Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)

Von , Studentin der Humanmedizin
Sophie Matzik

Sophie Matzik ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion.

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Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine chronisch-degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems. Durch den Untergang bestimmter Nervenzellen leiden die Betroffenen an fortschreitenden Muskellähmungen. Sie sind früh auf einen Rollstuhl angewiesen, später haben sie Schwierigkeiten zu schlucken, zu sprechen oder zu atmen. In vielen Fällen führt ALS innerhalb weniger Jahre zum Tod. Doch es gibt auch Menschen wie den Astrophysiker Stephen Hawking, die Jahrzehnte mit der Krankheit leben. Lesen Sie hier mehr über Anzeichen und Behandlung der Amyotrophen Lateralsklerose.

Detailaufnahme: Eine Hand am Rollstuhl

Kurzübersicht

  • Symptome: Muskelschwäche und Muskelschwund, im weiteren Verlauf Lähmungserscheinungen, Krämpfe, Sprech- und Schluckstörungen, Schwierigkeiten bei der Atmung
  • Therapie: Die Erkrankung lässt sich nicht ursächlich behandeln, es stehen aber wirksame Massnahmen zur Verfügung, um die Symptome zu lindern.
  • Ursachen: Die Ursachen sind bis heute nicht bekannt. Bei manchen Betroffenen liegt ein Enzymdefekt vor, der zur Ansammlung freier Sauerstoffradikale führt.
  • Krankheitsverlauf: Der Krankheitsverlauf ist individuell sehr unterschiedlich, die Lebenserwartung jedoch in der Regel stark eingeschränkt.
  • Vorbeugen: Aufgrund der unbekannten Ursache lässt sich der Erkrankung nicht vorbeugen.

Was ist Amyotrophe Lateralsklerose?

Als Nervenkrankheit ist die Amyotrophe Lateralsklerose (auch ALS, Myatrophe Lateralsklerose, Charcot-Krankheit oder Lou-Gehrig-Syndrom genannt) seit Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt. Sie tritt im Vergleich zu anderen neurodegenerativen Krankheiten relativ selten auf. Pro Jahr erkranken nach Expertenschätzung etwa zwei von 100.000 Menschen, Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen. Die Zahl der Neuerkrankungen ist in Europa höher als in anderen Teilen der Welt.

In den meisten Fällen tritt die Amyotrophe Lateralsklerose zwischen dem 50. und 80. Lebensjahr auf. Im Krankheitsverlauf gehen die Nervenzellen (Neuronen), die für die Übermittlung der Befehle an die Muskeln zuständig sind, nach und nach zugrunde. Dieser Prozess ist nicht mehr umkehrbar. So werden die Befehle aus Gehirn und Rückenmark immer schwächer und zunehmend verspätet an die Muskeln weitergegeben. Die Amyotrophe Lateralsklerose äussert sich daher zuerst durch Muskelschwäche, später auch durch Lähmungserscheinungen.

Bei den meisten Menschen hat Amyotrophe Lateralsklerose keine negativen Auswirkungen auf die geistigen Fähigkeiten: Sinneswahrnehmungen, Bewusstsein und Denkvermögen bleiben vollkommen intakt. Nur etwa fünf Prozent leiden unter einem Gedächtnisverlust. Umso belastender ist es allerdings für viele Betroffene, wenn sie im Laufe der ALS-Erkrankung nicht mehr in der Lage sind, ihren Alltag allein zu bewältigen.

Amyotrophe Lateralsklerose ist nicht heilbar, und die Betroffenen versterben in der Regel innerhalb weniger Jahre an den Folgen.

Die drei Formen der Amyotrophen Lateralsklerose

Fachleute unterscheiden bei der Amyotrophen Lateralsklerose zwischen drei Formen:

  1. Sporadische Form (etwa 90 bis 95 Prozent der Fälle): Die Amyotrophe Lateralsklerose hat keine erkennbare Ursache.
  2. Familiäre Form (etwa fünf bis zehn Prozent der Fälle): Die Amyotrophe Lateralsklerose entsteht durch eine Veränderung der Erbinformation (Mutation). Diese können spontan entstehen oder von einem Elternteil an das Kind vererbt werden.
  3. Endemische Form: Aus bisher ungeklärter Ursache tritt die ALS-Krankheit in manchen Gebieten im Westpazifik deutlich häufiger auf.

Welche Symptome treten bei ALS auf?

