnell, etwa aufgrund einer Infektion oder Vergiftung (akutes Leberversagen). In jedem Fall ist es ein gefährlicher Zustand, der sofort behandelt werden muss.

Welche Symptome treten auf?

Während viele Lebererkrankungen im Anfangsstadium unbemerkt bleiben, treten bei einem Leberversagen Symptome auf, die recht charakteristisch sind. Folgende Anzeichen gelten als Leitsymptome bei Leberversagen:

  • Das Weiss in den Augen (Sklera) und die Schleimhäute verfärben sich gelb; im weiteren Verlauf nimmt auch die Haut eine gelbliche Farbe an. Dies bezeichnen Ärzte als Gelbsucht (Ikterus).
  • Der Betroffene hat Probleme, sich zu konzentrieren, seine Mimik verändert sich, er wird oft müde, und seine Augenlider flattern. Das Leberversagen löst verschiedene Störungen im Gehirn aus, die man auch als hepatische Enzephalopathie zusammenfasst.
  • Zudem treten Störungen der Blutgerinnung auf, was sich zum Beispiel in häufigen Einblutungen unter der Haut zeigt. Das bezeichnet man als hämorrhagische Diathese.

Zusätzlich kommt es bei einem Leberversagen manchmal zu einem typischen Atemgeruch nach roher Leber (Foetor hepaticus) und manchmal zu schmerzhaften Beschwerden im Oberbauch. Im fortgeschrittenen Stadium fällt oft der Blutdruck, und die Atmung beschleunigt sich. Nachdem der Betroffene immer müder wird und fast nur noch schläft, fällt er im Zuge der hepatischen Enzephalopathie in ein sogenanntes hepatisches Koma.

Hepatische Enzephalopathie

Ein Leberversagen führt häufig zu einer Störung der Gehirnfunktion. Lesen Sie dazu alles im Beitrag Hepatische Enzephalopathie.

Wie wird Leberversagen behandelt?

Ein akutes oder akut-auf-chronisches Leberversagen erfordert eine sofortige Therapie auf einer Intensivstation. Die Behandlung richtet sich vor allem nach dem Auslöser der Leberschädigung – daher ist eine genaue Diagnostik sehr wichtig. Patienten, bei denen das Leberversagen auf eine Vergiftung zurückgeht, bekommen beispielsweise sofort eine Magenspülung und nach Möglichkeit ein Gegenmittel (Antidot). Bei bestimmten Virusinfektionen wie Hepatitis B ist oft eine antivirale Therapie sinnvoll.

Zudem werden bei einem Leberversagen Symptome wie die entgleisten Blutwerte so gut wie möglich behandelt, zum Beispiel durch Infusionen mit Glukose, Elektrolyten (Blutsalzen) oder Blutplasma mit Gerinnungsfaktoren. Die Ammoniak-Konzentration im Darm senken die Ärzte meistens mit speziellen Einläufen. Bei einem erhöhten Hirndruck kommen ausserdem verschiedene Medikamente zum Einsatz, um den Hirndruck zu senken. 

Leberversagen: Therapie durch eine Transplantation

In einigen Fällen – vor allem bei einer vorgeschädigten Leber – ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass das Organ sich erholt und seine Funktionen wieder aufnimmt. In dem Fall werden die Patienten sofort in ein Transplantationszentrum verlegt, wo sie so schnell wie möglich eine neue Leber bekommen. Gegebenenfalls reicht es auch, nur den linken Leberlappen zu ersetzen (auxiliäre partielle orthotope Lebertransplantation, APOLT). Bei einem akuten Leberversagen benötigt etwa die Hälfte der Patienten eine Lebertransplantation.

Ausserhalb des Körpers stattfindende (extrakorporale) Leberersatzverfahren wie spezielle Leber-Dialysen sind in medizinischer Erprobung und noch keine Standardtherapie.

Krankheitsverlauf und Prognose

Ein Leberversagen ist ein schwerwiegender Zustand, der sofort behandelt werden muss. Die verschiedenen Leberfunktionen sind für den Körper überlebenswichtig – wenn die Behandlung zu spät kommt, ist die Prognose schlecht. Je jünger der Betroffene und je geringer die Ausprägung der Grunderkrankungen, desto höher sind die Heilungschancen.

