Funikuläre Myelose

Von , Arzt
Clemens Gödel

Clemens Gödel ist freier Mitarbeiter der NetDoktor-Medizinredaktion.

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Die funikuläre Myelose (funikuläre Spinalerkrankung) ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems, vor allem des Rückenmarks. Ursache ist meist ein Vitamin-B12-Mangel. Die Krankheit beginnt in der Regel schleichend und ist in frühen Stadien gut behandelbar. Lesen Sie hier mehr zu Symptomen, Diagnostik und Therapie der funikulären Myelose.

Funikuläre Myelose Nahrungsmittel

Kurzübersicht

  • Diagnose: Körperliche Untersuchung (Reflexe), Magnetresonanztomografie, Blut- und Nervenuntersuchungen, Schilling-Test (Messung der Aufnahme von Vitamin B12)
  • Symptome: Zu Beginn oft Missempfindungen an beiden Beinen, gestörter Lage-, Vibrations- und Berührungssinn, Gangunsicherheit; später auch spastische Lähmungserscheinungen an Beinen und Armen; krankhafte Reflexe, mentale Störungen, "perniziöse Anämie"
  • Ursachen: Schädigung der schützenden Myelinscheiden der Rückenmarksnerven infolge eines Mangels meistens an Vitamin B12, seltener Folsäure- oder Kupfer-Mangel
  • Risikofaktoren:Vitamin-B12-arme Ernährung (bei streng veganer oder vegetarischer Ernährung), Schädigung der Magenschleimhaut durch Alkoholmissbrauch oder chronische Entzündungen, Entfernung von Teilen des Magens oder Darms, erhöhter Vitaminbedarf durch Schwangerschaft; Infektionen mit bestimmten Pilzen oder dem Fischbandwurm; Krebs
  • Behandlung: Je nach Ursache durch Gabe von Vitamin B12 oder Folsäure per Injektion in den Muskel, Behandlung von auslösenden Infektionen oder Erkrankungen
  • Prognose: Bei frühzeitigem Therapiebeginn lassen sich Symptome vollständig umkehren, bei später Behandlung sind irreversible Folgen bis hin zur Querschnittslähmung möglich.
  • Vorbeugen:Bei Vitamin-B12-armer oder -freier Ernährung ist es ratsam, entsprechende Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen. Gleiches gilt für Erkrankungen, die die Aufnahme oder Verwertung des Vitamins hemmen oder bei erhöhtem Vitaminbedarf, zum Beispiel in der Schwangerschaft

Was ist eine funikuläre Myelose?

Die funikuläre Myelose (funikuläre Spinalerkrankung) ist eine seltene Erkrankung, die hauptsächlich Menschen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren betrifft. Charakteristisch sind (umkehrbare) Schäden am hinteren Bereich des Rückenmarks (Hinterstrang). Das Rückenmark verläuft geschützt im Wirbelkanal vom Steissbein bis zum Kopf und zählt zum zentralen Nervensystem.

Die funikuläre Spinalerkrankung gehört mit der Multiplen Sklerose (MS) zu den sogenannten Entmarkungskrankheiten, bei denen die Nervenzellen ihre schützenden Hüllen aus Myelin verlieren und damit nach und nach auch ihre Funktion.

Verursacht wird die funikuläre Myelose in den meisten Fällen durch einen Vitamin-B12-Mangel (Hypovitaminose). Vitamin B12 (auch Cobalamin genannt) hat vielfältige Funktionen im Körper. Es ist unter anderem wichtig für die Nervenzellen und die roten Blutkörperchen.

Der Mensch nimmt Vitamin B12 vor allem über Milchprodukte, Fleisch, Eier und Vollkornprodukte auf. Das Vitamin wird im Körper in verhältnismässig grossen Mengen und über längere Zeit gespeichert. Der Hauptspeicher befindet sich in der Leber. Die funikuläre Myelose tritt meist dann auf, wenn diese Speicher komplett erschöpft sind.