Das Krankheitsbild der ALS unterscheidet sich bei den Betroffenen zum Teil deutlich. Zudem verändern sich die Symptome der ALS im Krankheitsverlauf.

Frühsymptome der ALS

25 Prozent der Betroffenen klagen zu Beginn über Muskelschwäche und Muskelschwund in den kleinen Hand- und später in den Armmuskeln. Auch Krämpfe in den Beinen und ein Rückgang der Gesichtsmuskulatur kennzeichnen die Amyotrophe Lateralsklerose. Bei anderen Menschen machen sich die Frühsymptome der ALS hingegen zunächst in den Füssen und Beinen bemerkbar und greifen erst später auf die Arme und die Gesichtsmuskulatur über.

Bei etwa 20 Prozent der Betroffenen zuerst eine abnehmende Sprachfähigkeit und Schluckstörungen (bulbäre Lähmungen) auf. Betroffene sprechen zunehmend langsamer und verwaschener (Bulbärsprache). Erst später nehmen Muskelkraft und -volumen an den Extremitäten ab.

Weitere Symptome der Amyotrophen Lateralsklerose sind unwillkürliche Bewegungen und unkoordinierte Zuckungen einzelner Muskelbündel (Faszikulationen). Einige Menschen mit ALS beginnen unkontrolliert zu lachen oder zu weinen.

Symptome im Krankheitsverlauf

Im späteren Stadium sind alle Formen der ALS-Krankheit von Lähmungen geprägt. Viele Menschen verlieren stark an Gewicht (Kachexie), bei einigen Betroffenen kommt es zu Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit. Diese sind aber in der Regel nur leicht ausgeprägt.

Mit fortschreitendem Krankheitsverlauf macht sich zunehmend die Lähmung der Atemmuskulatur bemerkbar. Betroffene leiden dann zum Beispiel unter Atemnot, Schlafstörungen, morgendlichen Kopfschmerzen, Tagesmüdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten. Da sich vermehrt Sekret in den Atemwegen anstaut, besteht eine höhere Infektanfälligkeit. Die Funktion von Blase und Darm bleibt bei vielen Betroffenen erhalten.

Verursacht ALS Schmerzen?

Infolge der Muskelkrämpfe und Spastiken kommt es bei ALS im Krankheitsverlauf häufig zu Schmerzen. Diese sind individuell unterschiedlich stark ausgeprägt und schränken die Belastbarkeit und Mobilität oft zusätzlich ein. Betroffene beschreiben die Schmerzen als ziehend, krampfartig oder stechend. In einer aktuellen Studie berichteten Menschen mit ALS vor allem über

Wie wird ALS behandelt?

Die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist nicht heilbar. Das Ziel der Behandlung ist daher, Betroffenen ein möglichst langes, unabhängiges und beschwerdearmes Leben zu ermöglichen.

Die beste Betreuung erfahren Patienten in einer Klinik, die zur Behandlung der Amyotrophen Lateralsklerose ein interdisziplinäres Team zur Verfügung hat (neuromuskuläre Zentren). Dazu gehören neben Fachärzten für Nervenerkrankungen (Neurologen) unter anderem Magen-Darm-Spezialisten (Gastroenterologen), Lungenfachärzte (Pulmonologen), Fachärzte für Herzerkrankungen (Kardiologen), Orthopäden, Sprechtherapeuten (Logopäden), Psychologen, Physio- und Ergotherapeuten oder Diätberater.

Als einzige empfohlene ursächliche Therapie bei Amyotropher Lateralsklerose ist derzeit der Wirkstoff Riluzol verfügbar. Er erlaubt zwar keine Heilung, ist aber in der Lage, die Nervenzellen vor weiteren Schäden schützen. Riluzol verzögert den Verlauf der ALS um einige Monate. Je früher die Therapie beginnt, desto stärker vermindert es die Symptome. Lebenserwartung und Lebensqualität steigen durch das Medikament beträchtlich. Weitere Wirkstoffe befinden sich derzeit in der klinischen Erprobung.

Symptomatische Therapie

Da die Amyotrophe Lateralsklerose individuell sehr unterschiedlich verläuft, leiden Betroffene auch unter sehr unterschiedlichen Symptomen, die eine individuelle Behandlung erfordern. So bekommen viele Patienten Atemprobleme und leiden unter Luftnot, da die Atemmuskulatur nicht mehr ausreichend funktioniert. In diesem Fall helfen ein Beatmungsgerät sowie Medikamente gegen Verschleimung (Mukolytika). Auch vorbeugende Massnahmen gegen eine Lungenentzündung wie zum Beispiel Atemgymnastik, Klopfmassagen oder Hustenhilfen sind häufig sinnvoll.

