Delirium

Von , Arzt
und , Medizinredakteurin und Biologin
Marian Grosser

Marian Grosser studierte in München Humanmedizin. Daneben hat der vielfach interessierte Arzt einige spannende Abstecher gewagt: ein Philosophie- und Kunstgeschichtestudium, Tätigkeiten beim Radio und schließlich auch für Netdoktor.

Martina Feichter

Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).

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Mit dem Begriff Delirium (häufig auch nur Delir) beschreibt man in der Medizin einen Zustand geistiger Verwirrung, der sich vor allem durch Störungen des Bewusstseins und Denkvermögens auszeichnet. Zudem zeigen die Betroffenen oft auch körperliche Krankheitszeichen wie Fieber oder starkes Schwitzen. Eine Sonderform des Delirs ist das Delirium tremens, das vor allem infolge von Alkoholentzug auftritt. Meist ist ein Delirium nur vorübergehender Natur. Unbehandelt verläuft es in einigen Fällen aber tödlich. Lesen Sie hier das Wichtigste zum Symptom „Delirium“.

delirium

Kurzübersicht

  • Beschreibung: Komplex verschiedener psychischer und körperlicher Symptome, die alle körperlich (organisch) bedingt sind ("organisches Psychosyndrom"). Ein Delirium (Delir) tritt besonders oft bei älteren Patienten auf. Männer sind häufiger betroffen als Frauen, weil sie mehr zu Alkoholmissbrauch neigen (potenzieller Auslöser eines Delirs).
  • Symptome: Störungen der Wahrnehmung, Orientierung, des Bewusstseins und Gedächtnisses, Denkstörungen, starker Bewegungsdrang, übermässige Heiterkeit und/oder Angst, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Erregungszustände, Halluzinationen, Fieber, erhöhter Blutdruck, schneller Puls, starkes Schwitzen, Zittern (Tremor), manchmal schnelles, tiefes Atmen
  • Ursachen: fieberhafte Infekte, Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes, Erkrankungen des zentralen Nervensystems (Parkinson, Epilepsie, Demenz, Hirnhautentzündung etc.), Alkohol und andere Drogen, Alkoholentzug (Delirium tremens), Stoffwechselstörungen (wie Diabetes mellitus), Tumoren, Operationen, bestimmte Medikamente
  • Behandlung: medikamentöse Linderung der Delir-Symptome (mit Neuroleptika, Clomethiazol etc.); nach Möglichkeit auch Behandlung der Ursache des Deliriums

Delirium: Beschreibung

Ein Delirium wird auch als organisches Psychosyndrom bezeichnet. Dieser Begriff deutet bereits an, dass hier sowohl psychische als auch organische Komponenten beteiligt sind. Tatsächlich handelt es sich bei einem Delirium nicht um ein einzelnes Symptom, sondern eher um einen ganzen Symptomkomplex. Viele dieser Symptome hat das Delirium mit psychischen Erkrankungen gemeinsam, die jeweiligen Ursachen sind dabei aber stets körperlich (organisch).

Delirium: Symptome

Zu den typischen Symptomen eines Deliriums gehören:

  • Bewusstseins- und Wahrnehmungsstörungen, oft mit Beeinträchtigungen des Gedächtnisses und Orientierungsverlust. Auch Denkstörungen mit kognitiven Einschränkungen gehören dazu.
  • psychomotorische Unruhe mit starkem Bewegungsdrang und gelegentlich schleudernden Bewegungen (Jaktationen). Häufig kommt es zu Bettflucht.
  • übertriebene Heiterkeit und/oder unbegründete Angst (affektive Störungen)
  • Schlafstörungen
  • leichte Reizbarkeit und Erregungszustände
  • Halluzinationen. Diese können sowohl optischer als auch akustischer Natur sein und treten vor allem beim Entzugsdelir (Delirium tremens) oft auf.