Wie wird eine funikuläre Myelose festgestellt?

Die Symptome einer Funikulären Myelose veranlassen die meisten Betroffenen zu einem Besuch beim Hausarzt oder Neurologen.

Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese)

Zunächst erfragt der Arzt in einem Gespräch mit dem Patienten die Krankengeschichte (Anamnese). Dabei erkundigt er sich zum Beispiel nach Beginn, Art und Ausmass der Beschwerden.

Körperliche Untersuchung

Im Rahmen der körperlichen Untersuchung wird der Arzt das Lage-, Berührungs-, Vibrations-, Schmerz- und Temperaturempfinden prüfen. Zusätzlich testet er die Reflexe. Der Fokus der Untersuchung liegt bei Verdacht auf eine funikuläre Myelose in der Regel auf den Beinen, da sich die Symptome dort meist am deutlichsten zeigen.

Blutuntersuchung

Von besonderer Bedeutung für die Diagnose der funikulären Myelose ist die Blutuntersuchung. Es fallen oft Anzeichen einer durch Vitaminmangel bedingten Blutarmut auf. In diesem Zusammenhang sind unter anderem folgende Parameter wichtig:

  • Blutzellen: Anzahl und Aussehen werden analysiert
  • Vitamin B12
  • Folsäure
  • Holo-Transcobalamin: Dies ist ein früher Marker für Vitamin-B12-Mangelzustände. Ein erniedrigter Wert zeigt an, dass mehr Vitamin B12 verbraucht als aufgenommen wird.
  • Methylmalonsäure: Ein erhöhter Spiegel der Methylmalonsäure deutet auf einen Vitamin-B12-Mangel hin.
  • Intrinsic-Factor-Antikörper: Sie machen den Intrinsic-Factor unbrauchbar und behindern so die Aufnahme von Vitamin B12.
  • Parietalzell-Antikörper (PCA): Die Parietalzellen der Magenschleimhaut stellen den Intrinsic Factor her. Antikörper gegen diese Zellen behindern die Produktion des Proteins.
  • Indirektes Bilirubin
  • Cholesterin

Magnetresonanztomografie (MRT)

Um die Schäden am Rückenmark genauer zu analysieren, wird bei Verdacht auf eine funikuläre Myelose ein Bild mithilfe einer Magnetresonanztomografie (MRT) angefertigt. Charakteristisch für eine funikuläre Myelose sind Auffälligkeiten am hinteren (Hinterstrang) und seitlich-hinteren (Hinterseitenstrang) Bereich des Rückenmarks.

Neurophysiologische Untersuchungen

Um Einschränkungen und Schädigungen durch die funikuläre Myelose genauer zu untersuchen, führen Ärzte unter Umständen neurophysiologische Untersuchungen durch, zum Beispiel eine Elektromyografie (EMG, Messung der elektrischen Muskelaktivität). Die funikuläre Myelose tritt manchmal zusammen mit einer Polyneuropathie (Schädigung von Nerven ausserhalb des zentralen Nervensystems) auf, die der Arzt mithilfe dieser Untersuchungen feststellt.

Schilling-Test (Vitamin-B12-Resorptionstest)

Bei Verdacht auf eine funikuläre Myelose wird manchmal der Schilling-Test (Vitamin-B12-Resorptionstest) angewendet. Dafür nimmt der Patient radioaktiv markiertes Vitamin B12 ein. In den darauffolgenden 24 Stunden analysiert der Arzt den Urin des Patienten, um zu sehen, wie viel des radioaktiv markierten Vitamins ausgeschieden wurde. Sind es unter fünf Prozent, weist dies auf eine Resorptionsstörung hin.

Um zu verhindern, dass radioaktiv markiertes Cobalamin im Körper gespeichert wird, wird dem Patienten während des Tests unmarkiertes Vitamin B12 in einen Muskel gespritzt. Es sättigt das Körpergewebe mit Cobalamin.