Probleme beim Schlucken machen im Krankheitsverlauf oft eine künstliche Ernährung nötig. Diese erfolgt entweder über Infusionen (über die Vene) oder über eine sogenannte PEG-Sonde, die durch die Bauchdecke direkt in den Magen führt.

Bei vielen Betroffenen kommt es durch die ALS zu einer vermehrten Speichelbildung (Hypersalivation). Zur Behandlung eignen sich Medikamente, die den Einfluss des Parasympathikus dämpfen. Das ist der Teil des vegetativen Nervensystems, der die meisten inneren Organe steuert und unter anderem den Speichelfluss anregt.

Auch Krankengymnastik und Ergotherapie kommen bei Amyotropher Lateralsklerose zum Einsatz. Sie sollen verbliebene Fähigkeiten fördern, Symptome wie unkontrolliertes Muskelzucken und Krämpfe lindern und das Risiko einer Gerinnselbildung in den Beinvenen (Thrombose) senken. Schmerzen lassen sich mit starken Schmerzmitteln (zum Beispiel Opioiden) in der Regel gut in den Griff bekommen. Bei starken Krämpfen und Spastiken stehen krampflösende und muskelentspannende Medikamente zur Verfügung.

Zur Behandlung von psychischen Symptomen wie Depressionen und Panikattacken ist neben einer medikamentösen Therapie mit Psychopharmaka eine unterstützende Psychotherapie sinnvoll.

Hilfsmittel bei ALS

Neben den therapeutischen Massnahmen gibt es verschiedene Hilfsmittel, die ALS-Erkrankte in verschiedenen Lebensbereichen Unterstützung bieten. Sie tragen dazu bei, die Mobilität zu erhöhen und die Selbstständigkeit länger zu erhalten. Wichtige Hilfsmittel sind zum Beispiel

  • Gehstock, Rollator oder – im späteren Krankheitsstadium – ein Elektrorollstuhl
  • Sitz- und Aufstehhilfen
  • Elektrische Steuerungssysteme für zum Beispiel Fenster, Türen, Licht oder Heizung
  • Kommunikationstafeln und computergestützte Kommunikationshilfen
  • Pflegebetten
  • Toilettenstuhl oder Toilettensitzerhöhung
  • Duschstuhl oder Badewannenlift
  • An- und Ausziehhilfen
  • Ess- und Trinkhilfen

Ursachen und Risikofaktoren

Als Nervenkrankheit ist die Amyotrophe Lateralsklerose schon lange bekannt, allerdings sind die Ursachen der Erkrankung bis heute weitgehend ungeklärt. In vorbelasteten Familien kommt es zwar unter Umständen zu einer Häufung von Krankheitsfällen, dennoch tritt der überwiegende Teil der ALS-Erkrankungen spontan auf.

Bei etwa einem von 100 ALS-Kranken besteht eine vererbte oder neu aufgetretene Veränderung (Mutation) in einem bestimmten Gen (SOD-1), das für den Zellstoffwechsel von Bedeutung ist. Die Mutation stört die Bildung eines Enzyms, das freie Sauerstoffradikale in der Zelle abfängt. Das sind aggressive chemische Verbindungen, die die Zellen und Gewebe des Körpers angreifen. Ist das Enzym infolge einer Genveränderung defekt, beschädigen die sich anhäufenden Radikale die Nervenzellen unter Umständen beträchtlich.

Untersuchungen und Diagnose

Die ALS-Diagnose erfordert verschiedene ärztliche Untersuchungen. Einige davon sind immer erforderlich, andere Tests sind nur in manchen Fällen notwendig, um Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen auszuschliessen (Differenzialdiagnose).