Neben diesen vorwiegend psychischen Symptomen treten im Delirium meist auch körperliche Krankheitszeichen auf. Diese werden vom unwillkürlichen Nervensystem hervorgerufen und als neurovegetative Symptome bezeichnet:

  • Fieber bis zu 38,5 °C
  • erhöhter Blutdruck und beschleunigter Puls
  • starkes Schwitzen (Hyperhidrose)
  • manchmal übermässig schnelles und tiefes Atmen (Hyperventilation)
  • Zittern, auch Tremor genannt (besonders stark beim Delirium tremens)

Alle genannten Symptome treten bei einem Delirium eher plötzlich als schleichend auf und können während des Krankheitsverlaufs stark variieren, vor allem was ihre Intensität betrifft. Mediziner sprechen dann von einem akuten Beginn mit fluktuierendem Verlauf.

Oft dauern die Symptome nur Stunden oder Tage, bis sie wieder zurückgehen und schliesslich verschwinden. Ohne Behandlung kann das Delirium allerdings schwerwiegende Komplikationen für das Herz-Kreislaufsystem und die Atmung nach sich ziehen, die bis hin zum Tod führen können.

Zwei Typen von Delirium

Mediziner unterscheiden zwei Formen von Delir:

  • Beim hyperreaktiven Delir liegt generell ein erhöhter Erregungszustand vor. Die Patienten sind unruhig, teilweise mitunter aggressiv und zeigen oft neurovegetative Symptome.
  • Dagegen ist das hyporeaktive Delir durch eine allgemeine Verlangsamung gekennzeichnet - die Betroffenen wirken sehr ruhig, bisweilen sogar apathisch.

Diese beiden Varianten müssen nicht isoliert vorliegen, sondern können sich in unvorhersehbaren zeitlichen Intervallen gegenseitig ablösen.

Da die Symptome so vielfältig sein können und in ihrer Ausprägung ausserdem von Fall zu Fall stark variieren, ist eine Diagnose oft nicht einfach. Besonders das Delirium vom hyporeaktiven Typ wird oft nicht als solches erkannt.

Delirium: Ursachen und mögliche Erkrankungen

Vereinfacht ausgedrückt ist der Auslöser für die Delir-Symptome ein Ungleichgewicht bestimmter Botenstoffe (Neurotransmitter) des zentralen Nervensystems (ZNS). Diese Botenstoffe sind wichtig für die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen (Neuronen). Es gibt mehrere Erklärungsansätze, weshalb bei den Betroffenen die Balance der Neurotransmitter aus den Fugen gerät und somit zum Beispiel zu starke Signale gesendet werden:

Zum einen gibt es Substanzen, die einen direkten Effekt auf die neuronalen Strukturen haben. So beeinflussen etwa bestimmte Medikamente, Alkohol und andere Drogen die Botenstoffe. Unter Umständen wirken sich auch chemische Substanzen, die infolge von Stoffwechselstörungen entstehen, sowie Verschiebungen des Elektrolythaushaltes auf die Freisetzung von Neurotransmittern aus.

Nach der Entzündungshypothese können zudem im Rahmen grösserer Entzündungen entstandene Moleküle (sogenannte Zytokine), die Ausschüttung der Neurotransmitter stören und damit zu einem Delirium beitragen. Besonders bei systemischen Entzündungen – beispielsweise in Form grosser Infekte – besteht hier ein gewisses Risiko.

Schliesslich spielt auch Stress eine Rolle. Er sorgt nämlich für die Ausschüttung von Stresshormonen (Noradrenalin, Glukokortikoide), die Auswirkungen auf das ZNS haben können.

Wie oben bereits erwähnt, liegt einem Delirium letztlich immer eine organische beziehungsweise äusserliche Ursache zugrunde. Die richtige Balance der Neurotransmitter gerät also durch vorangehende Erkrankungen oder externe Einflüsse aus den Fugen. Dazu zählen zum Beispiel:

