Morbus Hirschsprung

Von , Medizinredakteurin
Mag. Astrid Leitner

Astrid Leitner studierte in Wien Tiermedizin. Nach zehn Jahren in der veterinärmedizinischen Praxis und der Geburt ihrer Tochter wechselte sie – mehr zufällig – zum Medizinjournalismus. Schnell war klar: Das Interesse an medizinischen Themen und die Liebe zum Schreiben ergeben für sie die perfekte Kombination. Astrid Leitner lebt mit Tochter, Hund und Katze in Wien und Oberösterreich.

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Morbus Hirschsprung ist eine angeborene Erkrankung, bei der im letzten Dickdarmabschnitt Nervenzellen fehlen. Betroffene leiden oft schon von Geburt an unter dauerhafter Verstopfung bis hin zum Darmverschluss. In den meisten Fällen ist eine Operation unumgänglich. Lesen Sie hier alles Wissenswerte zu Prognose, Symptomen und Behandlung des „kongenitalen Megakolons“!

Baby mit Bauchschmerzen

Kurzübersicht

  • Was ist Morbus Hirschsprung?: Angeborene Fehlbildung des untersten Dickdarmabschnitts
  • Prognose: Bei rechtzeitiger Behandlung und regelmässigen Kontrollen ist die Prognose gut.
  • Symptome: Übelkeit, Erbrechen, Blähbauch, verspäteter oder fehlender Abgang des ersten Stuhls beim Neugeborenen (“Kindspech”), Verstopfung, Darmverschluss, Bauchschmerzen
  • Ursachen: Fehlen von Nervenzellen im letzten Dickdarmabschnitt
  • Risikofaktoren: Trisomie 21 (oder andere seltene Chromosomendefekte), genetische Veranlagung
  • Diagnostik: Typische Symptome, körperliche Untersuchung, Röntgen, Ultraschall, Druckmessung im Enddarm, Biopsie, genetische Untersuchung
  • Behandlung: In den meisten Fällen ist eine Operation nötig.
  • Vorbeugen: Morbus Hirschsprung ist eine angeborene Erkrankung, eine Vorbeugung ist nicht möglich.

Was ist Morbus Hirschsprung?

Morbus Hirschsprung (MH), auch als kongenitales Megakolon bezeichnet, ist eine angeborene Fehlbildung, die den letzten Dickdarmabschnitt und den inneren Schliessmuskel am Darmausgang (Anus) betrifft. An diesen Stellen fehlen Nervenzellen, die normalerweise die Darmmuskulatur steuern. Die Darmmuskulatur sorgt dafür, dass der Darminhalt in Richtung Enddarm weitertransportiert wird. Dafür zieht sich die Muskulatur wellenförmig zusammen und schiebt so den Darminhalt weiter. Diesen Vorgang bezeichnen Ärzte als Peristaltik.

Bei MH-Patienten ist die Peristaltik wegen der fehlenden Nervenzellen gestört. Die Stelle, an der die Nerven fehlen, ist dauerhaft verengt (funktionelle Stenose). Abhängig davon, wie gross der betroffene Darmabschnitt ist, wird der Darminhalt nicht oder nur in sehr geringen Mengen weitertransportiert.

Der Stuhl staut sich vor der verengten Stelle zunehmend an und weitet den davorliegenden Darmabschnitt. Diese starke Erweiterung des Dickdarms wird auch als Megakolon bezeichnet. Da es sich um eine angeborene Erkrankung handelt, sprechen Ärzte auch vom „kongenitalen Megakolon“ oder „Megacolon congenitum“. Der Name Hirschsprung-Krankheit geht auf den Kinderarzt Harald Hirschsprung zurück, der die Erkrankung im Jahr 1888 erstmals beschrieb.