Typische Untersuchungen bei Verdacht auf Amyotrophe Lateralsklerose sind:

  • Tests der Nervenfunktionen (Reflexe, Muskelspannung, Tastsinn, Blasen- und Darmsteuerung)
  • Test der psychischen und geistigen Leistungsfähigkeit
  • Aufzeichnung der elektrischen Muskelaktivität (Elektromyografie und -neurografie)
  • Blutuntersuchungen, vor allem zum Ausschluss anderer Erkrankungen
  • Test der Lungenfunktion, eventuell auch eine Blutgasanalyse
  • Magnetresonanztomografie (zur Abgrenzung der ALS-Krankheit von anderen Nervenerkrankungen)
  • Bestimmung von Körpergewicht und Body-Mass-Index (BMI)

Eine ALS-Diagnose lässt sich zudem mit folgenden Tests weiter absichern:

  • Muskelbiopsie (Struktur der Muskelfasern)
  • Test auf Demenz
  • Magnetstimulation der motorischen Gehirnbereiche (Transkranielle Magnetstimulation)
  • Untersuchung von Blut und Liquor auf verschiedene Krankheitserreger (zum Beispiel Borrelien, HIV oder Lues) oder Antikörper gegen diese Errgeger
  • Untersuchung von Hals, Nase und Ohren (Differenzialdiagnose: Sprech- und Schluckstörungen)
  • Weitere bildgebende Verfahren (zum Beispiel Kernspintomogramm von Gehirn und Rückenmark)
  • Untersuchungen des Blutes auf Stoffwechselstörungen
  • Entnahme von Knochenmark (Knochenmarkbiopsie)

Ein DNA-Test auf ein verändertes SOD-1-Gen ist vor allem bei jungen Patienten mit schnellem Krankheitsverlauf sinnvoll, insbesondere auch um andere Erkrankungen sicher auszuschliessen.

Stellt ein Arzt die Diagnose ALS, ist es wegen der immensen Bedeutung unter Umständen sinnvoll für die Betroffenen, die Meinung eines weiteren Experten einzuholen.

Krankheitsverlauf und Prognose

Eine Heilung ist bei ALS bis heute nicht möglich. Die Lebenserwartung von Menschen mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS) lässt sich aufgrund des unterschiedlichen Krankheitsverlaufs kaum vorhersagen. Die meisten Betroffenen versterben innerhalb von zwei bis fünf Jahren nach der Diagnose, Ursache ist oftmals die Schwäche der Atemmuskulatur (Ateminsuffizienz). Etwa zehn Prozent der Betroffenen überleben jedoch deutlich länger, zum Teil mehr als zehn Jahre.

Aufgrund des meist schweren Krankheitsverlaufs ist es für die Betroffenen ratsam, sich psychologische Unterstützung zu suchen. Beratung und Hilfe bieten neben Ärzten auch ALS-Selbsthilfegruppen an.

Erfolgt die Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose früh, sodass direkt eine Behandlung möglich ist, haben viele Betroffene eine recht hohe Lebensqualität. Ist im häuslichen Umfeld eine gute Betreuung sichergestellt, benötigen Erkrankte erst in der Spätphase der Amyotrophen Lateralsklerose eine stationäre Behandlung in der Klinik.

Vorbeugen

Da die Ursache für die Erkrankung nicht bekannt ist, ist es nicht möglich, der ALS gezielt vorzubeugen.

Autoren- & Quelleninformationen

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Datum :
Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Vorlage:
Dr. med. Nina Buschek, Fabian Seyfried
Autor:
Sophie Matzik

Sophie Matzik ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion.

ICD-Codes:
G12
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Quellen:
  • AMBOSS, unter: https://www.amboss.com/de/wissen/Amyotrophe_Lateralsklerose/ (Abrufdatum: 27.10.2021)
  • Berlit, P.: Klinische Neurologie, Springer Verlag, 4. Auflage, 2020
  • Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. (DGM), unter https://www.dgm.org/muskelerkrankungen/amyotrophe-lateralsklerose-als (Abrufdatum: 27.10.2021)
  • Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. (DGM), unter https://www.dgm.org/schmerzen-bei-motoneuronerkrankungen (Abrufdatum: 27.10.2021)
  • Hacke W. et al.: Neurologie, Springer Verlag, 14. Auflage 2019
  • Klinische Leitlinie dees National Institute for Health and Care Excellence (NICE): Motor neurone disease: assessment and management. NICE guideline NG42 (Stand: Februar 2016, letztes Update Juli 2020)
  • Klinische Leitlinien der European ALS Consortium (EALSC): Behandlung der Amyotrophen Lateralsklerose (Stand: April 2008)
  • Leitlinien der Dt. Ges. f. Neurologie (DGN): Amyotrophe Lateralsklerose (Stand: Juni 2014)
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