  • Erkrankungen des ZNS: z.B. Morbus Parkinson, Epilepsie, Hirnhautentzündung, Migräne, Schädel-Hirn-Trauma, Hirnblutung usw. Oft kommt es auch im Rahmen einer Demenz zum Delirium.
  • Tumorerkrankungen: Besonders in der Sterbephase ist das Delir bei Krebspatienten ein häufiges Symptom.
  • Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes: Mögliche Ursache ist etwa eine zu geringe Flüssigkeitszufuhr (besonders bei älteren Menschen) oder die Einnahme bestimmter Medikamente.
  • Stoffwechselstörungen: z.B. Diabetes oder Schilddrüsenerkrankungen
  • Infektionen und Fieber
  • Operative Eingriffe unter Narkose: In der Aufwachphase nach den Operationen kommt es bei einigen Patienten zum Delirium (Durchgangssyndrom).
  • bestimmte Medikamente, vor allem solche, die eine Auswirkung auf Neurotransmitter haben wie beispielsweise sogenannte anticholinerge Substanzen (z.B Mittel gegen Inkontinenz, Parkinson-Medikamente, Mittel gegen Übelkeit und Erbrechen).
  • Drogen aller Art, darunter auch Alkohol
  • Sauerstoffmangel (Hypoxie)

Darüber hinaus gibt es noch einige Faktoren, welche die Entstehung eines Deliriums begünstigen können. Dazu zählen beispielsweise chronischer Schlafentzug, psychische Vorerkrankungen, andauernde Schmerzen und sogar ein vermindertes Hör- oder Sehvermögen.

Delirium tremens (Entzugsdelir)

Alkohol kann zwar einerseits durch seine Wirkung an sich zu einem Delirium führen. Weitaus häufiger kommt es aber dazu, wenn er nach langem Missbrauch abgesetzt wird. Das Delirium tremens stellt dann die schwerwiegendste Form des sogenannten Alkoholentzugssyndroms dar. Bei milderen Ausprägungen spricht man dagegen von einem unvollständigen Delir. Neben dem Alkoholentzug kann auch das Absetzen anderer Suchtmittel zum Entzugsdelir führen, etwa der Entzug von Benzodiazepinen (Schlaf- und Beruhigungsmittel).

Wie bei anderen Formen eines Deliriums steckt auch beim Delirium tremens ein Ungleichgewicht bestimmter Transmittersysteme im ZNS dahinter. Im Prinzip können alle oben genannten Symptome auch hier vorkommen, wobei vermehrt Halluzinationen auftreten:

  • szenisch-optische und taktile Halluzinationen (Beispiel: Würmer, Käfer oder weisse Mäuse laufen über die eigene Haut)
  • seltener: akustische Sinnestäuschungen wie zum Beispiel eingebildete Marschmusik oder Geräusche
  • Paranoia und andere Wahnvorstellungen

Oft haben die Halluzinationen beim Delirium tremens einen Bezug zum Alltagsleben der Patienten. Auch der Alkohol selbst spielt oft eine Rolle bei den Sinnestäuschungen - da wird der Pfleger dann schon mal für einen Kellner gehalten, der den nächsten Schnaps bringt.

Ausserdem steht beim Delirium tremens natürlich der namensgebende Tremor im Vordergrund. Das starke Zittern ist aber nicht immer vorhanden.

Delirium: Wann sollten Sie zum Arzt?

Viele Patienten werden schon aufgrund anderer Erkrankungen seit einiger Zeit stationär im Krankenhaus behandelt, bevor es zum Delirium kommt. Falls Sie aber bei einem Angehörigen eines oder mehrere der oben genannten Symptome bemerken und diese noch dazu plötzlich auftreten, dann sollten sie umgehend den Notarzt rufen. Unbehandelt kann ein Delirium nämlich zu schweren Komplikationen führen. Je schneller man reagiert, desto geringer ist dieses Risiko.

Delirium: Was macht der Arzt?

Meist kann der Arzt schon anhand der Symptome des Patienten die Diagnose „Delirium“ stellen. Mit Hilfe bestimmter Testverfahren (CAM) lässt sich dann der Schweregrad des Deliriums ermitteln.

Schwieriger gestaltet sich die Suche nach der Ursache. Da letztlich viele verschiedene Erkrankungen und Faktoren ein Delirium verursachen können, ist es oft nicht leicht, den Auslöser zu finden. Ausserdem gibt es andere Krankheiten, die ähnliche Symptome wie ein Delirium zeigen und deshalb ausgeschlossen werden müssen.