Ein akutes Leberversagen lässt sich meist besser behandeln als ein akut-auf-chronisches. Auch mildere Symptome der hepatischen Enzephalopathie sind meist mit einer besseren Prognose verbunden, während bei einer stark fortgeschrittenen Enzephalopathie häufig keine selbstständige Heilung mehr möglich ist und nur noch eine Lebertransplantation als Option bleibt. Ein akutes Leberversagen führt jedoch in nahezu der Hälfte der Fälle zu mehrfachem Organversagen bis hin zum Tod.

Leberversagen: Ursachen und Risikofaktoren

Grundsätzlich kommen für ein Leberversagen ganz unterschiedliche Ursachen infrage. Häufig geht dem Leberversagen eine Erkrankung der Leber voraus, die bereits seit Monaten oder Jahren besteht. Letztlich brechen die verschiedenen Funktionen der Leber zusammen, weil der Körper es nicht mehr schafft, die entstandenen Schäden auszugleichen. In dem Fall spricht man von einem chronischen Leberversagen, bei einer plötzlichen starken Verschlechterung auch von einem akut-auf-chronischen Leberversagen.

Eine chronische Leberinsuffizienz entsteht zum Beispiel oft, wenn durch einen jahrelangen Alkoholmissbrauch immer mehr Leberzellen zerstört werden und das Gewebe vernarbt (Leberzirrhose). Auch ein Leberversagen bei Krebs ist möglich, wenn die Leberzellen entarten oder ein bösartiger Tumor aus einem anderen Organ "streut". In manchen Fällen nimmt auch eine chronische Virusinfektion wie Hepatitis C einen schweren Verlauf und verursacht letztlich ein Leberversagen.

Ein akutes Leberversagen bedeutet, dass die Leberfunktion ohne eine langfristige Vorerkrankung zusammenbricht. Dies kommt deutlich seltener vor. Zu den möglichen Gründen dafür, dass plötzlich binnen kurzer Zeit eine Leberinsuffizienz entsteht, zählen:

  • Virus-Hepatitis: Hepatitis A, B, D oder E sind Virusinfektionen, die in der Regel mit einer akuten Leberentzündung einhergehen. Seltener führen etwa das Zytomegalie-Virus und andere Herpesviren zu einer solchen Hepatitis. In manchen Fällen verläuft diese so schwer, dass sie in kurzer Zeit in ein akutes Leberversagen mündet.
  • Vergiftungen: Meistens steckt hinter toxischen Leberschäden eine Überdosis von Medikamenten wie Paracetamol, seltener auch Tuberkulosemedikamente und bestimmte pflanzliche Mittel in viel zu hohen Dosierungen. Auch Vergiftungen mit Pilzen (z. B. Knollenblätterpilz), Drogen (z. B. Ecstasy) und Chemikalien lösen manchmal ein akutes Leberversagen aus.

Seltenere Ursachen für ein akutes Leberversagen sind die Autoimmunhepatitis, die Erbkrankheit Morbus Wilson und Komplikationen während der Schwangerschaft – eine akute Schwangerschaftsfettleber oder das HELLP-Syndrom. In bis zu 20 Prozent der Fälle bleibt der Auslöser der Leberentzündung unklar. Ärzte sprechen dann von einer kryptogenen Hepatitis.

Untersuchungen und Diagnose

Viele Menschen mit einem Leberversagen sind bereits über einen längeren Zeitraum mit bestimmten Vorerkrankungen in ärztlicher Behandlung und eine Belastung der Leber ist bekannt (chronische Leberinsuffizienz). Das erleichtert die Diagnose. Ein akutes Leberversagen ohne Vorerkrankungen ist seltener.

Der Arzt erfragt zunächst die Krankengeschichte (Anamnese) und erkundigt sich nach dem Medikamenten- und Alkoholkonsum, anderen giftigen Substanzen, Auslandsaufenthalten und möglichen Ansteckungsquellen für eine Virusinfektion. Manchmal ist das Leberversagen so weit fortgeschritten, dass der Betroffene verwirrt oder bewusstlos ist – in dem Fall werden nach Möglichkeit Angehörige befragt.