Entleert sich der Darm nicht vollständig, staut sich mehr und mehr Stuhl an. Im stuhlgefüllten, gedehnten Darmabschnitt entwickelt sich unter Umständen eine Entzündung (Enterokolitis), im schlimmsten Fall ein Darmverschluss. Unbehandelt führt dies schliesslich zu einer Blutvergiftung (Sepsis) beziehungsweise zu einer lebensbedrohlichen bakteriellen Überwucherung des Dickdarms (toxisches Megakolon).

Wie lang der betroffene Darmabschnitt bei der Hirschsprung-Krankheit ist, variiert von Patient zu Patient. Typisch ist aber, dass das Fehlen der Nervenzellen immer am Anus beginnt und im Darm unterschiedlich weit nach oben reicht. Da auch der Darmausgang betroffen ist, fehlt dem inneren Schliessmuskel die Fähigkeit, sich zu entspannen, was die Stuhlentleerung zusätzlich erschwert. Das nicht-funktionierende Darmstück bezeichnet man auch als nervenzellfreies (aganglionäres) Segment, Ärzte sprechen daher auch von einer Aganglionose.

Häufigkeit

Morbus Hirschsprung zählt zu den seltenen Erkrankungen. Pro Jahr kommt etwa eines von 5.000 Kindern damit zur Welt. Knaben sind rund viermal häufiger betroffen als Mädchen.

Welche Lebenserwartung haben MH-Patienten?

Wird Morbus Hirschsprung rechtzeitig behandelt, ist die Prognose gut und die Lebenserwartung nicht eingeschränkt. Die Erkrankung erfordert aber – auch nach erfolgreicher Operation – eine langfristige Nachsorge und lebenslange regelmässige Kontrollen. In den meisten Fällen kann die Darmfunktion mit einer Operation vollständig wiederhergestellt werden.

Symptome

Welche Symptome auftreten, hängt davon ab, wie gross der betroffene Darmabschnitt ist und wie viele Nervenzellen fehlen. In den meisten Fällen treten die typischen Beschwerden bereits in den ersten Lebenstagen auf.

Typische Symptome bei Babys sind:

Mekonium („Kindspech“) ist der allererste Stuhlgang beim Neugeborenen. Es handelt sich dabei nicht um klassischen Stuhlgang, sondern um eine Ansammlung von Haut- und Schleimhautzellen, Verdauungssäften und verschlucktem Fruchtwasser. Typischerweise ist das Mekonium grünlich-schwarz, geruchsneutral und wird innerhalb der ersten beiden Lebenstage ausgeschieden.

Geht das Mekonium auch nach dem zweiten Tag nicht ab, liegt unter Umständen ein Morbus Hirschsprung vor. Bei Neugeborenen kann auch ein auffällig dicker und aufgeblähter Bauch auf MH hindeuten.

Typische Symptome bei Kindern sind:

Ist nur ein kurzer Darmabschnitt betroffen, kommt es vor, dass Eltern die Fehlbildung nicht sofort bemerken. Oft fällt der veränderte Stuhlgang erst nach der Stillzeit auf. Der Grund: Solange die Kinder gestillt werden, ist ihr Stuhlgang verhältnismässig dünn und dadurch leichter zu transportieren. Eine Engstelle im Darm fällt mitunter nicht auf. Probleme treten erst in der Zeit der Nahrungsumstellung auf. Betroffene Kinder können die folgenden Symptome und Beschwerden entwickeln:

  • Harter oder pastenartiger, teigiger (pastöser) Stuhl, zwischendurch auch flüssig
  • Ständige Verstopfung, Stuhlgang nur alle zwei bis drei Tage
  • Stuhlentleerung nur mit Hilfsmitteln (Einlauf, Einführen von Finger oder Thermometer) möglich
  • Stuhl riecht sehr unangenehm
  • Bauchschmerzen
  • Erbrechen
  • Nahrungsverweigerung
  • Schlechter Allgemeinzustand

Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursache für Morbus Hirschsprung ist, dass Nervenzellen im Dickdarm fehlen. An den betroffenen Stellen wird der Darminhalt kaum noch oder nicht mehr weitertransportiert und staut sich an. Je nachdem, wie viele Nervenzellen fehlen, sind unterschiedlich lange Abschnitte des Dickdarms betroffen.