Umso wichtiger ist eine sorgfältige Erfassung der Krankengeschichte des Patienten (Anamnese): Welche Vorerkrankungen gibt es? Besteht ein Alkoholmissbrauch? Wie ist die Lebenssituation des Patienten? Solche und weitere Fragen sind für die Diagnose „Delirium“ wichtig. Hier kommt es vor allem auf die Aussagen der Angehörigen an, da die Betroffenen in der Regel nicht kommunikationsfähig sind.

Je nach Bedarf werden Delirium-Patienten dann verschiedenen Untersuchungen unterzogen, darunter zum Beispiel:

  • Elektrokardiografie (EKG), um Störungen der Herzfunktion ausschliessen zu können
  • Herz-Ultraschall (Echokardiografie)
  • Messung bestimmter Laborwerte (Elektrolyte, Nierenfunktionswerte, Entzündungsparameter etc.)
  • Hirnwasseruntersuchung (Liquorpunktion)
  • Elektroenzephalografie (EEG) zum Messen der Hirnströme
  • Computertomografie (CT) und Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie, MRT)

Therapie des Deliriums

Patienten im Delirium müssen schnell behandelt werden, da potenziell Lebensgefahr besteht. Verschiedene Medikamente können die Delirium-Symptome lindern. Dazu zählen beispielsweise:

  • Neuroleptika (Antipsychotika) wie Haloperidol: Sie werden vor allem bei hyperaktiven Formen eines Delirs verabreicht.
  • Clomethiazol: Das ist der am meisten eingesetzte Wirkstoff beim Delirium tremens.
  • Benzodiazepine (Schlaf- und Beruhigungsmittel): Sie kommen vor allem beim Entzugsdelir zum Einsatz, aber auch bei anderen Formen von Delirium.
  • Antisympathomimetika wie Clonodin und Dexmedetomidin: Sie können anticholinergen Substanzen (mögliche Auslöser für ein Ungleichgewicht der Neurotransmitter und damit für ein Delirium) entgegen wirken.

Ausserdem wird nach Möglichkeit die Ursache des Deliriums behandelt beziehungsweise beseitigt. Sind zum Beispiel Störungen im Wasser- und Elektrolythaushalt der Auslöser, müssen diese behoben werden (etwa mittels Infusionen).

Delirium: Das können Sie selbst tun

Neben Medikamenten spielen auch andere Behandlungskonzepte eine wichtige Rolle bei der Behandlung eines Delirs. Dabei können vor allem die Angehörigen des Patienten helfen. Zunächst geschieht das bereits durch deren blosse Anwesenheit:

Für Delirium-Patienten ist es wichtig, vertraute Personen um sich zu haben, die sie wiederholt an die aktuelle Situation, die Zeit und den Ort erinnern und ihnen somit bei der Orientierung helfen. Ausserdem sollte ein fester Tag-/Nachtrhythmus gewährleistet sein. Auch regelmässige Berührungen fördern den Heilungsprozess, genauso wie eine möglichst ruhige Umgebung, die weder zu dunkel noch zu hell ist.

Es gibt zudem Studien, die belegen, dass entspannende Musik und Gerüche den Patienten helfen können. Wer diese Aspekte beherzigt, kann den Heilungsprozess beim Delirium unterstützen.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autoren:
Marian Grosser
Marian Grosser

Marian Grosser studierte in München Humanmedizin. Daneben hat der vielfach interessierte Arzt einige spannende Abstecher gewagt: ein Philosophie- und Kunstgeschichtestudium, Tätigkeiten beim Radio und schließlich auch für Netdoktor.

Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).

Quellen:
  • Bünemann, M et al.: Delir: Wenn man zeitweise verwirrt ist, in: Dtsch Ärztebl 2013; 110(21): A-1038 / B-904 / C-900
  • Diener, H.-C. & Weimar, C. (Hrsg.): Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, Georg Thieme Verlag, 2012
  • Herold, G.: Innere Medizin, Selbstverlag, 2013
  • Hewer, W. et al.: Delir beim alten Menschen, Kohlhammer Verlag, 2016
  • Lorenzl, S. et al.: Verwirrtheitszustände im Alter: Diagnostik und Therapie, in: Dtsch Ärztebl Int 2012; 109(21): 391-400
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