Erbkrankheiten

Erbkrankheiten sind genetisch bedingte Erkrankungen. Sie werden also mit dem genetischen Material von den Eltern an die Kinder weitergegeben. Dies kann auch geschehen, wenn die Eltern selbst keine Anzeichen einer Krankheit zeigen. Ausgelöst werden Erbkrankheiten durch Defekte oder Unregelmäßigkeiten innerhalb des Erbguts. Dabei können ein Gen oder sogar mehrere Gene gleichzeitig defekt sein. Erfahren Sie hier, welche Erbkrankheiten es gibt, wie sie diagnostiziert werden und welche Ansätze die moderne Medizin entwickelt hat, um sie zu behandeln.

Welche Erbkrankheiten gibt es?

Genetisch bedingte Krankheitsbilder sind sehr vielfältig. So können angeborene Gendefekte zu einem fehlregulierten Gewebewachstum führen, bestimmte Stoffwechselreaktionen stören oder blockieren und sogar bestimmte Zelltypen zugrunde gehen lassen.

Erbkrankheiten reichen somit von Stoffwechselkrankheiten (Beispiel: Phenylketonurie) über Entwicklungsstörungen (Beispiel: Trisomie 21) bis hin zu voranschreitenden Muskelschwächekrankheiten (Beispiel: Spinale Muskelatrophie).

Wie ist das Erbgut strukturiert?

Der Bauplan für den menschlichen Körper und all seine Funktionen sind im Erbgut gespeichert. Die einzelnen Informationen sind auf den sogenannten Genen abgelegt – organisiert in 46 Chromosomen.

Jedes Chromosom liegt paarweise (doppelt) vor. Eine Ausnahme stellt das Geschlechtschromosomenpaar (Gonosomen) dar: Es besteht bei Frauen aus einem doppelten X-Chromosom, bei Männern aus einer Kombination aus X- und Y-Chromosom.

Anders als bei Tumorerkrankungen bestehen die genetischen Anlagen für Erbkrankheiten von Geburt an. Eltern geben bestimmte Erbanlagen über die Keimzellen von einer Generation an die nachfolgende weiter.

Erbkrankheiten von A bis Z

Wie werden Erbkrankheiten eingeteilt?

Ärzte teilen Erbkrankheiten in folgende Gruppen ein:

Chromosomale Erkrankungen: Diese Form von genetischen Erkrankungen geht mit einer veränderten Struktur oder einer veränderten Zahl an Chromosomen einher. Dies führt in vielen Fällen zu schwerwiegenden Entwicklungsstörungen.

Monogene Erkrankungen: Krankheiten, die durch eine eng begrenzte, spezifische Genveränderung hervorgerufen werden. Meist bildet der Körper dann ein wichtiges Eiweißmolekül wie zum Beispiel ein Stoffwechselenzym nicht, in veränderter Form oder in nicht ausreichender Menge.

Polygene Störungen: Sie sind durch eine Vielzahl von (kleineren) Veränderungen im Erbgut gekennzeichnet. Das heißt, erst das komplexe Zusammenspiel mehrerer genetischer Variationen (Polymorphismen) führt zur Erbkrankheit. In vielen Fällen lösen auch erst Umwelteinflüsse und Lebensumstände genetische Erkrankungen dieses Typs aus.

Chromosomale Erkrankungen

Bei einer chromosomalen Erkrankung liegen Abweichungen in der natürlichen Chromosomenordnung vor. Gründe hierfür können unter anderem in der fehlerhaften Bildung von Ei- und Samenzelle liegen – oder in deren inkorrekter Verschmelzung bei der Befruchtung. Im engeren Sinn zählen sie daher nicht zu den Erbkrankheiten als solches. Auch äußere Einflüsse wie energiereiche Strahlung oder bestimmte Chemikalien können Keimzellen (Eizelle, Spermium) schädigen.

Weicht die Zahl der Chromosomen von der natürlichen Verteilung ab, kommt es in vielen Fällen zu schweren Folgen – etwa zu Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen des Kindes. So können Chromosomen etwa dreifach vorliegen – man spricht dann von sogenannten Trisomien.

