Akustikusneurinom

Von , Ärztin
und , Biologin und Medizinredakteurin
Dr. med. R. Schwarz

Dr. Schwarz studierte Medizin in Würzburg, wo sie auch ihre Promotion abschloss. Nach sehr vielseitigen Aufgaben während der medizinischen praktischen Ausbildung (PJ) u.a. in der Inneren Medizin und Chirurgie ist sie nun als Fachärztin für Radiologie tätig.

Dr. Monique Amey-Özel

Dr. Monique Amey-Özel hat Biologie an der Universität Bonn studiert und in den Neurowissenschaften promoviert. Sie war mehrere Jahre in der Forschung und als Lehrbeauftragte u.a. im Fach Anatomie an medizinischen Ausbildungseinrichtungen tätig. Sie beriet als Pharmareferentin Ärzte in verschiedenen Indikationen und ist nun als Medizinredakteurin verantwortlich für die Erstellung medizinischer Texte sowohl für Fachkreise als auch interessierte Laien.

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Das Akustikusneurinom (Vestibularis-Schwannom) ist ein seltener, gutartiger Tumor des Hör- und Gleichgewichtsnervs. Er zeigt sich durch Symptome wie Hörverlust und Schwindel, ruft mitunter aber auch gar keine Beschwerden hervor. Bei kleineren Tumoren hilft oft eine Bestrahlung, grössere Tumoren entfernt der Arzt operativ. Hier lesen Sie alles Wichtige über das Akustikusneurinom.

Gehirntumor_Akustikneurinom

Kurzübersicht

  • Symptome: Hörverlust, Tinnitus und Schwindel
  • Prognose: Prognose meist gut, mitunter Komplikationen wie Gleichgewichtsstörungen, vollständiger Hörverlust, Fazialisparese (Gesichtslähmung mit Beteiligung des siebten Hirnnervs), Blutungen, Schädigung des Hirnstamms, Liquorrhö (Austritt von Spinalflüssigkeit)
  • Ursache: Vermutlich durch Erbkrankheit Neurofibromatose Typ 1 und Typ 2; eventuell begünstigt starker Lärm die Bildung des Tumors
  • Diagnose: Körperliche und neurologische Untersuchungen, Hörtest, Magnetresonanztomografie (MRT)
  • Behandlung: Operation oder Bestrahlung direkt am Tumorgewebe

Was ist ein Akustikusneurinom?

Das Akustikusneurinom, heute als Vestibularis-Schwannom bezeichnet, ist eine gutartige Neubildung im Schädelinneren. Es geht vom Hör- und Gleichgewichtsnerv (Nervus vestibulocochlearis) aus und ist damit im engeren Sinne kein echter Hirntumor, sondern eine Neubildung des peripheren Nervensystems.

Das Akustikusneurinom wächst meistens zwischen den beiden Gehirnabschnitten Kleinhirn (Cerebellum) und Brücke (Pons). Mediziner sprechen auch von einem Kleinhirnbrückenwinkeltumor. Er kapselt sich oft mit Bindegewebe von den umliegenden Strukturen ab und bildet keine Metastasen.

Neurinome wie das Akustikusneurinom zählen zu den gutartigen Tumoren und wachsen in der Regel langsam. Sie sind selten – laut Deutscher Krebsgesellschaft machen sie etwa acht Prozent der Tumore im Schädelinneren aus. Die meisten Patienten erkranken zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr an einem Neurinom.

Da die technischen Diagnoseverfahren sich in den letzten Jahren deutlich verbessert haben, wird ein Akustikusneurinom heute meistens frühzeitiger entdeckt als in der Vergangenheit. Trotzdem geht man davon aus, dass viele Patienten unentdeckt bleiben, da der Tumor oft klein ist und keine Beschwerden verursacht.

Welche Symptome treten bei einem Akustikusneurinom auf?

Ein Akustikusneurinom verursacht erst dann Beschwerden, wenn es sich deutlich vergrössert und andere Strukturen in seiner Nähe verdrängt. Da der Tumor aber sehr langsam wächst, vergehen meistens Jahre, bevor ein Akustikusneurinom Symptome verursacht.

