Impfstoffe: Was bedeutet "zu X Prozent wirksam"?

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Die Wirksamkeit, die die Hersteller ihren Impfstoffen bescheinigen, hat eine grosse Bandbreite. Tatsächlich aber schützen manche besser als die Zahlen suggerieren.

Antikörper attackiern ein Virus

95-prozentige Wirksamkeit, 80-prozentige Wirksamkeit – oder nur eine Wirksamkeit von 70 Prozent? Die Angaben zu den neu entwickelten Corona-Impfstoffen machen vielen Menschen erst bewusst, dass Impfungen unterschiedlich wirksam sind – und dass keine Impfung 100-prozentigen Schutz bietet.

Bei Immunisierungen gegen Grippe, Masern oder Polio machte man sich bislang zu diesem Thema kaum Gedanken – in der Regel steht hierfür ohnehin nur ein Vakzin zur Verfügung. Dagegen sorgen nun die Wirksamkeiten, die den verschiedenen Corona-Vakzinen bescheinigt werden, für Diskussionsstoff.

Wirksamkeit gegen Erkrankung

Um die Wirksamkeit eines Impfstoffs zu prüfen, vergleichen grosse Phase-III-Studien, wie viele Teilnehmer ohne und wie viele trotz der Impfung erkranken.

Dazu erhält ein Teil der Studienteilnehmer den Impfstoff, die übrigen beispielsweise nur eine Placebo-Impfung. Welcher Teilnehmer was erhält, erfährt zunächst weder der impfende Arzt noch der Proband selbst.

Ist eine vorab festgelegte Zahl an Teilnehmern erkrankt, wird diese doppelte Verblindung aufgehoben. Zu den Erkrankten zählen dabei alle Teilnehmer, die Symptome entwickelten, auch wenn es nur ein vorübergehender Husten war. Wenn der Anteil der Geimpften unter den Infizierten niedriger ist als der der Ungeimpften, so ist der Impfstoff wirksam.

95 Prozent Wirksamkeit bedeutet dann beispielsweise, dass die Wahrscheinlichkeit, zu erkranken, für geimpfte Personen um 95 Prozent niedriger ist als für ungeimpfte. Es bedeutet aber nicht, dass die übrigen fünf Prozent der geimpften Personen erkranken. Ebenso wenig, wie auch nicht 100 Prozent der Ungeimpften erkranken.

Die Angaben zur Wirksamkeit beziehen sich somit auf eine relative Reduktion des Risikos. Sie zeigen, um wie viel niedriger das Erkrankungsrisiko von Geimpften im Vergleich zu Menschen ist, die nicht geimpft sind. Sie spiegeln aber nicht wider, wie wie hoch die Erkrankungsgefahr für beide Gruppen insgesamt ist. Denn das hängt von viele anderen Faktoren ab, beispielsweise wie stark sich das Virus aktuell ausbreitet (Inzidenz) oder wie gefährdet die jeweilige Person sind.

Beim Impfstoff von BioNTech/Pfizer sah das beispielsweise folgendermassen aus: Von 100 Probanden, die Symptome entwickelten, waren nur 5 geimpft Die übrigen 95 der im Verlauf der Studie Erkrankten waren ungeimpft (= 95 Prozent Wirksamkeit).

Vollständiger Schutz vor schweren Verläufen

Entscheidend ist aber, wie zuverlässig die Impfstoffe schwere Verläufe verhindern. Und dieser Schutz war im Verlauf der Studien bei allen zugelassenen Vakzinen extrem hoch: Kein geimpfter Teilnehmer der Studien ist schwer an Covid-19 erkrankt – das gilt für die mRNA-geimpften Probanden ebenso wie für die, die einen Vektorimpfstoff erhalten hatten.

Und das ist die eigentliche gute Nachricht: Auch die weniger wirksamen Vakzine schützen noch immer extrem gut vor schweren Verläufen. Und das ist letztlich das Hauptziel der Schutzimpfungen gegen Sars-CoV-2. Dass dieser Schutz bei Millionen und Milliarden Geimpften am Ende nicht 100-prozentig ausfallen wird, sondern es auch einzelne Fälle geben könnte, in denen Menschen trotz Impfschutz schwer erkranken, ist dennoch zu erwarten.