Bei Trisomie 21 (Down-Syndrom) ist beispielsweise das Chromosom 21 betroffen. Kinder mit dieser chromosomalen Fehlverteilung sind meist stark in ihrer Entwicklung gebremst.

Weiterer Vertreter dieser Gruppe ist die Trisomie 18 (Edwards-Syndrom) bei der Chromosom 18 in dreifacher Ausführung vorhanden ist. Bei einer Trisomie 13 (Pätau-Syndrom) ist entsprechend das Chromosom 13 überrepräsentiert. Beide Formen weisen eine erhöhte Kindersterblichkeit auf.

Eine weitere chromosomale Erkrankung ist das Klinefelter-Syndrom, das ausschließlich beim männlichen Geschlecht auftritt. Anstelle eines regulären XY-Geschlechtschromosoms, liegt hier ein zusätzliches X-Chromosom vor – es ergibt sich also ein chromosomales XXY-Schema.

Dies hat unter anderem Auswirkung auf die Bildung des männlichen Geschlechtshormons Testosteron. Häufig macht sich das Klinefelter-Syndrom deshalb erst in der Pubertät bemerkbar. Betroffene sind in vielen Fällen großwüchsig. Auch sind Betroffene meist unfruchtbar, da ihre Hoden unterentwickelt sind.

Eine chromosomale Erkrankung, die ausschließlich beim weiblichen Geschlecht auftritt ist das Turner-Syndrom. Auch hier ist die Ursache eine Fehlverteilung im Geschlechtschromosomenpaar. Betroffene Frauen weisen dabei nur ein einziges X-Chromosom auf. Die Symptome können vielfältig sein, treten allerdings nicht immer vollständig bei allen Patientinnen auf. Häufig sind Betroffene kleinwüchsig.

Monogenetische Erkrankungen

Eine monogenetische Erkrankung – auch monogene Erkrankung genannt – kann auf einen „definierten“ Gendefekt innerhalb einer bestimmten Gensequenz zurückgeführt werden. Das heißt, ein bestimmtes Gen, das für ein wichtiges Eiweißmolekül kodiert, ist nicht (voll) funktionsfähig. 

Als Folge dieses fehlerhaften Bauplans, produziert der Körper dann meist funktionsuntüchtige Eiweißmoleküle. Dies kann direkte Folgen für den Stoffwechsel, zelluläre Kontrollmechanismen oder für Organfunktionen haben. Auch können durch den Mangel bestimmter Eiweißmoleküle Körperzellen absterben oder bestimmte körperliche Entwicklungsstadien nicht mehr erreicht werden. Monogene Erkrankungen treten häufig bereits in der Kindheit auf und folgen in der Regel den mendelschen Vererbungsregeln. 

Autosomal-rezessiver Erbgang: Der Funktionsverlust tritt erst zutage, wenn beide Elternteile, die dieselbe defekte Erbanlage tragen und an ihr Kind weitergegeben haben. Wenn beide Partner Anlageträger sind, besitzt das Kind dann ein 25%iges Risiko für eine Erkrankung. Beispiele solcher Erbkrankheiten, die einem autosomal-rezessiven Erbgang folgen sind Mukoviszidose, Phenylketonurie, Albinismus, Galaktosämie, Sichelzellanämie und bestimmte Formen der Spinalen Muskelatrophie.

Autosomal-dominanter Erbgang: Manche Erkrankungen vererben sich gemäß den mendelschen Vererbungsregeln auch dominant. Das bedeutet, dass ein verändertes Gen nicht durch eine funktionsfähige Kopie auf einem benachbarten Allel oder Chromosom ausgeglichen werden kann. Eine einzige Kopie des genetischen Fehlers von nur einem Elternteil reicht dann schon aus, dass sich diese gegen das gesunde Gen des anderen Elternteils durchsetzt.