Als erstes sind in der Regel das Gehör und das Gleichgewichtsorgan beeinträchtigt. Eine Hörminderung ist oft das erste Anzeichen des Tumors. Sie tritt einseitig auf der Seite des Tumors auf. Betroffene bemerken diese Hörminderung oft nur zufällig, beispielsweise wenn sie mit dem betroffenen Ohr ein Telefongespräch verfolgen. Auch ein routinemässig durchgeführter Hörtest weist dann auf die Erkrankung hin. Typischerweise verschlechtert sich besonders der Hochtonbereich, sodass Vogelgezwitscher oft verändert oder nicht mehr wahrnehmbar ist.

Ein Akustikusneurinom macht sich auch durch einen Hörsturz bemerkbar. Dabei kommt es zu einem plötzlichen und beinahe vollständigen Hörverlust im betroffenen Ohr. Oft treten zusätzlich Ohrgeräusche (Tinnitus) auf. Sie liegen meistens im Hochtonbereich und Betroffene empfinden sie als sehr belastend. Ein Tinnitus ist manchmal das einzige Symptom, das ein Akustikusneurinom verursacht. Die Hörminderung kommt dann oft später hinzu.

Betrifft der Tumor den Gleichgewichtsnerv, ruft das Akustikusneurinom oft Symptome wie Schwindel (Dreh- oder Schwankschwindel) und Übelkeit hervor. Dadurch verändert sich meist auch das Gangbild. Ausserdem zittern die Augen bei einigen Patienten horizontal hin und her (Nystagmus). Diese Symptome treten besonders bei schnellen Kopfbewegungen und in der Dunkelheit auf, wenn das Gleichgewicht weniger gut über die Augen koordiniert wird.

Ein sehr grosses Akustikusneurinom drückt in manchen Fällen verschiedene Gesichtsnerven zusammen und schränkt sie in ihrer Funktion ein. Dabei ist dann zum Beispiel die mimische Muskulatur im Gesicht beeinträchtigt (Störung des Nervus facialis) oder das Gefühl der Gesichtshaut verschwindet (Störung des Nervus trigeminus).

Im Extremfall verlegt das Akustikusneurinom den Abfluss des Gehirnwassers (Liquor), sodass es sich im Kopf staut und den Hirndruck ansteigen lässt. Typische Anzeichen dafür sind etwa Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Sehstörungen.

Wie sieht der Verlauf bei einem Akustikusneurinom aus?

Da ein Akustikusneurinom sehr langsam wächst und keine Metastasen bildet, ist die Prognose gut. Der Krankheitsverlauf ist grundsätzlich abhängig vom Wachstumsort und der Grösse des Tumors. Bei kleinen, symptomlosen Tumoren ist es nicht zwangsläufig notwendig, zu therapieren.

Grössere Geschwülste sind durch eine Operation oft heilbar und treten in der Regel nicht wieder auf. Lediglich wenn ein Tumorrest im Schädel verbleibt, kommt es mitunter erneut zu einem Akustikusneurinom (Rezidiv). Bei erfolgreicher Behandlung ist die Lebenserwartung daher in den meisten Fällen normal.

Welche Spätfolgen sind möglich?

Gelingt es beispielsweise nicht, den Tumor sorgsam bei einer Operation zu entfernen, sind Blutungen oder Nervenschädigungen manchmal die Folge. Bei einem Akustikusneurinom kommt es daher auch langfristig zu Beeinträchtigungen des Hör- und Gleichgewichtssinns. Das führt unter Umständen zu einem vollständigen Hörverlust. Auch eine Fazialisparese (Gesichtslähmung mit Beteiligung des siebten Hirnnervs) oder Liquorrhö (Austritt von Spinalflüssigkeit) ist möglich.

Was führt zu einem Akustikusneurinom?

Das Akustikusneurinom bildet sich aus den sogenannten Schwannzellen. Diese umhüllen Nervenstrukturen im Gehirn und beschleunigen dadurch den Informationsfluss. Bei einem Akustikusneurinom wuchern diese Zellen jedoch unkontrolliert und bilden einen abgekapselten Herd. Da meistens der Gleichgewichtsnerv (Nervus vestibularis) betroffen ist, sprechen Mediziner auch von einem Vestibularis-Schwannom.