Spricht das Testergebnis für eine Vitamin-B12-Resorptionsstörung, wiederholt der Arzt meist zur genaueren Abklärung die Untersuchung leicht abgewandelt. Der Patient erhält dann neben dem radioaktiv markierten Cobalamin auch noch Intrinsic Factor, das Transportprotein des Vitamins. Ist die Ausscheidung des radioaktiven Cobalamins weiterhin erniedrigt, ist die Aufnahme des Vitamins im Dünndarm gestört. Normalisiert sich die Ausscheidung, war ein Mangel an Intrinsic Factor der Grund für die verminderte Vitaminaufnahme.

Die Anwendung des Schilling-Tests bei Verdacht auf eine funikuläre Myelose ist jedoch umstritten. Einige Experten sehen ihn als überflüssig an.

Sternalpunktion (Brustbeinpunktion)

Zur weiteren Untersuchung einer Blutarmut führt der Arzt in manchen Fällen eine sogenannte Sternalpunktion durch. Dazu entnimmt er mit einer feinen Nadel etwas Knochenmark aus dem Brustbein des Patienten, um es im Labor analysieren zu lassen.

Abklärung einer Gastritis (Magenschleimhautentzündung)

Bei einer perniziösen Anämie (wörtlich: eine "verderbliche" Blutarmut), wie sie bei einem Vitamin-B12-Mangel auftritt, entwickelt sich oft eine chronische Gastritis (Magenschleimhautentzündung). Daraus entstehen Verdauungsprobleme und wiederum Vitaminmangelzustände, da nicht ausreichend Salzsäure für die Verdauung in den Magen abgegeben wird (sogenannte "histaminrefraktäre Anazidität"). Eine Gastritis ist ein Fall für einen Gastroenterologen.

Ausschluss anderer Erkrankungen

Die funikuläre Myelose ähnelt mit ihren Symptomen einer Reihe anderer Krankheiten, was der Arzt bei der Diagnose berücksichtigt. Die wichtigste Alternativdiagnose ist die Multiple Sklerose. Weitere sogenannte Differentialdiagnosen sind Rückenmarksentzündung (Myelitis), Lupus erythematodes, Sarkoidose, Muskelerkrankungen (Myelopathien) und infektiöse Rückenmarkserkrankungen.

Funikuläre Myelose: Symptome

Meist entwickelt sich die funikuläre Myelose schleichend, nur selten schnell und akut. Zunächst macht sich ein Vitamin-B12-Mangel durch eine Blutarmut (perniziöse Anämie, wörtlich: "verderbliche Blutarmut") bemerkbar. Bei dieser Form der Blutarmut sind die roten Blutkörperchen vergrössert (megaloblastär) und weisen eine erhöhte Konzentration des Blutfarbstoffs Hämoglobin (hyperchrom) auf.

Die funikuläre Myelose ist ein variantenreiches Krankheitsbild. Betroffen ist vor allem das Rückenmark, aber auch das Gehirn (Enzephalopathie). Schäden am Gehirn machen sich durch kognitive (Wahrnehmung) Einschränkungen bemerkbar. Die mentalen Symptome reichen von Müdigkeit bis hin zu demenziellen und psychotischen Symptomen.

Sensibilitätsstörungen an den Beinen

In 90 Prozent der Fälle verursacht eine funikuläre Myelose teilweise schmerzhafte Missempfindungen (Parästhesien), die häufig symmetrisch an beiden Beinen beginnen. Charakteristisch sind Störungen des Lage-, Vibrations- und Berührungssinns wie Kribbeln und "Ameisenlaufen". In einigen Fällen ist das Temperatur- und Schmerzempfinden gestört. Diese Sensibilitätsstörungen führen unter anderem zu einer Gangunsicherheit (sensible Ataxie). Ausserdem ermüden Betroffene schnell beim Gehen.

Selten führt eine funikuläre Myelose in einem frühen Stadium zu motorischen Ausfällen wie Lähmungen.