Die klinischen Symptome wie Ikterus und Augenflattern bringen den Arzt schnell auf den Gedanken, dass die Leber nicht richtig arbeitet. Bei einer körperlichen Untersuchung tastet er den Oberbauch ab, um zu fühlen, ob die Leber vergrössert oder verkleinert ist. Zur Diagnose des Leberversagens nimmt er ausserdem Blut ab. Verschiedene Laborwerte im Blutbild erhärten den Verdacht auf ein chronisches oder akutes Leberversagen. Dazu zählen beispielsweise veränderte Gerinnungswerte, Transaminasen, Bilirubin oder Ammoniak.

Die weiteren Untersuchungen richten sich nach der vermuteten Ursache, den Symptomen und dem Verlauf der Leberinsuffizienz. Manchmal entnimmt der Arzt zur Laboruntersuchung eine Probe des Lebergewebes (Leberbiopsie). Auch bildgebende Verfahren wie eine spezielle Ultraschall-Untersuchung (Duplexsonografie) oder eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs werden teilweise durchgeführt.

In einer bestimmten Untersuchung, der "invasiven Blutdruckmessung" wird manchmal mit einem Katheter der Blutdruck in bestimmten Blutgefässen gemessen. Bei Verdacht auf eine Ansammlung von Flüssigkeit im Gehirn (Hirnödem) messen die Ärzte über ein kleines Loch im Schädel mit einer Sonde den Hirndruck.  

Leberversagen: Vorbeugen

Um einem Leberversagen vorzubeugen, ist es wichtig, die Risikofaktoren für verschiedene Lebererkrankungen und Vergiftungen einzudämmen. Hierzu sind folgende Massnahmen sinnvoll:

  • Achten Sie auf einen massvollen Alkoholkonsum.
  • Verzichten Sie auf übermässig viel Zucker und Fett in Ihrer Ernährung.
  • Lassen Sie chronische Erkrankungen (wie Diabetes) immer richtig behandeln und einstellen.
  • Verzichten Sie auf Drogen; achten Sie gegebenenfalls auf die Verwendung steriler Nadeln.
  • Schützen Sie sich beim Geschlechtsverkehr mit Kondomen, wenn Sie über mögliche Infektionen des Sexualpartners keine Gewissheit haben.
  • Achten Sie vor Reisen ins Ausland auf einen ausreichenden Impfschutz (etwa gegen Hepatitis A und B).
  • Beherzigen Sie besonders auf Auslandsreisen die Regeln zur Nahrungsmittel- und Trinkwasserhygiene.
  • Halten Sie sich genau an die empfohlenen Dosierungen, wenn Sie Medikamente einnehmen. Bewahren Sie diese ausserhalb der Reichweite von Kindern auf.
  • Verzichten Sie auf den Verzehr von Pilzen und Pflanzen, deren Art und Herkunft Sie nicht sicher kennen. Vergiftungen sind eine häufige Ursache für ein akutes Leberversagen.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

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ICD-Codes:
K74K76K70K71K72
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Quellen:
  • Baenkler, H.-W. et al: Duale Reihe Innere Medizin. Thieme Verlag, 4. Auflage 2018
  • Burchardi, R. et al: Die Intensivmedizin. Springer Verlag, 12. Auflage 2015
  • Canbay, A. et al.: Akutes Leberversagen: Ein lebensbedrohliches Krankheitsbild. In: Dtsch Arztebl Int 2011; 108(42): 714-20
  • Hartig, W. et al: Ernährungs- und Infusionstherapie: Standards für Klinik, Intensivstation und Ambulanz. Thieme Verlag, 9. Auflage 2021
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, 2022
  • Österreichische Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie: Leitlinie Akutes Leberversagen, Stand Januar 2020, unter: www.oeggh.at (Abrufdatum: 18.02.2022)
  • Spies, C. et al.: SOPs in Intensivmedizin und Notfallmedizin: Alle relevanten Standards und Techniken für die Klinik. Thieme Verlag, 1. Auflage 2013
  • Weiler N. et al.: The epidemiology of acute liver failure—results of a population-based study including 25 million state-insured individuals. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 43–50.
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