Mangelernährung bei Krebs

Von , Medizinredakteurin
Sabrina Kempe

Sabrina Kempe ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion. Sie hat Biologie studiert und sich dabei besonders in die Molekularbiologie, Humangenetik und Pharmakologie vertieft. Nach ihrer Ausbildung zur Medizinredakteurin in einem renommierten Fachverlag hat sie Fachzeitschriften und eine Patientenzeitschrift betreut. Jetzt verfasst sie Beiträge zu Medizin- und Wissenschaftsthemen für Experten und Laien und redigiert wissenschaftliche Fachbeiträge von Ärzten.

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Mangelernährung und Gewichtsverlust bei Krebs sind nicht selten. Gesellt sich ein rapider Muskelabbau hinzu, zehrt der Körper gefährlich aus, was als Tumorkachexie bezeichnet wird. Lesen Sie hier mehr zum Thema: Was sind die Ursachen für Mangelernährung und Gewichtsverlust bei Krebs? Warum kann Mangelernährung auch mit Gewichtszunahme und Übergewicht einhergehen? Woran erkennt man eine Mangelernährung? Was können Arzt und Patient gegen eine Mangelernährung tun?

Unterernährte Frau mit Krebs

Mangelernährung: Oft riskanter Gewichtsverlust

Mangelernährung (Malnutrition) bedeutet, dass die Betroffenen mit zu wenig Energie, Proteinen oder anderen Nährstoffen versorgt sind. Das kann bei Krebspatienten (oder anderen Patienten) zu einer gefährlichen Gewichtsabnahme führen.

Wann spricht man von Mangelernährung?

Wann genau man von einer Mangelernährung spricht, haben internationale Experten im Rahmen der "Global Leadership Initiative on Malnutrition" (GLIM) im Jahr 2019 gemeinsam neu definiert. Sie erstellten dafür Kriterien bezüglich Erscheinungsbild des Patienten (Phänotyp) und Ursache der Erkrankung (Ätiologie). Damit eine Mangelernährung vorliegt, reicht es aus, wenn jeweils ein phänotypisches und ein ätiologisches Kriterium gemeinsam auftreten - es müssen nicht alle der folgenden Kriterien vorhanden sein!

Phänotypische Kriterien:

  • unfreiwilliger Gewichtsverlust von mindestens fünf Prozent in sechs Monaten
  • Untergewicht gemessen anhand eines niedrigen Body-Mass-Index (BMI) von weniger als 20 kg/m2 bzw. unter 22 kg/m2 bei über 70-Jährigen
  • verminderte Muskelmasse (Sarkopenie)

Ätiologische Kriterien:

  • verminderte Nahrungsaufnahme von weniger als der Hälfte für eine Woche oder eine schon länger vorliegende (chronische) Verdauungsstörung, durch die zu wenige Nährstoffe aus der Nahrung aufgenommen werden können (Malabsorption)
  • akute oder chronische Entzündung im gesamten Körper (systemische Inflammation)

Als mangelernährt gilt demnach beispielsweise ein Krebspatient, der unfreiwillig innerhalb eines halben Jahres mehr als fünf Prozent seines Gewichts verliert und gleichzeitig für mindestens eine Woche zu wenig isst.

Ebenso von Mangelernährung betroffen sind etwa Patienten, deren Muskelmasse abnimmt und die gleichzeitig an einer im Körper schwelenden Entzündung leiden - auch, wenn Betroffene diese Kriterien nicht selbst messen können und vielleicht auch gar nicht bemerken. Denn nimmt die Muskelmasse ab, muss das nicht unbedingt gleich einen Gewichtsverlust zur Folge haben.

Generell sind Gewichtsverlust und Untergewicht nicht Voraussetzung für die Diagnose Mangelernährung. So können auch Krebspatienten mangelernährt sein, die übergewichtig oder sogar fettleibig sind. Eine Mangelernährung wird bei ihnen oftmals übersehen!

Gewichtszunahme bei Mangelernährung

Ebenfalls paradox ist, dass selbst Krebspatienten, die schnell an Gewicht zunehmen, an Mangelernährung leiden können. Die rasche Gewichtszunahme kann zum Beispiel durch die Einlagerung von Flüssigkeit ins Gewebe (Ödeme) oder in die Bauchhöhle (Aszites) oder aber durch das Anwachsen von Fettpolstern zustande kommen. Diese Phänomene wurden etwa bei Frauen mit Brustkrebs beschrieben, die eine Chemotherapie, Anti-Hormontherapie oder Kortison erhalten haben oder sich aufgrund der Krankheit weniger bewegten und mehr Kalorien zu sich genommen hatten. Die Gewichtszunahme verschlechtert genauso wie die Gewichtsabnahme bei Krebs die Prognose.