Warum diese Krankheit entsteht, ist bisher nicht ausreichend geklärt. Sie ist jedoch weder erblich noch ansteckend. Selten tritt ein Akustikusneurinom im Rahmen der Erbkrankheit Neurofibromatose Typ 1 und Typ 2 auf. Durch einen Gendefekt bilden sich bei dieser Krankheit am ganzen Körper Geschwülste aus. Obwohl es nicht zwangsläufig zu einem Akustikusneurinom kommen muss, entwickeln sich bei etwa fünf Prozent der Betroffenen sogar beidseitige Geschwüre.

Ausserdem vermuten Experten, dass möglicherweise eine starke Lärmbelastung die Entstehung eines Akustikusneurinoms begünstigt. Hierzu gibt es jedoch bislang nur erste Hinweise.

Wie erkennt man ein Akustikusneurinom?

Der erste Ansprechpartner bei einem Akustikusneurinom ist meistens der Hals-Nasen-Ohren-Arzt oder der Nervenarzt (Neurologe). In der Anamnese (Erhebung der Krankengeschichte) fragt er den Betroffenen nach seinen Beschwerden und dem zeitlichen Verlauf.

Mit einem kleinen Ohrtrichter und einer Lampe untersucht er den äusseren Gehörgang und das Trommelfell. Da verschiedene andere Erkrankungen ebenfalls Symptome wie Schwindel oder Hörprobleme verursachen, klärt der Arzt diese ab, um sie auszuschliessen. Dazu bieten sich folgende Untersuchungen an:

Hörtest

Bei einem Hörtest spielt der Arzt dem Erkrankten über einen Kopfhörer unterschiedlich hohe Töne (Tonaudiometrie) oder Wörter (Sprachaudiometrie) vor. Der Betroffene gibt an, was er hört. Es handelt sich also um einen subjektiven Test.

Eine Hirnstamm-Audiometrie (Brainstem evoked response audiometry, BERA) testet den Hörnerv, ohne dass der Betroffene sich aktiv beteiligt. Über den Lautsprecher bekommt er Klick-Geräusche vorgespielt. Eine Elektrode hinter dem Ohr misst, ob der Hörnerv die Information ungestört in das Gehirn weiterleitet.

Temperaturmessung des Gleichgewichtsorgans

Leiden Betroffene mit Verdacht auf ein Akustikusneurinom unter Schwindel, überprüft der Arzt meistens das Gleichgewichtsorgan mit einer Temperaturmessung (Kalorimetrie). Dazu spült er den äusseren Gehörgang mit warmem Wasser. Durch einen Reflex der Augenmuskeln, zucken die Augen in der Waagerechten hin und her (kalorischer Nystagmus). Ein Akustikusneurinom stört diesen Reflex meistens.

Magnetresonanztomografie (MRT)

Endgültig ist ein Akustikusneurinom nur mittels Magnetresonanztomografie (MRT, auch Kernspintomografie genannt) diagnostizierbar. Dazu liegt der Erkrankte auf einer Liege, während der Arzt ihn in eine Diagnoseröhre schiebt, die mithilfe von Magnetfeldern und elektromagnetischen Wellen detaillierte Schnittbilder des Körperinneren aufnimmt. Manchmal bekommt der Betroffene dafür vor der Aufnahme ein Kontrastmittel in eine Vene gespritzt.

Das MRT verursacht keine Strahlenbelastung. Manche Personen empfinden die Untersuchung aber wegen der engen Röhre und der lauten Geräusche als unangenehm.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Es bestehen drei Behandlungsmöglichkeiten bei einem Akustikusneurinom: kontrolliertes Abwarten, eine Operation und die Bestrahlung.

Bei kleinen Tumoren entscheiden sich Mediziner oft für ein kontrolliertes Abwarten ("Wait and Scan"). Dabei überwacht der Arzt in regelmässigen Abständen mittels MRT, ob das Akustikusneurinom wächst. Vor allem bei älteren Personen verändert sich die Grösse des Tumors meist nicht mehr oder geht sogar zurück. Wenn keine Symptome bestehen, bleibt den Betroffenen auf diese Weise eine Operation oder Bestrahlung erspart.