Spastische Lähmungen

Die funikuläre Myelose schreitet fort und führt mit der Zeit zu weiteren Schäden am Rückenmark und Gehirn. Dadurch nehmen im weiteren Verlauf die Gangstörungen deutlich zu. Schliesslich kommen spastische Lähmungen der Beine und später der Arme hinzu.

Störungen der Reflexe

Muskelreflexe sind durch die funikuläre Myelose in vielen Fällen gesteigert oder – wenn gleichzeitig eine Polyneuropathie vorliegt – vermindert. Eine Polyneuropathie ist eine Erkrankung, die durch Schäden an einer Vielzahl von Nerven gekennzeichnet ist und oft bei einer funikulären Myelose auftritt.

Gleichzeitig lassen sich normalerweise nicht vorhandene Reflexe wie der Babinski-Reflex (Hochstrecken des grossen Zehs bei gleichzeitigem "Zugreifen" der übrigen Zehen) an der Fusssohle auslösen. Dies ist dann der Fall, wenn die funikuläre Myelose die sogenannte Pyramidenbahn betrifft. Das ist eine wichtige Nervenstrasse im Rückenmark, die Signale vom Gehirn in die Muskeln schickt.

Störungen der Blasen-, Darm- und Sexualfunktion

In rund einem Viertel der Fälle führt die funikuläre Myelose zu Blasen-Beschwerden. Dazu zählt ein zunächst gesteigerter Harndrang, der sich in vielen Fällen später zu einer Inkontinenz entwickelt. Die Funktion des Enddarms ist oftmals ebenfalls gestört. In manchen Fällen droht eine Impotenz.

Weitere Folgen des Vitamin-B12-Mangels

Die funikuläre Myelose und die Blutarmut sind nicht die einzigen Folgen eines Vitamin-B12-Mangels. Daneben entstehen Schäden an den Schleimhäuten, die Vitamin B12 benötigen. Besonders auffällig ist ein entzündlicher und schmerzhafter Gewebsschwund an der Zunge (Hunter-Glossitis).

Zusätzlich tritt manchmal eine Homocysteinämie auf: Die Aminosäure Homocystein wird aufgrund des Vitamin-B12-Mangels nicht verstoffwechselt, wodurch sich ihre Konzentration im Blut erhöht. Diese Erkrankung führt zu teils gefährlichen Gefässschäden.

Ursachen und Risikofaktoren

Grund für eine funikuläre Myelose ist meist ein Vitamin-B12-Mangel, seltener ein Folsäure-Mangel. In Einzelfällen ist ein Kupfer-Mangel für die Symptome verantwortlich. Bei einem Vitamin-B12-Mangel liegt Konzentration des Vitamins unter 150 Pikogramm pro Milliliter (pg/ml) Blut.

Der Vitamin-Mangel führt durch einen noch nicht bekannten Mechanismus zu einer Beschädigung der Myelinhülle bestimmter Nervenzellen.

Schäden im Rückenmark

Die funikuläre Myelose betrifft anfangs besonders den hinteren Bereich (Hinterstrang) des Rückenmarks. Im weiteren Verlauf breitet sich die Erkrankung häufig aus, zum Beispiel auf die sogenannten Hinterseitenstränge.

Das Rückenmark besteht hauptsächlich aus der sogenannten grauen Substanz, den Nervenzellkörpern, und der weissen Substanz, in der sich die Nervenfortsätze befinden. Die Nervenfortsätze werden zur Verbesserung der elektrischen Signalweiterleitung von einer fettreichen Hülle, der sogenannten Myelinscheide umschlossen. Bei der funikulären Myelose schwellen diese Myelinhüllen zunächst ausgelöst durch den Vitaminmangel an. Die Schwellung ist durch eine frühzeitige Behandlung umkehrbar.

Im weiteren Verlauf wird die Umhüllung in vielen Fällen wie bei der Multiplen Sklerose geschädigt (Demyelinisierung). Im weiteren Verlauf sind oft die Nervenfasern selbst betroffen. Die Nervenleitungen werden dann unumkehrbar zerstört mit den entsprechenden Folgen wie etwa Lähmungen.

