Sichelzellanämie

Von , Medizinredakteurin
Tanja Unterberger

Tanja Unterberger studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien. 2015 begann sie ihre Arbeit als Medizinredakteurin bei NetDoktor in Österreich. Neben dem Schreiben von Fachtexten, Magazinartikeln sowie News bringt die Journalistin auch Erfahrung im Podcasting und in der Videoproduktion mit.

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Die Sichelzellanämie (auch Sichelzellkrankheit oder Drepanozytose) ist eine Erbkrankheit, bei der sich die roten Blutzellen sichelförmig verformen. Die Ursache ist ein Gendefekt. Symptome sind unter anderem Durchblutungsstörungen und Blutarmut. Eine Heilung ist derzeit nur mit einer Stammzelltransplantation möglich. Lesen Sie hier mehr zu Ursachen, Symptomen und Therapie!

Sichelzellanämie

Kurzübersicht

  • Beschreibung: Erbkrankheit, bei der sich die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) sichelförmig verformen
  • Ursachen: Die Ursache für eine Sichelzellanämie ist ein defektes Gen, das für die Bildung von Hämoglobin (roter Blutfarbstoff) verantwortlich ist.
  • Prognose: Die Sichelzellanämie verläuft unterschiedlich schwer. Je früher die Symptome behandelt werden, desto besser ist die Prognose. Unbehandelt verläuft die Erkrankung meist tödlich.
  • Symptome: Starke Schmerzen, Durchblutungsstörungen, Blutarmut (Anämie), häufig auftretende Infektionen, Organschäden (z.B. Milz), Schlaganfälle, Wachstumsverzögerung
  • Behandlung: Die Symptome der Sichelzellkrankheit lassen sich mit Medikamenten (z.B. Hydroxycarbamid, Schmerzmittel) und Bluttransfusionen lindern. Eine Heilung ist mit einer Stammzelltransplantation möglich.
  • Diagnose: Gespräch mit dem Arzt, körperliche Untersuchung, Blutuntersuchung, Ultraschall, CT, MRT

Was ist eine Sichelzellanämie?

Die Sichelzellanämie – auch Sichelzellkrankheit (SCD; englisch: Sickle Cell Disease) oder Drepanozytose genannt – ist eine Erbkrankheit. Bei der Erkrankung verändern sich gesunde rote Blutkörperchen (Erythrozyten) in krankhafte, sichelförmige Zellen (Sichelzellen). Diese können wegen ihrer Form Blutgefässe im Körper verstopfen. Typische Symptome der Erkrankung sind starke Schmerzen, Durchblutungsstörungen, Blutarmut (Anämie) und Organschäden.

Ursache der Sichelzellanämie ist ein verändertes Gen, das für die Bildung des roten Blutfarbstoffs (Hämoglobin) zuständig ist. Die Sichelzellkrankheit ist nicht ansteckend und besteht bereits bei der Geburt. Die ersten Symptome treten oft schon im Säuglings- oder Kleinkindalter auf.

Die Erkrankung gehört zur Gruppe der Hämoglobinopathien. Dabei handelt es sich um verschiedene Störungen des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin.

Ärzte bevorzugen die Bezeichnung Sichelzellkrankheit statt Sichelzellanämie, da nicht alle Formen mit einer Blutarmut (Anämie) einhergehen. Ausserdem steht bei der Erkrankung nicht die Anämie als Symptom im Vordergrund, sondern die Symptome, die die Gefässverschlüsse auslösen.

Wie häufig tritt eine Sichelzellanämie auf?

Die Sichelzellanämie ist eine der häufigsten Erbkrankheiten und die häufigste Bluterkrankung auf der Welt. Einer Schätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge werden weltweit jährlich über 300.000 Kinder mit der Sichelzellkrankheit geboren.

Wer ist besonders betroffen?

Die Sichelzellanämie betrifft vorwiegend Menschen aus Zentral- und Westafrika. Sie trat zunächst vor allem im südlich der Sahara gelegenen Teil des afrikanischen Kontinents auf. Durch Migration ist die Sichelzellkrankheit allerdings mittlerweile weltweit verbreitet. So sind heute auch viele Menschen aus Teilen des Mittelmeerraums, des Nahen Ostens bis Indien und Nordamerika davon betroffen.