Ursachen

Grund für das Fehlen der Nervenzellen ist eine gestörte Embryonalentwicklung zwischen der vierten und zwölften Schwangerschaftswoche. Wie es dazu kommt, ist nicht restlos geklärt. Ärzte gehen davon aus, dass verschiedene Faktoren eine Rolle spielen:

  • Genetische Ursachen: Morbus Hirschsprung ist eine Erkrankung, die familiär gehäuft vorkommt. Das Risiko, nach einem Kind mit MH ein weiteres mit der gleichen Erkrankung zu bekommen, liegt bei vier Prozent. Grundsätzlich gilt: Je länger das Darmstück ohne Nervenzellen ist, desto höher ist das Risiko, die Fehlbildung an seine Nachkommen weiterzugeben.
  • Minderdurchblutung des Embryos
  • Virusinfektionen im Mutterbauch
  • Reifungsstörung

Risikofaktoren

Meistens tritt Morbus Hirschsprung als eigenständige Erkrankung auf. Kinder, die mit einer Trisomie 21 („Down-Syndrom“) zur Welt kommen, haben jedoch ein erhöhtes Risiko für Morbus Hirschsprung: Bei etwa einem Drittel der MH-Patienten gibt es einen Zusammenhang mit Trisomie 21 oder anderen genetisch bedingten Erkrankungen wie beispielsweise dem Undine-Syndrom, Shah-Waardenburg-Syndrom oder dem Mowat-Wilson-Syndrom.

Diagnose

In den meisten Fällen treten die ersten Beschwerden bereits im Säuglingsalter auf. Erster Ansprechpartner bei Verdacht auf MH ist der Kinderarzt. Die Krankengeschichte und die typischen Symptome geben erste Hinweise auf Morbus Hirschsprung. Mit weiteren Untersuchungen sichert der Kinderarzt die Diagnose ab:

Körperliche Untersuchung: Der Arzt tastet zunächst den Bauch ab und achtet auf typische Veränderungen wie Blähbauch oder tastbare harte Stuhlballen. Anschliessend führt er eine „digito-rektale“ Untersuchung durch: Dabei untersucht er Darmausgang und Enddarm mit dem Finger. Ein enger Enddarm, der keinen Stuhl enthält, kann ein Anzeichen für Morbus Hirschsprung sein. Deutlich hörbare Darmgeräusche deuten ebenfalls auf die Darmerkrankung hin.

Ultraschalluntersuchung: Eine Untersuchung des Bauches mittels Ultraschall ermöglicht dem Arzt, Aufweitungen oder eine starke Füllung des Darms mit Stuhl zu erkennen. Zudem kann er sehen, ob sich der Darm bewegt (Darmperistaltik).

Röntgenuntersuchung des Dickdarms (Kolon-Röntgen): Um zu sehen, ob der Darm in einem bestimmten Bereich verengt ist, bringt der Arzt über einen dünnen Schlauch ein Kontrastmittel in den Darm ein. Finden sich im Röntgenbild trichterförmige Verengungen, ist das ein Hinweis auf Morbus Hirschsprung.

Gewebeentnahme aus der Darmwand (Biopsie): Ab der sechsten Lebenswoche ist eine Darmspiegelung mit gleichzeitiger Gewebeentnahme (Biopsie) möglich. Dafür entnimmt der Arzt eine Gewebeprobe aus der Darmwand und untersucht unter dem Mikroskop und mit speziellen Tests, ob Nervenzellen vorhanden sind. Die Diagnose steht fest, wenn in der Darmwand keine (oder zu wenige) Nervenzellen vorhanden sind.

Enddarmdruckmessung (Rektummanometrie): Bei dieser Untersuchung prüft der Arzt, ob Peristaltik vorhanden ist und ob die beiden Schliessmuskeln des Anus funktionieren. Im Falle von MH zieht sich die Darmwand krampfartig zusammen, die Schliessmuskeln sind fest verschlossen. Wichtig: Die Rektummanometrie ist bei Säuglingen und Kindern nur bedingt aussagekräftig, da diese Untersuchungsmethode die Mitarbeit des Patienten erfordert.