Jeder Krebspatient sollte regelmässig auf Mangelernährung hin untersucht werden. Wenn nötig, erinnern Sie Ihren Arzt daran! Besonders, wenn sich Ihr Gewicht in ungewöhnlicher Weise verändert (nach oben oder unten), sollten Sie ärztlichen Rat einholen. Es gilt, den Grund dafür herauszufinden und möglichst zu beheben.

Wie häufig ist Mangelernährung bei Krebs?

Mangelernährung bei Krebs ist weit verbreitet: Je nach Art des Tumors, Krankheitsstadium und Alter sind ein Viertel bis fast Dreiviertel aller Krebspatienten davon betroffen. Dabei tritt bei Patienten mit Krebs im Bereich des Verdauungstrakts (Magenkrebs, Darmkrebs, Speiseröhrenkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs) sowie im Kopf-Hals-Bereich (z.B. Schilddrüsenkrebs) eine Mangelernährung häufiger auf als bei Patienten, die zum Beispiel an Brust- oder Prostatakrebs leiden.

Gründe für Gewichtsverlust bei Krebs

Gewichtsverlust ist eine sehr häufige Folge von Mangelernährung. Generell verliert der Körper an Gewicht, wenn die Energiebilanz über längere Zeit negativ ausfällt. Das kann verschiedene Gründe haben:

  • Dem Körper werden mit der Nahrung zu wenig Nährstoffe (zur Energiegewinnung und als Baustoffe) zugeführt.
  • Der Körper kann aufgrund von Problemen im Verdauungstrakt die Nährstoffe nicht richtig aufnehmen.
  • Der Körper verbraucht mehr Nährstoffe, als er mit der Nahrung wieder aufnehmen kann.

Wenn Krebskranke nicht ausreichend essen wollen oder können, erhält der Körper nicht genug Nährstoffe wie Kohlenhydrate, Fette und Proteine. Um trotzdem genug Energie für die lebenswichtigen Prozesse zu erhalten, baut der Körper Fettreserven und Muskelmasse ab – der Patient verliert schnell an Gewicht und gerät in eine Abwärtsspirale:

Da die so gewonnene Energie gerade für das Nötigste ausreicht und zudem die Muskelmasse geringer wird (Sarkopenie), fühlen sich die Patienten schlapp und kraftlos – sie bewegen sich weniger, was den Muskelabbau noch verstärkt und den Gewichtsverlust weiter erhöht.

Hinzu kommt, dass die Skelettmuskeln mit zunehmendem Alter auch bei gesunden Menschen peu à peu abgebaut werden. Der Fachbegriff hierfür ist altersassoziierte Sarkopenie. Darüber hinaus verliert der Körper auch während einer Chemotherapie an Skelettmuskelmasse. Diese chemotherapiebedingte Sarkopenie ist bei Männern etwa 1,6-mal höher als bei Frauen.

Besonders gefährdet für einen chemotherapiebedingten Abbau von Muskelmasse sind Patienten mit Speiseröhrenkrebs.

Appetitlosigkeit und Geschmacksveränderung

Wenn Krebspatienten nicht mehr essen wollen, können Ängste dahinterstecken. So fürchten manche Betroffene, mit der zugeführten Nahrung auch den Tumor zu füttern. Deshalb schränken sie sich beim Essen ein - in der Hoffnung, damit der Krebsgeschwulst Energie entziehen und sie so "aushungern" zu können. Aber statt dem Tumor zu schaden, entziehen sie vor allem sich selbst die Kraft, die sie für die Therapie und das Leben mit Krebs dringend brauchen.

Auch andere Ängste und weitere seelische Belastungen wie zum Beispiel Trauer, Wut oder Depressionen kann Menschen mit Krebs Appetitlosigkeit bescheren.

In anderen Fällen hängt die Appetitlosigkeit bei Krebs mit Schmerzen, Atemnot oder -beschwerden zusammen. Zudem kann mangelnder Appetit eine Nebenwirkung der Krebsbehandlung (Chemotherapie, zielgerichtete Therapien, Immuntherapien) sein.