Seit den 1960er-Jahren ist die Sichelzellkrankheit auch in Nordeuropa (z.B. Deutschland, Österreich, Frankreich, England, Niederlande, Belgien und Skandinavien) verbreitet.

Sichelzellanämie und Malaria

Menschen mit Sichelzellanämie sind für Malaria weniger anfällig. Der Grund dafür: Normalerweise transportieren die roten Blutkörperchen die Malaria-Erreger (Plasmodien) über das Blut durch den Körper. Bei einer Sichelzellkrankheit verändern sich allerdings die roten Blutkörperchen zu Sichelzellen und sind weniger beweglich. Die Erreger der Malaria überleben daher schlechter.

Dadurch bekommen Menschen, die ein gesundes und ein erkranktes Gen besitzen (sogenannte heterozygote Genträger), einen Überlebensvorteil (Heterozygoten-Vorteil) in den Regionen, in denen sich Malaria ausbreitet. Das ist auch die Erklärung dafür, warum dort verhältnismässig viele Menschen an einer Sichelzellanämie erkrankt sind.

Wie entsteht eine Sichelzellanämie?

Die Sichelzellanämie ist eine Erbkrankheit. Ursache ist ein verändertes Gen (Mutation), das Vater und Mutter auf ihr Kind übertragen. Durch den Gendefekt verändert sich gesunder, roter Blutfarbstoff (Hämoglobin; kurz: Hb) in krankhaftes Sichelzellhämoglobin (Hämoglobin S; kurz: HbS).

Angeborener Gendefekt

Die roten Blutkörperchen haben die lebenswichtige Aufgabe, Sauerstoff aus der Lunge in alle Regionen des Körpers zu transportieren. Dazu bindet sich der Sauerstoff an den roten Blutfarbstoff. Dabei handelt es sich um ein Eiweiss, das sich in den roten Blutkörperchen befindet.

Die roten Blutkörperchen bestehen normalerweise aus „gesundem“ Hämoglobin, das sich aus zwei Eiweissketten – der alpha- und der beta-Kette – zusammensetzt. Diese Ketten machen die Blutkörperchen rund und glatt, wodurch sie durch jedes kleinste Blutgefäss passen und alle Organe mit lebenswichtigem Sauerstoff und Nährstoffen versorgen.

Bei der Sichelzellanämie führen genetische Fehler (Mutationen) dazu, dass die sogenannte beta-Kette des Hämoglobins krankhaft verändert ist (Hämoglobin S). Ist im Blut zu wenig Sauerstoff vorhanden, verändert sich die Form des Sichelzellhämoglobins und damit auch die der roten Blutkörperchen.

Dabei bilden die Hämoglobin-Teilchen starre Formen und verklumpen, wodurch die roten Blutkörperchen die typische Gestalt annehmen und wie kleine Sicheln aussehen. Daher stammt auch der Begriff „Sichelzellkrankheit“.

Sichelzellen sind wegen ihrer Form weitaus unbeweglicher und sterben früher als gesunde rote Blutkörperchen (Hämolyse). Dadurch entsteht im Körper einerseits eine Blutarmut (sogenannte korpuskuläre hämolytische Anämie), weil der Betroffene zu wenig rote Blutkörperchen hat. Andererseits verstopfen die Sichelzellen wegen ihrer Form leichter kleinere Blutgefässe.

Dies führt dazu, dass die betroffenen Körperbereiche nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt sind. In weiterer Folge kann das Gewebe absterben, und die Organe können im schlimmsten Fall ihre lebenswichtige Funktion nicht mehr erfüllen.

Wie wird die Sichelzellkrankheit vererbt?

Die Sichelzellanämie wird sowohl vom Vater als auch von der Mutter vererbt. Es handelt sich um einen sogenannten autosomal-rezessiven Erbgang: Jedes Elternteil trägt dabei mindestens ein krankhaftes Gen in den Chromosomen (Träger der Erbinformation).

Es hat unterschiedliche Auswirkungen, ob das Kind nur ein krankhaftes Gen erbt oder beide Gene:

Homozygoter Genträger

Tragen sowohl der Vater als auch die Mutter das veränderte Gen in sich und vererben sie es beide an ihr Kind weiter, so trägt das Kind zwei veränderte Gene in sich (homozygoter Genträger). Es erkrankt an der Sichelzellanämie. Das Kind bildet in diesem Fall ausschliesslich krankhaftes Hämoglobin (HbS) und kein gesundes Hämoglobin (Hb).