Eine solche Erbkrankheit tritt dann meist in jeder Generation auf. Dabei kann die jeweilige Krankheit im Kindes-, oder auch erst im Erwachsenenalter ausbrechen. Beispiele hierfür sind die Brachydaktylie (die Erkrankten haben verkürzte Finger), das Faktor-V-Leiden (Störung der Blutgerinnung), das Marfan-Syndrom (Erkrankung des Bindegewebes), Chorea Huntington (Erkrankung des motorischen Gehirns) und bestimmte Formen der myotonen Dystrophie (Muskelerkrankung) oder der Retinitis pigmentosa (Erkrankung der Netzhaut des Auges).

X-chromosomaler Erbgang: Einen Sonderfall stellt der sogenannte X-chromosomale Erbgang dar. Hier besteht ein Gendefekt auf einem X-Chromosom der geschlechtsspezifischen Gonosomen.

Bei einem X-chromosomal-rezessiven Gendefekt erkranken meist Männer, da diese „nur“ ein X-Geschlechtschromosom besitzen. Bei Frauen hingegen gleicht das verbleibende zweite X-Chromosom das fehlerhafte Gen durch seine intakte Kopie aus.

Beispiele typischer Krankheiten, die einem X-chromosomal-rezessiven Erbgang folgen sind etwa die „Bluterkrankheit“ (Faktor-VIII-Leiden oder Hämophilie), die Muskeldystrophie Typ Duchenne (Erkrankung der Muskulatur), die Mukopolysaccharidose Typ II (Morbus Hunter, eine Stoffwechselkrankheit) oder auch die Rot-Grün-Farbsinnstörung (Farbenblindheit).

X-chromosomal dominante Erbgänge treten dagegen selten auf. Auch hier liegt ein Gendefekt auf dem geschlechtsspezifischen X-Chromosom vor. Ein Beispiel für eine X-chromosomal dominante Erkrankung ist die hypophosphatämische Rachitis (Vitamin D resistente Rachitis, eine Störung des Knochenstoffwechsels).

Polygene Erkrankungen

Unter polygenetischen oder auch polygenen Erkrankungen verbirgt sich ein weites Feld unterschiedlicher Krankheitsformen. Man nennt diese Variationen im Erbgut auch „Single Nucleotide Polymorphism“ (SNP).

Isoliert betrachtet, bewirken einzelne SNP meist kein erhöhtes Erkrankungsrisiko – doch das Zusammenspiel vieler unterschiedlicher, sich ergänzender genetischer Faktoren beeinflusst den Gesundheitszustand dennoch.

Beispiele für Erkrankungen dieser Gruppe sind weitverbreitete Krankheiten wie Allergien, Typ-II-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auch die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und die Pylorusstenose (Verengung des Magenausgangs). Ihnen allen gemein ist, dass die Krankheit meist nicht alleine durch die genetische Veranlagung, sondern auch durch äußere Faktoren beeinflusst wird – etwa durch bestehende Lebensumstände, Umwelteinflüsse oder den allgemeinen Lebensstil.

Erbkrankheiten - Diagnose

Die Fortschritte in der modernen Medizin machen es möglich, Risiken für Erbkrankheiten in vielen Fällen frühzeitig zu erkennen. Möglich ist dies beispielsweise durch eine sogenannte humangenetische Untersuchung.

Viele spezialisierte Kliniken bieten individuelle Beratungsangebote an, die als erste Anlaufstelle für Ratsuchende dienen. Sie helfen und beraten bei der:

  • Abklärung familiär gehäufter Erkrankungen
  • Risikoabschätzung bei Kinderwunsch 
  • molekularen Diagnostik erblicher Krankheiten
  • umfassenden Aufklärung möglicher Therapieansätze
  • möglichen Auf- und Teilnahmebedingungen in klinischen Studien
  • Aufklärung über Ausprägung, Verlauf und Prognose einer erblichen Erkrankung
  • Vermittlung von weiteren spezialisierten Anlaufstellen und Patientenvertretungen

Für wen eignet sich eine humangenetische Beratung?

Eine genetische Beratung eignet sich für alle Personen, die sich sorgen, ob bei einem Familienmitglied oder ihnen selbst eine erblich bedingte Krankheit besteht, die an die Nachkommen weitergegeben werden kann. Sie findet bei Fachärzten für Humangenetik statt. 