Manchmal lässt sich eine Mangelernährung bei Krebs auch darauf zurückführen, dass die Geschmackswahrnehmung verändert oder verringert ist - entweder durch die Behandlung oder den Tumor selbst. Betroffenen schmeckt dann das Essen nicht mehr oder sie können kaum noch verschiedene Geschmäcker wahrnehmen. In der Folge essen sie weniger oder gar nichts mehr – es kommt zur Mangelernährung.

Übelkeit und Erbrechen

Manchmal verursacht die Behandlung von Krebs Übelkeit und/oder Erbrechen - besonders eine Chemotherapie. Betroffene haben keinerlei Appetit beziehungsweise können nicht genug Nahrung bei sich behalten – sie verlieren an Gewicht.

Wie stark Übelkeit und Erbrechen ausfallen, variiert je nach verabreichtem Krebsmedikament. Besonders häufig treten diese Nebenwirkungen bei der Behandlung mit dem Chemotherapeutikum Cisplatin auf. Ebenfalls von der Art des Medikaments sowie von seiner Dosierung hängt es ab, ob Übelkeit und Erbrechen direkt bei der Behandlung oder erst Stunden oder Tage später auftreten und wie lange die Beschwerden anhalten (Stunden bis Tage).

Erbrechen und Übelkeit unter Krebstherapien werden meist direkt durch das jeweilige Medikament ausgelöst. Zusätzlich können seelische Faktoren (wie die Angst vor Übelkeit) bei Krebs-Patienten die Beschwerden verstärken.

Durchfall

Zu einem Gewichtsverlust bei Krebs kann auch Durchfall (Diarrhoe) beitragen – eine häufige Nebenwirkung von Krebsmedikamenten. Auch eine Strahlentherapie im Bauchbereich kann Durchfall forcieren. Wenn die Nahrung zu schnell durch den Körper wandert und die Nährstoffe nicht verwertet werden können, nimmt der Patient schnell ab. Deshalb ist es sehr wichtig, dass Sie mit Ihrem Arzt über auftretende Durchfälle sprechen, auch wenn das Thema für Sie vielleicht unangenehm ist.

Mundtrockenheit und entzündete Mundschleimhaut

Mundtrockenheit ist eine mögliche Nebenwirkung von Chemotherapie, Immuntherapien und zielgerichteten Therapien. Auch eine Bestrahlung im Kopfbereich, welche die Speicheldrüsen in Mitleidenschaft zieht, kann einen trockenen Mund zur Folge haben. Zusätzlich kann sich eine Entzündung der Mundschleimhaut (Mukositis) mit wunden Stellen oder Geschwüren im Mund entwickeln. Beide Faktoren – trockener Mund und entzündete Mundschleimhaut – können aufgrund von Schluckbeschwerden und Schmerzen Betroffenen die Nahrungsaufnahme erschweren und so eine Mangelernährung bei Krebs begünstigen.

Ungünstige Lage des Tumors

Der Tumor selbst kann auf mechanischem Wege verhindern, dass Krebspatienten genug essen können. Befindet sich die Krebsgeschwulst zum Beispiel am Eingang des Magens, kann die Nahrung nur schwer an ihm vorbei in den Magen gelangen. Ein weit fortgeschrittener Darmkrebs kann wiederum den Darm versperren (Darmverschluss) und eine normale Verdauung unmöglich machen.

Ganz oder teilweise entfernte Organe

Mussten bei Krebskranken Organe ganz oder teilweise entfernt werden, die für die Aufnahme und Verdauung der Nahrung wichtig sind (z.B. Speiseröhre, Magen), begünstigt das eine Mangelernährung.

>> Kehlkopf, Speiseröhre

Wenn der Kehlkopf oder die Speiseröhre entnommen werden musste, fällt Betroffenen das Schlucken schwer. Zudem können sie gegenüber bestimmten Speisen überempfindlich werden und Angst vor dem Ersticken entwickeln.

>> Magen

Patienten, deren Magen herausoperiert wurde und die nun einen Ersatzmagen haben, können mit folgende Problemen konfrontiert sein:

  • Sie können nur noch geringe Mengen essen und sind deshalb schnell satt.
  • Die Nahrung "rutscht" zu schnell durch den Magen (Sturzentleerung, Dumping-Syndrom), was zu Oberbauchschmerzen, Durchfällen, Kreislaufproblemen oder einer Unterzuckerung führen kann.
  • Der Schliessmuskel am Mageneingang fehlt, weshalb Speisebrei in die Speiseröhre zurückfliessen kann. Daraufhin entzündet sich die Speiseröhre (Ösophagitis).
  • Die Fettverdauung ist häufig beeinträchtigt.
  • Viele Patienten vertragen keinen Milchzucker (Laktose) mehr (Laktoseintoleranz).

