Klinefelter-Syndrom

Von , Ärztin
Mareike Müller

Mareike Müller ist freie Autorin in der NetDoktor-Medizinredaktion und Assistenzärztin für Neurochirurgie in Düsseldorf. Sie studierte Humanmedizin in Magdeburg und sammelte viel praktische medizinische Erfahrung während ihrer Auslandsaufenthalte auf vier verschiedenen Kontinenten.

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Das Klinefelter-Syndrom ist eine genetisch bedingte Krankheit. Sie betrifft nur Männer. Diese tragen in ihren Zellen zu viele Geschlechtschromosomen. Typische Symptome sind Hochwuchs und Unfruchtbarkeit. Das Klinefelter-Syndrom ist nicht heilbar. Es gibt aber verschiedene Medikamente, um die Symptome zu mildern. Lesen Sie hier alles über das Klinefelter-Syndrom!

Klinefelter-Syndrom

Klinefelter-Syndrom: Beschreibung

Das Klinefelter-Syndrom ist eine genetische Krankheit, die nur Männer betrifft. Sie haben mindestens ein sogenanntes Geschlechtschromosom zu viel in ihren Zellen. Auch der Begriff XXY-Syndrom ist geläufig.

Das Klinefelter-Syndrom wird als Syndrom bezeichnet, weil verschiedene Krankheitszeichen vorliegen, die gleichzeitig auftreten und in einem Zusammenhang zueinander stehen. Man spricht auch von einem Symptomkomplex. Die Klinefelter-Syndrom-Merkmale wurden erstmals 1942 von dem US-amerikanischen Arzt Dr. Harry Klinefelter beschrieben.

Klinefelter-Syndrom: Vorkommen

Klinefelter-Patienten sind immer männlich. Etwa ein Knabe von 500 bis 1000 lebendgeborenen ist statistisch gesehen vom Klinefelter-Syndrom betroffen.

Das Klinefelter-Syndrom ist die häufigste Chromosomen-Abweichung (Chromosomen-Aberration) des Mannes und der häufigste genetische Grund für Unfruchtbarkeit von Männern.

Klinefelter-Syndrom: Symptome

Das Klinefelter-Syndrom ist individuell sehr unterschiedlich stark ausgeprägt und kann viele verschiedene Organsysteme betreffen. Meist verläuft die Kindheit der Betroffenen unauffällig. In dieser Zeit können sich Symptome zeigen wie:

  • verzögerte sprachliche und motorische Entwicklung
  • Lernschwierigkeiten bei oft normaler Intelligenz
  • Hochwuchs mit langen Beinen

Häufig macht sich das Klinefelter-Syndrom erst in der Pubertät bemerkbar. Diese tritt meist verzögert oder gar nicht ein:

  • Der Bartwuchs und die Sekundärbehaarung bleiben aus oder sind spärlich.
  • Der Stimmbruch fehlt: die Patienten behalten eine hohe Stimme.
  • Der Sexualtrieb (Libido) ist vermindert
  • Das Hodenvolumen (die Hodengrösse) bleibt gering
  • Die Männer sind nicht zeugungsfähig
  • Die Körperfettverteilung ist eher weiblich

Hinzu können weitere Probleme kommen:

Klinefelter-Syndrom: Ursachen und Risikofaktoren

Um das Klinefelter-Syndrom besser verstehen zu können, folgen hier einige Begriffserklärungen. Das Klinefelter-Syndrom beruht auf einer Chromosomenaberration. Darunter verstehen Mediziner, dass die Anzahl oder die Struktur der Chromosomen gestört ist.

Auf den Chromosomen sind unsere Erbinformationen gespeichert. Normalerweise liegen in jeder Zelle 46 Chromosomen vor. Dazu zählen auch zwei Geschlechtschromosomen. Beim weiblichen Karyotyp (Chromosomensatz) werden sie als XX bezeichnet, beim männlichen als XY. Ein normaler Karyotyp wird dementsprechend als 46, XX beziehungsweise 46, XY beschrieben.

Beim Klinefelter-Syndrom liegen mehr als 46 Chromosomen vor.

Klinefelter-Syndrom: Verschiedene Karyotypen

Verschiedene Karyotypen können zum Klinefelter-Syndrom führen:

  • 47, XXY: Bei etwa 80 Prozent der Pateinten liegt ein zusätzliches X-Chromosom in allen Körperzellen vor.
  • 46, XY/47, XXY: Einige Patienten haben in ihrem Körper Zellen mit normalem und mit verändertem Chromosomensatz. Dies wird als Mosaik bezeichnet.
  • 48, XXXY; 48, XXYY; 49, XXXXY: Es gibt Sonderfälle, in denen nicht nur ein zusätzliches X-Chromosom in den Zellen vorliegt, sondern mehrere. Auch zusätzliche Y-Chromosomen sind möglich.

Wie entsteht das Klinefelter-Syndrom?

Die Klinefelter-Syndrom-Ursache liegt in der Heranreifung der Samenzellen des Vaters oder der Heranreifung der Eizellen der Mutter.