Schleichender Beginn

Ein Vitamin-B12-Mangel und somit eine funikuläre Myelose entstehen meistens langsam, da der Körper das Vitamin in relativ grosser Menge (bis zu vier Milligramm) speichert. Da der tägliche Bedarf nur wenige Mikrogramm beträgt, stellt der Speicher über Jahre ausreichend Vitamin B12 zur Verfügung. Tritt ein Cobalamin-Mangel auf, sind verschiedene Ursachen möglich.

Vitamin-B12-Mangel durch mangelnde Zufuhr

Nur in seltenen Fällen ist die Ernährung schuld am Vitamin-B12-Mangel. So ist es möglich, dass eine streng vegetarische oder vegane Ernährung zu einem reduzierten Vitamin-B12-Spiegel im Blut führt. Vitamin B12 wird in der Natur nur durch Mikroorganismen produziert und ist vor allem in tierischen Produkten wie Fleisch, Eiern und Milchprodukten enthalten.

Vitamin-B12-Mangel und damit eine funikuläre Myelose sind bei chronischem Alkoholmissbrauch und Magersucht (Anorexia nervosa) in einigen Fällen die Folge. Auch im Alter sind ernährungsbedingte Vitamin-Mangelsituationen möglich.

Vitamin-B12-Mangel durch mangelnde Resorption

Meist sind der Mangel an Vitamin B12 und damit die funikuläre Myelose durch eine ungenügende Vitamin-B12-Aufnahme im Magen-Darm-Trakt bedingt. Diese sogenannte Resorptionsstörung entsteht in 80 Prozent der Fälle durch den Mangel eines Transportproteins, das für die Aufnahme des Vitamins erforderlich ist. Dieses Protein nennt sich Intrinsic Factor. Es bindet an Vitamin B12 und bringt es zu speziellen Andockstellen (Rezeptoren) im Dünndarm, wo das Vitamin ins Blut aufgenommen wird.

Der Intrinsic Factor wird von bestimmten Zellen der Magenschleimhaut gebildet und abgegeben. Bei manchen Magenerkrankungen (wie einer chronisch atrophen Gastritis) oder nach der Entfernung eines Magenteils ist es möglich, dass nicht mehr ausreichend Intrinsic Factor produziert wird. Dann droht langfristig eine funikuläre Myelose.

Ausserdem ist die Sekretion der Magensäure bei einer Gastritis (Magenschleimhautentzündung) oftmals gestört: In der Folge löst sich Cobalamin (Vitamin B12) nicht von den tierischen Proteinen der Nahrung, an die es gebunden ist. Dann wird es entsprechend nicht ins Blut aufgenommen. Auch bei jahrelanger Einnahme von Magensäure-hemmenden Medikamenten (wie Omeprazol) ist dies eine mögliche Folge.

Einige Darmerkrankungen oder eine Teilentfernung des Dünndarms führen dazu, dass die Aufnahme von Vitamin B12 ebenfalls gestört ist. Als Ursache infrage kommen hier chronische Darmentzündungen (wie Colitis ulcerosa), Tuberkulose-Infektionen, Gluten-Unverträglichkeit, Amyloidose und Bindegewebserkrankungen.

Vitamin-B12-Mangel durch erhöhten Verbrauch

Nur in seltenen Fällen ist ein erhöhter Vitamin-B12-Verbrauch für die funikuläre Myelose verantwortlich. So steigt in der Schwangerschaft und Stillzeit der Bedarf und damit der Verbrauch an Cobalamin. Auch einige infektiöse Erkrankungen durch Pilze, Bakterien oder Fischbandwürmer führen zu einem erhöhten Vitaminbedarf. Das Gleiche gilt bei Erkrankungen mit einer hohen Zellneubildungsrate (wie Krebs).