>> Bauchspeicheldrüse

Welche Probleme nach einer Operation an der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) auftreten, hängt davon ab, welcher Teil des Organs herausgeschnitten werden musste: Wurde der Bauchspeicheldrüsenkopf entfernt, fehlen verschiedene Verdauungsenzyme, die das Organ normalerweise in den Dünndarm abgibt. Ohne den Bauchspeicheldrüsenschwanz kann das Organ nicht mehr ausreichend von dem blutzuckersenkenden Hormon Insulin produzieren. Betroffene entwickeln zu hohe Blutzuckerwerte, können Durchfall bekommen und an Gewicht verlieren.

>> Darm

Fehlen Teile des Dünn- oder Dickdarms oder wurde der Dickdarm komplett entfernt, ist die Verdauung beeinträchtigt: Durchfälle, breiige Stühle und Gewichtsverlust können die Folge sein.

Tumorkachexie

Eine Spezialform der Mangelernährung ist eine schwere Auszehrung, die sogenannte Tumorkachexie. Bis zu 85 Prozent der Krebspatienten sind davon betroffen. Hierbei manipuliert der Tumor mithilfe seiner Botenstoffe den Stoffwechsel und das Immunsystem für seine Zwecke:

Er sorgt dafür, dass Stoffwechselprodukte wie Proteine verstärkt abgebaut werden – auch wenn der Betroffene sich kaum bewegt (katabole Stoffwechsellage). Dadurch schwindet die Skelettmuskulatur im ganzen Körper (Sarkopenie). Zudem werden Speicherfette intensiv abgebaut, und die Zellen verbrauchen viel mehr Energie als sonst. Darüber hinaus schwelt im gesamten Körper eine andauernde Entzündung (systemische Inflammation). Diese wirkt ebenfalls einem Muskelaufbau entgegen (anabole Resistenz). Die Folgen dieser Vorgänge sind:

  • Appetitlosigkeit, Geschmackstörungen und frühzeitiges Sättigungsgefühl
  • anhaltender, unfreiwilliger Gewichtsverlust
  • Müdigkeit, Antriebslosigkeit und ständige Erschöpfung (Fatigue)
  • Leistungsminderung
  • Verlust von Muskelmasse und -kraft (Sarkopenie)
  • verringerte Lebensqualität

Die Betroffenen befinden sich in einem Teufelskreis: Die Körperreserven schwinden, trotzdem haben die Patienten keinen Appetit und essen deshalb nicht genug – sie verlieren an Gewicht. Weil sie sich antriebslos und schwach fühlen, bewegen sie sich weniger, was den Abbau der Muskulatur weiter ankurbelt. Zusätzlich fällt es dem Körper schwerer, Muskeln wieder aufzubauen.

Stadien der Tumorkachexie

Die Tumorkachexie lässt sich in drei Stadien einteilen:

  • Präkachexie: Das ist die Vorstufe zur Kachexie. Sie ist durch einen Gewichtsverlust von weniger als fünf Prozent, Appetitlosigkeit und Stoffwechselveränderungen gekennzeichnet.
  • Kachexie: Kennzeichen sind ein Gewichtsverlust über fünf Prozent oder eine BMI-Verringerung um weniger als zwei Prozent oder ein Muskelabbau und Gewichtsverlust von mehr als zwei Prozent sowie eine verringerte Nahrungsaufnahme und eine systemische Entzündung.
  • Refraktäre Kachexie: "Refraktär" bedeutet, nicht mehr durch Therapien beeinflussbar. Betroffene zeigen einen starken Verlust an Fett- und Muskelmasse. Ihre Lebenserwartung beträgt weniger als drei Monate.

Nach einer "Blutvergiftung" (Sepsis) ist die Kachexie bei Krebspatienten die zweithäufigste Todesursache. Frühes Eingreifen ist also extrem wichtig - denn ist erst einmal das letzte (refraktäre) Stadium erreicht, verspricht eine Therapie keinen Erfolg mehr.