Wirksamkeit gegen Ansteckung

Eine andere Form der Wirksamkeit beschreibt, wie gut ein Impfstoff nicht nur vor dem Ausbruch einer Krankheit, sondern auch vor Ansteckung schützt. Mediziner bezeichnen dies als „sterile Immunität“. Ist diese gewährleistet, bedeutet das, man kann als Geimpfter auch niemand anderen anstecken.

Beim Kombiimpfstoff gegen Mumps, Masern und Röteln (MMR) ist das beispielsweise gegeben. Er schützt also effektiv nicht nur den Geimpften, sondern auch sein Umfeld und ermöglicht so eine Herdenimmunität.

Nach derzeitigem Wissensstand können Corona-Impfstoffe eine erneute Ansteckung zwar nicht völlig verhindern, aber die Wahrscheinlichkeit, das Virus weiterzugeben, scheint aber auch in solchen Fällen deutlich reduziert.

Wirksamkeit gegen Mutanten

Alle Viren mutieren fortlaufend – beim Grippevirus passiert das beispielsweise so schnell und umfassend, dass die Hersteller jedes Jahr einen neuen Impfstoff mixen müssen. Dieser schützt dann vor den häufigsten aktuell zirkulierenden Grippevirus-Typen: Vorangegangene und vor allem bereits durchgemachte Infektionen mit früheren Grippeviren sichern dem Körper eine Art Basis-Immunität gegen die vielgestaltigen Erreger.

Aus dem Grund erkranken Erwachsene und ältere Kinder viel seltener an Influenza als jüngere Kinder. Denn sie sind im Lauf Ihres Lebens schon häufig mit Grippeviren in Kontakt gekommen. Ihr Immungedächtnis regiert deshalb auch auf neue Grippeviren, wenn auch weniger als auf „alte Bekannte“.

Auch Sars-CoV-2 verändert sich laufend – allerdings erheblich langsamer als Grippeviren. Die meisten Mutationen spielen zudem keine Rolle für die Infektion und die Impfstoffwirkung – sie verändern meist Genabschnitte des Virus, auf die die Vakzine nicht abzielen.

Allerdings scheinen die derzeit verfügbaren Impfstoffe tatsächlich etwas an Wirksamkeit eingebüsst zu haben.

Doch das bedeutet nicht, dass die Impfstoffe gar keine Schutzwirkung gegen die Mutanten entfalten. Sie können beispielsweise weiterhin zumindest schwere Krankheitsverläufe verhindern. In welchem Masse das tatsächlich der Fall ist und wie gut die Impfstoffe gegen die verschiedenen Mutationen wirken, ist aber noch offen.

Kein 100-prozentiger Schutz vor Krankheit und Tod

Ob Ursprungsvirus oder Mutanten: 100-prozentigen Schutz vor Krankheit und Tod können auch die besten Impfstoffe nicht bieten. Nachdem weltweit Millionen Menschen gegen Covid-19 geimpft wurden, sind überall auch Menschen schwer erkrankt oder gestorben, die bereits vollständig geimpft wurden.

Das gilt insbesondere für ältere Menschen, die noch immer den grössten Anteil unter den Geimpften stellen: Ihr Immunsystem ist weniger schlagkräftig als das Jüngerer, weswegen ihre Immunantwort geringer ausfallen kann. Gleichzeitig sind sie diejenigen, die das höchste Risiko haben, an einer Infektion zu versterben.

Die bis jetzt vorliegenden Untersuchungen zeigen aber, dass die Impfungen auch vor den neuen Virenvarianten insgesamt zwar einen etwas geringeren, aber immer noch ausgezeichneten Schutz bieten. Ob das auch bei den zu erwartenden, künftigen Virusvarianten der Fall sein wird, bleibt abzuwarten.

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Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Corona-Schutzimpfung: Antworten auf häufig gestellte Fragen, www.infektionsschutz.de, BzgA, Abruf 09.02.2021
  • COVID-19-ImpfungVektor-basierte Impfung, RKI, Abruf 08.06.2021
  • Das Coronavirus-Update von NDR Info: (74) Durststrecke mindestens bis Ostern, 02.02.2021
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