Heterozygoter Genträger

Vererbt ein Elternteil ein gesundes Gen und das andere Elternteil ein krankhaftes Gen weiter, dann bildet das Kind sowohl gesundes Hämoglobin als auch Sichelzellhämoglobin. Das Kind erkrankt in diesem Fall nicht an einer Sichelzellanämie. Es trägt jedoch das krankhafte Gen in sich und ist in der Lage, dieses später an seine Kinder weiterzugeben (heterozygoter Genträger).

Ärzte raten bei Kinderwunsch auch Trägern der Erkrankung dazu, sich bezüglich der möglichen Vererbung und damit verbundener Risiken für das Kind vorher beraten zu lassen.

Ist die Sichelzellkrankheit heilbar?

Die Prognose der Sichelzellanämie hängt stark davon ab, wie gut und frühzeitig die Symptome und Komplikationen behandelt werden. Etwa 85 bis 95 Prozent aller Kinder mit Sichelzellkrankheit erreichen in Ländern mit guter Gesundheitsversorgung (z.B. Europa, USA) das Erwachsenenalter. Die mittlere Lebenserwartung liegt dann bei etwa 40 bis 50 Jahren. In Ländern mit schlechterer medizinischer Versorgung ist die Sterblichkeit höher.

Mittels Blutstammzelltransplantation ist es Ärzten heute möglich, Menschen mit einer Sichelzellanämie vollständig zu heilen. Diese Behandlung birgt jedoch auch einige Risiken und ist daher schweren Fällen von Sichelzellanämie vorbehalten.

Wie verläuft die Erkrankung?

Manche Menschen mit einer Sichelzellkrankheit haben kaum Symptome, während andere sehr unter den Folgen der Erkrankung leiden. Warum die Erkrankung so unterschiedlich verläuft, ist bislang nicht geklärt.

Menschen mit einer Sichelzellanämie zeigen meist schon als Säugling erste Anzeichen der Erkrankung.

Welche Formen der Sichelzellkrankheit gibt es?

Es gibt unterschiedliche Formen der Sichelzellanämie. Diese entstehen je nachdem, wie das Gen, das für die Bildung des roten Blutfarbstoffs verantwortlich ist, verändert ist. Alle Formen werden vererbt. Allerdings verlaufen die jeweiligen Formen unterschiedlich, und auch die Symptome sind unterschiedlich stark ausgeprägt.

Die häufigsten Formen der Sichelzellkrankheit sind:

Sichelzellkrankheit HbSS (SCD-S/S)

Die SCD-S/S ist die häufigste Form der Sichelzellanämie. Sie verläuft am schwersten. Die Betroffenen haben jeweils ein verändertes Gen von beiden Elternteilen geerbt. Daher bilden sie auch nur das krankhaft veränderte Sichelzellhämoglobin (HbS).

Sichelzellkrankheit HbSss-Thal (SCS-S/beta-Thal)

Bei der SCS-S/beta-Thal erben die Kinder von einem Elternteil das Sichelzell-Gen und vom anderen ein Gen für die sogenannte Beta-Thalassämie. Bei letzterer handelt es sich um eine andere Bluterkrankung, bei der der Körper zu wenig oder gar kein Hämoglobin bildet. Diese Form der Sichelzellkrankheit ist seltener und verläuft meist milder.

Sichelzellkrankheit HbSC (SCD-S/C)

Bei der SCD-S/C vererbt ein Elternteil das Gen für die Sichelzellkrankheit und das andere Elternteil ein ebenfalls verändertes Hämoglobin-Gen, das HbC-Gen. Typisch sind hohe Blutwerte des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Da das Blut dadurch dickflüssiger ist, kommt es unter Umständen zu Komplikationen wie etwa Durchblutungsstörungen. Diese Form der Sichelzellanämie verläuft zwar meist weniger schwer, sie führt in einigen Fällen jedoch dazu, dass Betroffene erblinden oder ertauben.

Die Sichelzellkrankheit entwickelt sich nicht nur dann, wenn ein Kind zwei Sichelzell-Gene erbt, sondern auch, wenn die Eltern ein Sichelzell-Gen kombiniert mit einem anderen krankhaft veränderten Hämoglobin-Gen (wie dem HbC- oder dem Thalassämie-Gen) weitervererben.