Tumorkachexie im Endstadium

Wenn bei einer Krebserkrankung keine Behandlung mehr anschlägt, liegt der Patient im Sterben. Auch hier kommt es zu einer Tumorkachexie bzw. einem starken Gewichtsverlust: Bei Krebs im Endstadium weisen bis zu 80 Prozent der Betroffenen die drei Symptome Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust und Sarkopenie auf. Oft ist es sogar so, dass die Patienten spüren, dass es zu Ende geht, und sie daher bewusst auf Nahrung verzichten. Dies gehört zum normalen Sterbeprozess, ist für Angehörige aber oft schwer zu akzeptieren.

Der bewusste Nahrungsverzicht lässt den Sterbenden nicht qualvoll verhungern, sondern hilft ihm oft sogar, in Würde zu gehen! Eine erzwungene Nahrungsaufnahme wäre in dem Fall für den Betroffenen daher das Falsche.

Welche Folgen hat die Mangelernährung bei Krebs?

Mangelernährung bei Krebs ist problematisch, denn sie…

  • verringert nachweislich die Lebensqualität,
  • lässt Ängste oder Depression entstehen oder verstärken, macht teilnahmslos und vermindert die Konzentrationsfähigkeit,
  • lässt die Muskelmasse schwinden, führt zu Müdigkeit, schneller körperlicher Erschöpfung und Schwäche,
  • verursacht Haarausfall, trockene und schuppige Haut,
  • macht anfälliger für Infektionen,
  • reduziert die Funktionstüchtigkeit der roten Blutkörperchen,
  • verringert die Herzleistung, stört den Herzrhythmus und führt zu Bluthochdruck,
  • schwächt die Atemmuskulatur,
  • macht die Krebstherapie schlechter verträglich für den Patienten (stärkere Nebenwirkungen),
  • reduziert das Ansprechen des Tumors auf die Therapie,
  • begünstigt Wundheilungsstörungen nach Operationen,
  • verschlechtert die Prognose für den Krankheitsverlauf und schmälert damit die Überlebenschancen.

Mangelernährung erkennen

Wer an Krebs erkrankt ist, sollte das eigene Gewicht im Auge behalten: Wiegen Sie sich regelmässig und schreiben Sie sich die Messwerte auf. Eine unerklärliche Gewichtsveränderung kann Ihnen so frühzeitig auffallen. Suchen Sie dann umgehend Ihren Arzt auf - er kann feststellen, ob Sie an einer Mangelernährung und eventuell sogar an einer Tumorkachexie leiden.

Parallel dazu ist es auch die Aufgabe Ihres Arztes, Sie regelmässig auf Mangelernährung hin zu untersuchen (Screening) – unabhängig davon, ob Ihnen ein rasche Gewichtsveränderung aufgefallen ist. Mithilfe von einem speziellen Protokoll erfasst er dabei Ihren Ernährungszustand, Ihre Erkrankungssituation und Ihr Alter. Fällt dem Arzt bei diesem Screening ein erhöhtes Risiko für Mangelernährung auf, folgen weitere Analysen, die auch regelmässig wiederholt werden müssen:

  • Fragen zu Ihrer Ernährung
  • Bestimmung Ihrer Körperzusammensetzung (Muskel- und Fettanteil) mithilfe einer Computertomografie und/oder einer bioelektrischen Impedanzanalyse (BIA) - Letztere misst den Widerstand (Impedanz), den der Körper einem über Elektroden angelegten Wechselstrom entgegensetzt
  • Messung Ihrer Muskelfunktion mit einem Test zur Handkraftstärke und/oder einem Sitz-Stand-Test (5-mal aus dem Sitzen aufzustehen und sich wieder hinzusetzen dauert normalerweise weniger als 16 Sekunden)
  • Messung Ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit, zum Beispiel anhand eines 400-Meter-Gehtests (normalerweise in weniger als sechs Minuten zu schaffen) oder eines Tests zur Schrittgeschwindigkeit (normalerweise mehr als 0,8 Meter pro Sekunde)

Steht die Diagnose Mangelernährung fest, muss der Arzt abklären, ob es sich um eine einfache Mangelernährung ohne eine Entzündung im Körper handelt oder um eine Mangelernährung mit einer Entzündung (Tumorkachexie). Dazu misst Ihr Arzt regelmässig den Grad der Entzündung in Ihrem Körper über bestimmte Blutwerte - darunter C-reaktives Protein (CRP) und Serumalbumin. Liegt der CRP-Wert über 10 Milligramm pro Liter (mg/l) und das Serumalbumin unter 35 Gramm pro Liter (g/l), verschlechtert dies die Prognose der Krebserkrankung stark.

