Seltene Erkrankungen: 400.000 Österreicher betroffen

Der Weg zur Diagnose ist lang, die Therapie meist dürftig oder gar nicht erst vorhanden. Expertisezentren sollen dies ändern. Es fehlen jedoch wie so oft Ressourcen.
Auf Patienten mit seltenen Erkrankungen wartet meist eine Odysee: Sie irren mit ihren Beschwerden zwischen Haus- und Fachärzten hin und her, werden weitergeschickt oder sogar wieder nach Hause geschickt. Im Schnitt dauert es fünf Jahre bis zur gesicherten Diagnose. Mehr als 40 % der Betroffenen erhalten in dieser Zeit zumindest eine falsche Diagnose und damit auch eine falsche Therapie. Die richtige Diagnose ermöglicht nach einem oft langen Spießroutenlauf die passende Therapie – wenn es eine gibt.
Als selten gilt eine Krankheit dann, wenn von 50.000 Menschen nur 25 Personen oder weniger betroffen sind. Das entspricht etwa einem halben Prozent der Bevölkerung. In derselben Stichprobe sind im Vergleich bis zu 5.000 Menschen an Diabetes und rund 400 Frauen an Brustkrebs erkrankt. Derzeit schätzen Mediziner, dass es rund 6.000 bis 8.000 seltene Erkrankungen gibt – für fast alle davon (95 %) gibt es bis heute keine eigenen Therapien. Und gibt es doch Therapien, so sind die meisten Ärzte mit diesen nicht vertraut.
Expertisezentren für geballtes Know-How
Einen Plan, um die Situation für Betroffene zu verbessern und die Forschung voranzutreiben, gibt es bereits: Im Rahmen des Nationalen Aktionsplans für seltene Erkrankungen sollen in Österreich sogenannte Expertisezentren entstehen. Dort sollen zumindest zwei Fachärzte tätig sein, die sich spezifisch mit einer Erkrankung oder einer zusammenhängenden Erkrankungsgruppe beschäftigen und an die Betroffene sich bevorzugt wenden können.
Bisher gibt es in Österreich mit dem "eb Haus" für Schmetterlingskinder in Salzburg nur ein solches anerkanntes Zentrum. Das St. Anna Kinderspital soll als Kinderkrebszentrum bald folgen. Insgesamt sollen hierzulande 30 solcher Zentren entstehen, mit besonderem Augenmerk auf nationale und internationale Vernetzung. Zudem sollen sich mehrere Zentren am selben Standort (z.B. an Universitätskliniken) zu sogenannten Expertiseclustern zusammenschließen und so eine Anlaufstelle für Patienten ohne klare Diagnose werden.
Bürokratische Hürden überwinden
Das einzige Problem des Aktionsplans: Der Prüfaufwand für infrage kommende Zentren ist enorm, und die Ressourcen äußerst knapp. Nach jetzigem Zeitplan und mit den derzeit vorhandenen finanziellen Mitteln würde es rund 15 Jahre dauern, 30 Zentren zu bilden. Bürokratische Hürden auf Bundes- und vor allem Länder-Ebene verlangsamen den Prozess zusätzlich. Dr. Rainer Riedl, Obmann vom Verein Pro Rare Austria, sieht daher die Politik gefordert, die Umsetzung zu beschleunigen und dafür auch Geld in die Hand zu nehmen.
Das helfe nicht nur Betroffenen von seltenen Erkrankungen, sondern auch dem Wirtschafts- und Forschungsstandort Österreich. Ansonsten drohe, aus mangelnden Perspektiven und fehlenden Forschungsmöglichkeiten, eine Abwanderung der wenigen Experten für seltene Erkrankungen ins Ausland.
Autoren:
Katrin Derler, BA
Redaktionelle Bearbeitung:
Tanja Unterberger, Bakk. phil.
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