In der sogenannten Meiose werden die Chromosomenpaare (XX in der Eizelle, XY in der Samenzelle) getrennt. Passiert dies nicht, wird ein Chromosomenpaar komplett weitergegeben und es entsteht das Klinefelter-Syndrom.

Durch das doppelte X-Chromosom wird die Bildung von Testosteron in den Hoden gestört. Da das männliche Geschlechtshormon Testosteron nicht nur für die Ausbildung der Geschlechtsorgane und -merkmale wichtig ist, sondern verschiedene Aufgaben im Stoffwechsel des Menschen übernimmt, sind die Klinefelter-Syndrom-Symptome so vielfältig.

Ausserdem wird das übrige X-Chromosom teilweise unterdrückt. Dieser Mechanismus ist von Patient zu Patient unterschiedlich stark ausgebildet und sorgt für eine unterschiedlich strake Symptomausprägung.

Klinefelter-Syndrom: Untersuchungen und Diagnose

Aufgrund der milden Symptomatik im Kindesalter wird das Klinefelter-Syndrom oft erst während der Pubertät und manchmal sogar erst bei unerwünschter Kinderlosigkeit im Erwachsenenalter diagnostiziert.

Zu Zeiten der Wehrpflicht fielen betroffene Männer in der sogenannten Musterung durch ein kleines Hodenvolumen auf. Heutzutage wird das Klinefelter-Syndrom vor allem bei der Vorsorgeuntersuchung Jugendlicher beim Kinderarzt, der J1, diagnostiziert.

Je nach Alter erfolgt eine Behandlung beim Kinderarzt, Endokrinologen oder Andrologen – mitunter auch durch mehrere Fachrichtungen gemeinsam.

Klinefelter-Syndrom: Diagnostik

Um die Diagnose Klinefelter-Syndrom zu stellen, befragt der Arzt den Patienten zunächst ausführlich nach seiner Krankheitsgeschichte (Anamnese). Dabei stellt er Ihnen unter anderem wahrscheinlich folgende Fragen:

  • Hatten Sie in der Schule Schwierigkeiten, mitzukommen?
  • Fühlen Sie sich oft schlapp?
  • Wann begann Ihre Pubertät?
  • Versuchen Sie und Ihre Partnerin seit längerem erfolglos ein Kind zu bekommen?

Klinefelter-Syndrom: Körperliche Untersuchung

Anschliessend untersucht der Arzt den Patienten körperlich. Dabei achtet er zunächst auf das äusserliche Erscheinungsbild, insbesondere die Körperproportionen. Ist der Patient hochgewachsen? Hat er überdurchschnittlich lange Beine? Zusätzlich begutachtet der Arzt die Körperbehaarung sowie die Brustdrüse.

Ausserdem wird die Hodengrösse gemessen. Sie ist bei Klinefelter-Patienten meist deutlich verringert.

Klinefelter-Syndrom: Blutuntersuchung

Nach einer Blutentnahme können im Labor verschiedene Hormonspiegel bestimmt werden. Patienten mit Klinefelter-Syndrom haben in der Regel geringe Testosteron- und hohe FSH- und LH-Spiegel im Blut. Ärzte sprechen dann von einem hypergonadotropen Hypogonadismus, also einer Unterentwicklung der Keimdrüsen trotz hoher hormoneller Stimulation.

Ausserdem können die entnommen Blutzellen unter einem Mikroskop betrachtet und die Anzahl sowie Struktur der Chromosomen analysiert werden. So kann das XXY-Syndrom leicht erkannt werden, da anstatt zweier Geschlechtschromosomen (mindestens) drei vorliegen.

Klinefelter-Syndrom: Vorgeburtliche Untersuchungen

Die sogenannte Pränataldiagnostik bietet die Möglichkeit, ein Klinefelter-Syndrom schon vor der Geburt zu diagnostizieren. Eine so frühe Diagnose bietet die Chance, das Kind schon ab der Geburt optimal zu versorgen und gezielt zu fördern.

Zur Pränataldiagnostik zählen invasive Untersuchungen wie die Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese): Der Arzt entnimmt dabei der schwangeren Frau eine kleine Probe des Fruchtwassers. Darin finden sich kindliche Zellen, deren Erbgut (DNA) auf verschiedenste Chromosomen-Veränderungen (Anomalien) wie dem Klinefelter-Syndrom hin analysiert werden kann. Der Nachteil invasiver pränataler Untersuchungen wie der Amniozentese ist, dass sie eine Fehlgeburt auslösen können.

Diesen Nachteil haben nicht-invasive pränatale Bluttests (NIPT) wie der Harmony-Test, PraenaTest und Panorama-Test nicht. Sie benötigen nämlich nur eine mütterliche Blutprobe: Darin finden sich Spuren kindlichen Erbguts, die man auf Chromosomenanomalien prüfen kann. Die pränatalen Bluttests liefern recht zuverlässige Ergebnisse, kosten aber (je nach Test und Analyse-Umfang) mehrere Hundert Euro.