Behandlung der Mangelernährung bei Krebs

Die Behandlung der Mangelernährung bzw. der Tumorkachexie besteht aus drei wichtigen Säulen:

  1. Ursachen identifizieren und behandeln: Zunächst muss geklärt werden, woher die Mangelernährung kommt, um dann diese Ursachen nach Möglichkeit zu beheben. Sind etwa Nebenwirkungen der Tumortherapie wie Übelkeit oder Durchfall der Grund für die Mangelernährung, müssen diese konsequent behandelt werden (etwa mit Medikamenten).
  2. Gewichtsverlust ausgleichen bzw. stoppen: Um den Gewichtsverlust auszugleichen, muss der mangelernährte Körper künftig genügend Energie über die Nahrung erhalten. In manchen Situationen, wie nach der Entfernung des Magens, ist aber eine Gewichtszunahme oft nur schwer möglich. Dann sollte zumindest versucht werden, das aktuelle Gewicht zu halten.
  3. Muskeln trainieren: Krebskranke brauchen ein regelmässiges körperliches Training, um den Abbau der Muskulatur zu stoppen und um möglichst wieder Muskeln aufbauen zu können.

Das wichtigste Ziel der Behandlung ist es, dass Sie sich wieder wohlfühlen und an Lebensqualität gewinnen.

Nebenwirkungen des Tumors / der Therapie behandeln

>> Appetitlosigkeit: Essen Sie, was Ihnen schmeckt und wann immer Sie Appetit haben. Versuchen Sie, mehrere kleinere Mahlzeiten über den Tag verteilt zu sich zu nehmen. Essen Sie in Gesellschaft oder lesen Sie beim Essen oder vor dem Fernseher – mit Ablenkung isst es sich leichter. Richten Sie Ihre Speisen abwechslungsreich, optisch ansprechend und farbenfroh an. Auch Gewürze und Kräuter fördern den Appetit. Bewegen Sie sich regelmässig, das regt den Appetit an. Zusätzlich kann Ihr Arzt Ihnen appetitanregende Medikamente verschreiben.

>> Schmerzen: Wenn Sie Schmerzen haben, sprechen Sie unbedingt mit Ihrem Arzt. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Schmerzen adäqaut zu behandeln.

>> Übelkeit und Erbrechen: Übelkeit und Erbrechen lassen sich mit entsprechenden Medikamenten gut in den Griff bekommen - den sogenannten Antiemetika. Diese werden Krebspatienten vorbeugend vor einer Chemotherapie als Infusion über die Vene (intravenös) verabreicht. Bei Bedarf kann auch eine weitere Dosis gegeben werden (als Infusion oder in Tablettenform).

>> Mundschleimhautentzündung: Bereits vor einer medikamentösen Krebstherapie oder einer Strahlentherapie sollten Sie Ihren Zahnarzt aufsuchen, um eventuelle vorhandene Karies-Stellen und Zahnfleischentzündungen behandeln zu lassen. Eine sorgfältige Mundhygiene vor, während und nach der Therapie hilft, Infektionen zu verhindern. Kommt es trotzdem zu einer Infektion im Mund, kann der Arzt diese mit entsprechenden Medikamenten behandeln.

>> Durchfall: Die wichtigste Massnahme bei Durchfall besteht darin, den Verlust an Wasser und Salzen (Elektrolyten) auszugleichen - mit viel Trinken und ggf. entsprechenden Lösungen, die es in der Apotheke zu kaufen gibt (Elektrolytlösungen). Zusätzlich müssen Sie die Ernährung für die Zeit des Durchfalls anpassen: Vermeiden Sie ballaststoffreiche Speisen wie Vollkornbrot, Nüsse oder getrocknete Früchte. Essen Sie stattdessen Weissbrot, Nudeln, Reis, Eier, Huhn und Joghurt sowie kaliumreiche Kost wie Bananen, Orangen und Pfirsiche.

Reichen diese Massnahmen nicht aus, kann Ihnen Ihr Arzt Ihnen ein Medikament gegen den Durchfall verordnen. Zunächst wird ein sogenannter μ-Opioidrezeptoragonist wie Loperamid versucht. Falls dieser nicht ausreichend wirkt, kommt ein opiathaltiges Medikament (wie Opiumtinktur) zum Einsatz.