Vitamin-B12-Mangel durch gestörte Nutzung

Trotz ausreichender Zufuhr und Resorption ist es möglich, dass ein Vitamin-B12-Mangel entsteht, und zwar dann, wenn die Nutzung des Vitamins gestört ist. Dies passiert zum Beispiel, wenn sich Antikörper gegen Vitamin B12 bilden, zu viel Lachgas eingeatmet wird (etwa bei einer Narkose) oder angeborene Störungen der Vitaminverwertung bestehen. So führt ein angeborener Defekt des Vitamin-B12-Transportproteins Transcobalamin zu Resorptions- und Transportstörungen mit Mangelsymptomen, obwohl die Blutkonzentration des Vitamins in vielen Fällen normal ist.

Folsäure-Mangel

In wenigen Fällen entwickelt sich die funikuläre Myelose infolge eines Mangels an Folsäure. Dieser entsteht dann (wie der Mangel an Cobalamin) entweder durch eine unzureichende Zufuhr, gestörte Resorption, gestörte Nutzung oder bei erhöhtem Verbrauch.

Eine unzureichende Zufuhr an Folsäure wird zum Beispiel durch chronischen Alkoholkonsum oder Magersucht bedingt. Die Aufnahme im Darm wird unter anderem durch chronische Darmerkrankungen (wie Morbus Crohn, Zöliakie), Leberzellschäden oder bestimmte Medikamente (wie orale Verhütungsmittel oder das Schmerzmittel Acetylsalicylsäure) beeinträchtigt.

Die Verwertung der Folsäure wird unter Umständen ebenfalls durch bestimmte Medikamente (zum Beispiel Krebsmedikamente) oder bei angeborenen Störungen im Folsäurestoffwechsel gestört. Ein erhöhter Verbrauch an Folsäure besteht wie beim Vitamin B12 in der Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Erkrankungen mit hoher Zellbildungsrate (etwa bei Krebs).

Behandlung der funikulären Myelose

Die funikuläre Myelose schreitet ohne Therapie stetig fort und hinterlässt unbehandelt bleibende Schäden. Eine möglichst frühzeitig Behandlung ist ratsam, dann sind viele Schäden umkehrbar. Auf welche Weise der Arzt die Erkrankung behandelt, hängt von der Ursache ab.

Therapie bei Vitamin-B12-Mangel

Die funikuläre Myelose zeichnet sich in der Regel dadurch aus, dass sämtliche Körperspeicher für Vitamin B12 geleert sind. Die Behandlung beginnt daher mit der sogenannten Aufsättigung, das heisst: Anfangs decken Betroffene nicht nur den akuten Tagesbedarf an Cobalamin (zwei bis fünf Mikrogramm), der Arzt füllt durch die entsprechende Dosierung auch die Speicher wieder auf. Dazu spritzt der Behandelnde in den ersten zwei Wochen der Therapie meist täglich ein Milligramm Vitamin B12 in den Muskel.

Anschliessend behandelt eine Dauertherapie den Vitaminmangel (und damit die funikuläre Myelose) mit ein- bis zweimal wöchentlichen oder sogar nur einmal monatlichen Cobalamin-Injektionen. Als Alternative zu den Injektionen gibt es Vitamin-B12-Tabletten.

Therapie bei Folsäure-Mangel

Wird die funikuläre Myelose durch Folsäure-Mangel verursacht, spritzt der Arzt 15 Milligramm Folsäure pro Tag in den Muskel. Nach drei bis fünf Tagen folgt meist die Umstellung auf Tabletten, die zwei- bis dreimal täglich eingenommen werden. Nach rund zwei Wochen ist der Folsäure-Speicher in der Regel aufgefüllt.

Im weiteren Verlauf reicht für den Erhalt eines ausreichenden Folsäure-Spiegels im Körper meist eine ausgewogene Ernährung aus. Bei erhöhtem Folsäure-Bedarf (wie im Falle einer Schwangerschaft) nehmen Betroffene Folsäure als Nahrungsergänzungsmittel ein.