Nimmt das Akustikusneurinom hingegen eine Grösse von drei oder mehr Zentimetern an, operiert es der Arzt in der Regel. HNO-Ärzte und Neurochirurgen versuchen dabei, gesundes Gewebe, Blutgefässe und Nerven zu schonen.

Eine neuere Methode, die gerade bei älteren Erkrankten mit höherem Operationsrisiko geeignet ist, ist die stereotaktische Radiochirurgie (kurz: SRS). Dabei handelt es sich um eine hoch­prä­zi­se, durch bild­gebende Ver­fahren und computergestützt ge­führ­te Strahlen­the­rapie. Die Behandlung erfolgt mit einem Gamma- oder Cyber-Knife, was die Tumorzellen zerstört.

Es lässt sich dabei aber nicht vermeiden, dass dies auch umliegendes gesundes Gewebe schädigt. Oft ist es jedoch schwierig, grössere Tumoren vollständig zu erfassen.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Vorlage:
Dr. med. Angela Schelling
Autoren:
Dr. med. R. Schwarz
Dr. med.  R. Schwarz

Dr. Schwarz studierte Medizin in Würzburg, wo sie auch ihre Promotion abschloss. Nach sehr vielseitigen Aufgaben während der medizinischen praktischen Ausbildung (PJ) u.a. in der Inneren Medizin und Chirurgie ist sie nun als Fachärztin für Radiologie tätig.

Dr. rer. nat. Monique Amey-Özel
Dr.  Monique Amey-Özel

Dr. Monique Amey-Özel hat Biologie an der Universität Bonn studiert und in den Neurowissenschaften promoviert. Sie war mehrere Jahre in der Forschung und als Lehrbeauftragte u.a. im Fach Anatomie an medizinischen Ausbildungseinrichtungen tätig. Sie beriet als Pharmareferentin Ärzte in verschiedenen Indikationen und ist nun als Medizinredakteurin verantwortlich für die Erstellung medizinischer Texte sowohl für Fachkreise als auch interessierte Laien.

ICD-Codes:
D43C71D33
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Quellen:
  • Behrbohm, H. et al.: Kurzlehrbuch Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Georg Thieme Verlag, 2012
  • Bender, A. et al.: Kurzlehrbuch Neurologie. Urban & Fischer, 3. Auflage, 2018
  • Chen, M. et al.: Risk Factors of Acoustic Neuroma: Systematic Review and Meta-Analysis, in: Yonsei Med J. 2016; 57(3): 776-83
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN): Antikörper als Therapiealternative bei Tumoren am Hör- und Gleichgewichtsnerv?, unter: www.dgn.org (Abrufdatum: 15.12.2021)
  • Deutsche Krebsgesellschaft (DKG): www.krebsgesellschaft.de (Abruf: 01.11.2014)
  • Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ): www.krebsinformationsdienst.de (Abruf: 01.11.2014)
  • Goldbrunner, R. et al.: EANO guideline on the diagnosis and treatment of vestibular schwannoma, in: Neuro Oncol 2020; 22(1): 31-45
  • Hau, P.: Neuroonkologie. In: Klinikleitfaden Neurologie, 7. Auflage, 2021
  • Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Gutartige Tumoren am Gleichgewichtsnerv: Stereotaktische Radiochirurgie zeigt Vorteile, unter: www.iqwig.de (Abrufdatum: 15.12.2021)
  • Interessengemeinschaft Akustikusneurinom (IGAN): www.akustikusneurinom.info (Abruf: 06.11.2014)
  • Probst, R. et al.: Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Georg Thieme Verlag, 2008
  • Pschyrembel online: Vestibularisschwannom, unter: www.pschyrembel.de (Abrufdatum: 15.12.2021)
  • S1-Leitlinie „Schwindel – Diagnose“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Stand: 2012)
  • Schalhorn, A.: Malignome des zentralen Nervensystems (ZNS). In: Klinikleitfaden Hämatologie Onkologie, 1. Auflage, 2018
  • Tos, M. et al.: What is the real incidence of vestibular schwannoma?, in: Arch Otolaryngology Head Neck Surgery (2004), Ausgabe 02: 216-220
  • Urban, P.P.: Erkrankungen des Hirnstamms. Schattauer Verlag, 2009
  • Zenner, H.-P.: Praktische Therapie von HNO-Krankheiten. Schattauer Verlag, 2008
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