Kalorienhaltige Ernährung

Als Krebspatient mit einer Mangelernährung und Gewichtsverlust brauchen Sie dringend eine Ernährungstherapie und/oder eine regelmässige Ernährungsberatung. Ein Ernährungsberater oder Diätassistent wird mit Ihnen Ihre bisherige Ernährung analysieren. Danach erhalten Sie einen individuell angepassten Ernährungsplan und hilfreiche Tipps. Oft wird hierbei genau das Gegenteil von dem empfohlen, was gesunden Menschen geraten wird (z.B. fettreiche Mahlzeiten).

Nehmen Sie Nahrungsergänzungsmittel nur ein, wenn Sie dies zuvor mit Ihrem Arzt oder Ihrem Ernährungsberater besprochen haben, um die Krebstherapie nicht negativ zu beeinflussen!

>> Energiereich ernähren: Die Nahrung von Krebspatienten mit einer Mangelernährung sollte besonders energiereich sein (sofern kein Übergewicht besteht). Da Krebskranke aber oft nur geringe Mengen auf einmal essen können oder wenig Appetit haben, sollte der Speiseplan möglichst viel Fett enthalten. Das bedeutet: Wann immer möglich, sollten Sie Ihre Mahlzeiten mit Fett (z.B. Pflanzenöle, Butter, Nidel, Margarine, Schmalz oder Speck) anreichern.

Einige Studienergebnisse lassen vermuten, dass Omega-3-Fettsäuren (genauer: Eicosapentaensäure, EPA) besonders hilfreich sein könnten. Gute Lieferanten für EPA sind Kaltwasserfische wie Sardellen, Heringe, Makrelen, Sardinen und Lachs. Omega-3-Fettsäuren finden sich aber auch in Lein-, Walnuss- und Rapsöl.

>> Kalorienhaltige Getränke: Trinken Sie auch verdünnte Fruchtsäfte, Milchshakes, Kakao und Limonaden, um Ihrem Körper fehlende Energie zuzuführen.

>> Viel Eiweiss (Protein) aufnehmen: Krebspatienten benötigen besonders viel Eiweiss und viele Eiweiss-Bausteine (Aminosäuren). Empfohlen werden täglich 1,5 bis 2 Gramm Eiweiss pro Kilogramm Körpergewicht. Bei einem 60 kg schweren Menschen entspricht das 90 bis 120 Gramm Eiweiss am Tag. Viel Protein liefern Fleisch, Eier, Käse, Fisch sowie Schalen- und Krustentiere, aber auch einige pflanzliche Produkte wie Hülsenfrüchte, Nüsse und Getreide. Tierische Proteine sind allerdings vorteilhafter für den Muskelaufbau als pflanzliche.

>> Astronautenkost: Zusätzlich kann es zur Behandlung von Mangelernährung bei Krebs sinnvoll sein, auf Trink- und Zusatznahrung (Supplementierung), auch "Astronautenkost" genannt, zurückzugreifen. Die sogenannten Supplemente enthalten hoch konzentriertes Eiweiss. Es gibt sie zum Beispiel als Eiweisspulver, das man in Milch einrühren kann. Hilfreich ist auch fertige Trinknahrung, die als Zwischenmahlzeit eingenommen wird. Auch vor einer Tumoroperation ist es hilfreich, Eiweisskonzentrate zu nutzen, um einer Mangelernährung nach der Operation vorzubeugen.

>> Viele kleine Mahlzeiten: Es ist besser, Sie essen über den Tag verteilt fünf bis sechs kleine Mahlzeiten statt weniger grosser. Das reduziert den Druck, viel auf einmal essen zu müssen.

Nehmen Sie einen engen Vertrauten (Freund, Angehörigen etc.) mit zur Ernährungsberatung. Er kann mithelfen, die vielen Informationen und Empfehlungen aufzunehmen.

Künstliche Ernährung

Wenn es nicht möglich ist, genug Nahrung auf natürlichem Weg aufzunehmen, müssen die Nährstoffe künstlich in den Körper eingebracht werden. Das klingt erst einmal erschreckend, ist aber lebensnotwendig. Für manche Patienten kann die künstliche Ernährung sogar eine Erleichterung sein, weil es ihnen den Druck nimmt, regelmässig eine bestimmte Menge essen zu müssen.

Es gibt verschiedene Formen der künstlichen Ernährung:

  • enterale Ernährung: Dabei werden alle benötigten Nährstoffe über eine Sonde direkt in den Magen-Darm-Trakt geleitet, also unter Umgehung des Mund-Rachen-Raumes.
  • parenterale Ernährung: Bei dieser Variante werden die Nährstoffe direkt als Infusion in die Blutbahn (genauer: in eine Vene) eingebracht. Diese Art der künstlichen Ernährung wird eingesetzt, wenn die Verdauungsorgane nicht ausreichend funktionsfähig sind, weil zum Beispiel ein nicht operabler Tumor den Magen oder den Darm blockiert.