Akut-Behandlung mit Folsäure und Vitamin B12

Die kombinierte Gabe von Folsäure und Vitamin B12 ist nur im Akutfall ratsam, solange die Ursache für die funikuläre Myelose noch nicht bekannt ist. Die Folsäure-Gabe bessert die Symptome, die das Blut betreffen, verhindert jedoch bei einem Vitamin-B12-Mangel nicht die durch die funikuläre Myelose bedingten neurologischen Symptome. In der Folge verschleiert die Folsäure-Gabe unter Umständen einen Vitamin-B12-Mangel. Die durch den Cobalamin-Mangel verursachte funikuläre Myelose würde dann nicht frühzeitig erkannt und behandelt.

Krankheitsverlauf und Prognose

Nach dem schleichenden Beginn schreitet die Krankheit unbehandelt in der Regel fort, mit zunehmend schwereren Symptomen bis hin zur möglichen Querschnittslähmung.

Der frühe Behandlungsbeginn ist für den Verlauf entscheidend, da sich die Symptome der funikulären Myelosenur zurückbilden, wenn noch keine bleibenden Schäden an den Nervenzellfortsätzen (Axonen) entstanden sind.

Direkt nach Behandlungsbeginn ist es möglich, dass sich die Symptome zunächst verschlechtern, bevor sie sich bessern.

Fast immer bewirkt die Therapie zumindest eine Linderung der Symptome innerhalb von Tagen bis Wochen. Wenn allerdings nach drei Monaten noch keine Besserung bemerkbar ist, wird der Arzt die Diagnose funikuläre Myelose nochmals überprüfen.

Bereits seit Monaten oder sogar Jahren bestehende Symptome bilden sich oft nicht mehr vollständig zurück. Bei einem Teil der Patienten mit funikulärer Myelose bleiben trotz Therapie Restsymptome bestehen. 

Vorbeugen

Menschen, die etwa aufgrund ihrer Ernährung wie etwa veganer oder vegetarischer Kost ein erhöhtes Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel (oder Folsäure-Mangel) haben, empfiehlt es sich, durch ausreichende Zufuhr des Vitamins vorzubeugen. Das gilt ebenso für bestimmte Erkrankungen, die das Risiko für einen Vitamin-B12- oder Folsäure-Mangel erhöhen sowie für Schwangere.

Nahrungsergänzungsmittel, die Vitamin B12, Folsäure oder beides enthalten, sind eine Möglichkeit, besonders für Menschen, die auf den Verzehr tierischer Lebensmittel verzichten. Diese sollten Betroffene jedoch nur nach Rücksprache mit dem Arzt einnehmen. Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ist eine Ernährung, die den Bedarf an Vitamin B12 deckt, mit ausschliesslich pflanzlichen und veganen Lebensmitteln aktuell nicht möglich.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Clemens Gödel

Clemens Gödel ist freier Mitarbeiter der NetDoktor-Medizinredaktion.

ICD-Codes:
E53
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Quellen:
  • Bähr, M. & Frotscher, M.: Neurologisch-Topische Diagnostik: Anatomie – Funktion – Klinik. Georg Thieme Verlag, 10. Auflage 2014
  • Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer Verlag, 6. Auflage 2013
  • Berlit, P.: Klinische Neurologie – Band I. Springer Verlag, 4. Auflage 2020
  • Fischer, T. et al.: Funikuläre Myelose, RöFo (Fortschritte auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen und bildgebenden Verfahren) 2005; 117(12): 1605-1609
  • Gehlen, W. & Delank, H.W.: Neurologie. Georg Thieme Verlag, 12. Auflage 2010
  • Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: Diagnostik bei Polyneuropathien (Stand: Oktober 2019), unter: www.dgn.org (Abrufdatum: 19.01.2022)
  • Richter, M. et al.: Vegane Ernährung – Position der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE); Ernaehrungs Umschau international, 4/2016, 92-102
  • Warmuth-Metz, M. et al.: MRT bei funikulärer Myelose, RöFo (Fortschritte auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen und bildgebenden Verfahren) 170 (1999), 591-593
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