Diagnostiziert der Kinderarzt beispielsweise eine Entwicklungsverzögerung bei Ihrem Kind, wird er eine erbliche Ursache abklären. Auch bei der Familienplanung kann eine solche Beratung sinnvoll sein, insbesondere dann, wenn bestimmte Erkrankungen familiär gehäuft auftraten oder Auffälligkeiten – beispielsweise im Ultraschall – während der Schwangerschaft zu Tage treten. 

Welche humangenetischen Untersuchungen gibt es?

Im Mittelpunkt der individuellen genetischen Beratung stehen Untersuchungsverfahren, die Risikofaktoren frühzeitig aufzuklären. So können Ärzte eine geeignete Therapie – sofern vorhanden – frühzeitig einleiten und eine bestmögliche Versorgung sicherstellen.

Bereits in der Schwangerschaft kann Ihr Arzt etwa durch sogenannte Nicht-invasive Pränataltests wichtige Rückschlüsse auf die Entwicklung des ungeborenen Kindes erhalten. Es handelt sich dabei um eine „einfache“ Blutprobe, die aus der Vene der werdenden Mutter genommen wird.

Einerseits bestimmen Ärzte so, ob bestimmte metabolische Marker Hinweise auf den Gesundheitszustand des ungeborenen Kindes geben, andererseits suchen sie gezielt nach Fragmenten der kindlichen DNA.

Da im Blut der werdenden Mutter bereits bestimmte fötale DNA-Fragmente zirkulieren (cell free DNA oder cfDNA) ist es Ärzten möglich, bereits so nach genetischen Auffälligkeiten des ungeborenen Kindes zu suchen (PraenaTest und Panorama-Test, Harmony-Test).

Auch ist im Rahmen des routinemäßigen Neugeborenen-Screenings (Früherkennung) am zweiten oder dritten Lebenstag nach der Geburt eine direkte Untersuchung des Kindes möglich. Dafür entnehmen Ärzte einige Tropfen Blut aus der Ferse des Neugeborenen und klären mögliche angeborene Stoffwechselstörungen, hormonelle Störungen oder andere erbliche Krankheiten ab.

Können Erbkrankheiten geheilt werden?

Die meisten Erbkrankheiten sind nicht heilbar. Dennoch kann diese Antwort nicht pauschal auf alle erblichen Erkrankungen übertragen werden. Zu vielfältig und vielschichtig sind die zugrundeliegenden Auslöser und Ausprägungen der entsprechenden Krankheitsbilder, die meist zu den seltenen Erkrankungen zählen.

Hoffnungsvolle Ansätze stehen seit Kurzem bei einer Form der erblichen Netzhautdystrophie (RPE65-Mutation) oder der erblichen Spinalen Muskelatrophie zur Verfügung. Ärzte haben hier erstmals die Möglichkeit, Betroffenen mit gentherapeutischen Ansätzen ursächlich zu helfen.

Eine rechtzeitige molekulardiagnostische Abklärung ist hier besonders wichtig, da der Behandlungserfolg von einer frühzeitigen Diagnose und einem entsprechenden frühen Therapiebeginn profitiert.

Dennoch gibt es für viele Erbkrankheiten Behandlungsmöglichkeiten. So können etwa fehlende Eiweiße künstlich zugeführt werden wie bei der Bluterkrankheit. Oder es werden bestimmte Nahrungsbestandteile, die nicht verarbeitet werden können, durch eine spezielle Diät vermieden (Beispiel: Phenylketonurie). Für viele Erbkrankheiten gibt es medizinische Fachzentren und Selbsthilfegruppen, die Beratungen oder spezielle Therapien anbieten.
 

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:

Maximilian Reindl studierte Chemie und Biochemie an der LMU in München und ist seit Dezember 2020 Mitglied der NetDoktor-Redaktion. Er arbeitet sich für Sie in medizinisch-naturwissenschaftliche und gesundheitspolitische Themen ein, um diese gut verständlich und nachvollziehbar aufzubereiten.