Manche Krebspatienten erhalten ergänzend zur normalen Ernährung eine Sondennahrung (enterale Ernährung), wenn sie oral nicht genügend Nahrstoffe aufnehmen können. Andere Patienten müssen ausschliesslich künstlich ernährt werden (enteral und/oder parenteral).

Körperliche Aktivität

Zur Behandlugn einer Mangelernährung Ein regelmässiges Muskeltraining verhindert den Abbau von Muskeln und fördert deren Wiederaufbau. Am effektivsten ist ein von Physiotherapeuten oder Sportmedizinern angeleitetes Training, bestehend aus:

  • Ausdauertraining (dreimal pro Woche jeweils mindestens 30 Minuten)
  • Kraft- und Haltetraining (zweimal pro Woche)

Für gebrechliche Patienten ist so ein Training nur schwer zu bewältigen. Hier kommt es daher umso mehr auf die Bewegung im Alltag an (Spaziergänge, Treppensteigen etc.). Gute Erfolge konnten Forscher bei diesen Patienten zudem mit sogenannter Elektromyostimulation erzielen. Hierbei werden die Muskeln durch elektrische Reize stimuliert. Das kann ebenfalls dem Verlust an Muskelmasse infolge einer Mangelernährung bei Krebs entgegen wirken.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Sabrina Kempe

Sabrina Kempe ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion. Sie hat Biologie studiert und sich dabei besonders in die Molekularbiologie, Humangenetik und Pharmakologie vertieft. Nach ihrer Ausbildung zur Medizinredakteurin in einem renommierten Fachverlag hat sie Fachzeitschriften und eine Patientenzeitschrift betreut. Jetzt verfasst sie Beiträge zu Medizin- und Wissenschaftsthemen für Experten und Laien und redigiert wissenschaftliche Fachbeiträge von Ärzten.

ICD-Codes:
C50C16C34C19C18C15C61C20
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Quellen:
  • Arends, J. & Weimann, A.: "Bedeutung des Ernährungsstatus beim Tumorpatienten – Mangelernährung, Sarkopenie und Kachexie", in: Der Onkologe, Band 27, Ausgabe 2, 2021
  • Böhm, A et al.: "Tumorkachexie (TuKa) – Erleben und Interaktion in Paarbeziehungen", in: Der Onkologe, Band 27, Ausgabe 2, 2021
  • Deutsche Krebshilfe: Die blauen Ratgeber: "Ernährung bei Krebs – Antworten, Hilfen, Perspektiven" (Stand: 1/2020), unter: www.krebshilfe.de
  • Gustafsson, U.O. et al.: "Guidelines for perioperative care in elective colorectal surgery: Enhanced Recovery after Surgery (ERAS) Society Recommendations 2018", in: World Journal of Surgery, Band 43, Ausgabe 3, 2019
  • Jensen, G.L. et al.: "GLIM criteria for the diagnosis of malnutrition. A consensus report from the global clinical nutrition community", in: Journal of Parenteral and Enteral Nutrition, Band 43, Ausgabe 1, 2019
  • Kiechle, M.: "Ernährung und körperliche Aktivität – Bedeutung für Prävention, Prognose und Therapie gynäkologischer Tumorerkrankungen", in: Der Gynäkologe, Band 54, Ausgabe 1, 2021
  • ONKO Internetportal der Deutschen Krebsgesellschaft: "Mangelernährung als Nebenwirkung einer Krebstherapie" (Stand: 12.04.2018), unter: www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal
  • Patientenratgeber der Berliner Krebsgesellschaft e.V.: "Nebenwirkungen der Tumortherapie – Hilfe zur Selbsthilfe", 1. Auflage, 2018, unter: www.berliner-krebsgesellschaft.de
  • Polzer, A.: "Mangelernährt in der Onkologie", in: Heilberufe, Band 72, Ausgabe 12, 2020
  • Pschyrembel online, Klinisches Wörterbuch: www.pschyrembel.de (Abruf: 28.04.2021)
  • Schink, K. et al.: "Effects of whole-body electromyostimulation combined with individualized nutritional support on body composition in patients with advanced cancer: a controlled pilot trial", in: BMC Cancer, Band 18, Ausgabe 1, 2018
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