Wird beim Ungeborenen mittels Pränataldiagnostik tatsächlich ein Klinefelter-Syndrom festgestellt, ist das kein Grund für einen Schwangerschaftsabbruch! Das Beschwerdebild der Betroffenen ist nämlich meist milde und nicht lebensbedrohlich.

Klinefelter-Syndrom: Behandlung

Das Klinefelter-Syndrom ist nicht heilbar, weil es durch eine Chromosomen-Aberration entsteht. Diese kann nicht beeinflusst werden.

Es gilt also, die Klinefelter-Syndrom-Symptome zu behandeln. Wichtigster Ansatzpunkt sind die niedrigen Testosteron-Spiegel im Blut der Betroffenen. Deshalb erhalten die Patienten lebenslang künstliches Testosteron. Dies bezeichnet man auch als Testosteron-Substitution. Dafür stehen Gele, Pflaster und Spritzen zur Verfügung. Tabletten werden nicht eingesetzt, da das Hormon im Magen-Darm-Trakt schnell zerfällt und zu Unverträglichkeiten führen kann.

Ob ein Gel, Pflaster oder eine Spritze genutzt wird, hängt auch von den Vorlieben des Patienten ab. Gele haben den Vorteil, nicht schmerzhaft zu sein. Sie müssen jedoch täglich aufgetragen werden. Pflaster sollten alle zwei Tage gewechselt werden. Spritzen gibt es in Form von Depot-Spritzen, die nur alle vier Wochen bis drei Monate verabreicht werden müssen.

Bevor eine Testosteron-Substitution stattfindet, muss ein bösartgier Tumor der Vorsteherdrüse (Prostatakarzinom) ausgeschlossen werden. Testosteron lässt solche Tumoren schneller wachsen, sodass diese zunächst behandelt werden müssen.

Klinefelter-Syndrom: Therapiekontrolle

Die Wirksamkeit der Testosteron-Behandlung sollte regelmässig durch eine Blutentnahme kontrolliert werden. Es werden dafür die Werte für Testosteron und auch andere Hormone wie LH, FSH und Estradiol überwacht.

Auch die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) werden untersucht, weil ihre Bildung durch Testosteron gefördert wird. Ausserdem sollte alle zwei bis drei Jahre die Knochendichte gemessen werden, um eine mögliche Osteoporose frühzeitig zu erkennen. Zusätzlich sollte die Brust regelmässig abgetastet werden, da Klinefelter-Patienten ein höheres Brustkrebs-Risiko haben.

Eine erfolgreiche Testosteron-Therapie zeigt sich in einer steigenden Leistungsfähigkeit und geringeren Ermüdbarkeit sowie im Vorbeugen von Osteoporose, Diabetes mellitus und Muskelschwäche.

Klinefelter-Syndrom: Krankheitsverlauf und Prognose

Das Klinefelter-Syndrom hat in der Regel eine milde Symptomatik. Durch eine konsequente Testosteron-Therapie und gezielte Förderung in der Schule führen die Patienten ein ausgeglichenes und selbstbestimmtes Leben.

Dennoch belastet vor allem die Infertilität die Betroffenen. Die Klinefelter-Syndrom-Lebenserwartung ist insofern eingeschränkt als, dass die Patienten ein 20-fach höheres Risiko tragen, an Brustkrebs zu erkranken.

Patienten mit dem Klinefelter-Syndrom haben eine durchschnittliche Intelligenz. Dennoch benötigen sie häufig mehr Zeit für das Erlernen neuer Dinge. Die sprachliche und motorische Entwicklung sollte früh durch Logopädie und Ergotherapie gefördert werden.

Klinefelter-Syndrom: Kinderwunsch

Damit Klinefelter-Syndrom-Patienten die Möglichkeit erhalten, Kinder zu zeugen, können im frühen Jugendalter Samenzellen aus dem Hoden entnommen werden.

Zu dem Zeitpunkt und vor einer Testosteron-Therapie ist die Chance am höchsten, funktionsfähige Spermien zu finden. Das mittels Hodenbiopsie gewonnene Material wird analysiert, aufbereitet und eingefroren (Kryokonservierung). So wird es lange haltbar gemacht und steht bei einem späteren Kinderwunsch zur Verfügung. Dann wird der Frau eine Eizelle entnommen und diese mit den Samenzellen künstlich befruchtet.

Eltern eines Kindes mit Klinefelter-Syndrom haben kein erhöhtes Risiko, dass ein weiteres Kind ebenfalls erkrankt.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Mareike Müller
Mareike Müller

Mareike Müller ist freie Autorin in der NetDoktor-Medizinredaktion und Assistenzärztin für Neurochirurgie in Düsseldorf. Sie studierte Humanmedizin in Magdeburg und sammelte viel praktische medizinische Erfahrung während ihrer Auslandsaufenthalte auf vier verschiedenen Kontinenten.

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