Molekulargenetische Diagnostik: Etwa ein Drittel der MH-Patienten sind gleichzeitig von Trisomie 21 (oder anderen seltenen Chromosomendefekten) betroffen. Diese können mithilfe molekulargenetischer Methoden (Blutuntersuchung) festgestellt werden, nicht aber die Genveränderungen, die MH auslösen. Diese sind Stand heute noch nicht vollständig erforscht.

Behandlung

In den meisten Fällen von Morbus Hirschsprung ist eine Operation notwendig. Wann der Eingriff durchgeführt wird, hängt in erster Linie vom Allgemeinzustand des Patienten ab.

Sofortige Operation bei gutem Allgemeinbefinden

MH-Patienten werden üblicherweise bald operiert, damit es nicht zu Komplikationen wie beispielsweise einem Darmverschluss kommt. Bei der Operation entfernt der Chirurg den betroffenen Darmabschnitt und damit auch die Einengung, sodass normaler Stuhlgang wieder möglich ist. Den Eingriff führt der Chirurg entweder über den Darmausgang oder über die Bauchhöhle durch.

Überbrückende Massnahmen bis zur Operation bei schlechtem Allgemeinbefinden

Ist das Allgemeinbefinden schlecht (schwaches Neugeborenes) oder sind bereits Komplikationen wie eine Blutvergiftung (Sepsis) aufgetreten, ist es unter Umständen notwendig, mit der Operation etwas zu warten. In diesen Fällen entfernt der Arzt den Stuhl bis zur Operation regelmässig durch Ausspülen des Darms (Einlauf) oder durch Weiten des Darmabschnitts mit speziellen Instrumenten.

Manchmal ist es nötig, vor der eigentlichen Operation vorübergehend einen künstlichen Darmausgang (Stoma) anzulegen.

Nach der Operation

Bis die Operationswunde im Darm abgeheilt ist und der Dickdarm wieder normal funktioniert, vergehen einige Wochen. In dieser Zeit gilt es für Eltern betroffener Kinder, folgende Punkte zu beachten:

  • Häufiger Stuhlgang: Viele Kinder haben nach der Operation sehr häufigen (fünf bis 30 Mal) und dünnen Stuhlgang. Darauf kann die Haut sehr empfindlich reagieren. Damit der Po nicht wund wird, empfiehlt es sich, die Haut (vor allem im Windelbereich) besonders gut zu pflegen.
  • Medikamente: In den ersten Wochen nach der Operation erhalten Kinder Medikamente, die die die Stuhlkonsistenz beeinflussen. Es ist wichtig, dass betroffene Kinder die Medikamente regelmässig einnehmen.
  • Vernarbungen verhindern: Nach der Operation ist es notwendig, die Operationsstelle im Darm aufzudehnen, damit die Stelle nicht vernarbt und sich dadurch wieder verengt. Dies geschieht mit speziellen Stiften, die das Gewebe dehnen.
  • Wurde ein künstlicher Darmausgang angelegt, wird dieser nach drei bis vier Wochen wieder entfernt.

Vorbeugen

Da Morbus Hirschsprung eine angeborene Erkrankung ist, gibt es keine Massnahmen, der Erkrankung vorzubeugen.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:

Astrid Leitner studierte in Wien Tiermedizin. Nach zehn Jahren in der veterinärmedizinischen Praxis und der Geburt ihrer Tochter wechselte sie – mehr zufällig – zum Medizinjournalismus. Schnell war klar: Das Interesse an medizinischen Themen und die Liebe zum Schreiben ergeben für sie die perfekte Kombination. Astrid Leitner lebt mit Tochter, Hund und Katze in Wien und Oberösterreich.

ICD-Codes:
Q43
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Quellen:
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