Welche Symptome treten auf?

Die Symptome, die bei einer Sichelzellanämie auftreten, betreffen meist den gesamten Körper. Grundsätzlich ist es nämlich möglich, dass die Sichelzellen jedes Blutgefäss im Körper verstopfen. Die häufigsten Symptome bei einer Sichelzellkrankheit sind:

Starke Schmerzen

Menschen mit einer Sichelzellkrankheit haben meist starke Schmerzen (sogenannte Schmerzkrisen). Ihr Körper bildet Substanzen, die Schmerzen auslösen, wenn die Sichelzellen die Gefässe verstopfen und dadurch die Blutversorgung in den Organen (vor allem im Knochenmark) und Geweben blockieren. Sie haben während einer Krise vor allem Schmerzen im Bauch, in den Knochen und in den Gelenken.

Wetterumschwünge, Flüssigkeitsmangel, Infekte mit Fieber und Erschöpfung lösen diese Schmerzen häufig aus. Ältere Menschen mit einer Sichelzellanämie sind ausserdem öfter von schweren Schmerzkrisen betroffen als Kinder.

Bei manchen Menschen mit einer Sichelzellanämie halten die Schmerzen nur kurze Zeit an, während andere oft lange im Krankenhaus verbringen und Schmerzmittel benötigen.

Blutarmut (Anämie)

Sichelzellen sind weniger stabil als gesunde rote Blutkörperchen und sterben daher früher ab (Hämolyse). So überleben Sichelzellen etwa zehn bis 20 Tage, während rote Blutkörperchen in der Regel nach etwa 120 Tagen abgebaut werden. Sind im Körper zu wenig rote Blutkörperchen vorhanden, entsteht mit der Zeit eine Blutarmut (Anämie) und die Konzentration des roten Blutfarbstoffs verringert sich.

Organschäden

Weil die Blutgefässe durch die Sichelzellen verstopfen, sind die betroffenen Körperregionen nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt (sogenannte Sichelzellkrisen). Dadurch erhält das Gewebe zu wenig Sauerstoff und Nährstoffe, wodurch es mit der Zeit abstirbt. Die betroffenen Organe sind dann nicht mehr in der Lage, richtig zu funktionieren.

Davon betroffen sind meist das Knochenmark, die Lungen, das Gehirn, die Milz und der Magen-Darm-Trakt.

Infektionen

Betrifft die Sichelzellanämie bereits in den ersten Lebensjahren die Milz, haben die Patienten ein hohes Risiko für schwere Infektionen. Grund dafür ist, dass die Milz eine wichtige Rolle dabei spielt, krankheitserregende Keime (z.B. Bakterien wie Pneumokokken und Meningokokken, die Lungenentzündungen bzw. Gehirnhautentzündungen auslösen) im Körper zu bekämpfen.

Infektionen mit Fieber sind bei Menschen mit einer Sichelzellkrankheit ein Notfall! Suchen Sie bei Körpertemperaturen über 38,5 Grad Celsius daher sofort einen Arzt auf!

Hand-Fuss-Syndrom

Bei kleinen Kindern treten wegen der Gefässverschlüsse oft Schmerzen, Rötungen und Schwellungen der Hände und Füsse auf (Hand-Fuss-Syndrom). Dies ist oft ein erstes Anzeichen dafür, dass das Kind an einer Sichelzellanämie erkrankt ist.

Wachstumsverzögerung

Der Sauerstoffmangel im Gewebe kann bei Kindern dazu führen, dass ihr Wachstum verzögert ist. Zudem ist ein verspäteter Beginn der Pubertät möglich. Bis zum Erwachsenenalter holen betroffene Kinder den Rückstand jedoch meist wieder auf.

Knochennekrose

Da die Sichelzellen die Blutgefässe verstopfen, stirbt mit der Zeit auch Gewebe in Gelenken oder Knochen ab (avaskuläre Knochennekrose). Häufig sind die Hüftgelenke und die Schultergelenke davon betroffen.

Geschwüre

Es ist auch möglich, dass Sichelzellen die Blutgefässe der Haut verstopfen (vor allem an den Beinen), wodurch das Gewebe nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen versorgt ist. Betroffene haben dadurch häufig schmerzhafte, offene Wunden an den Beinen (Geschwüre), die meist schwer abheilen.

Sehstörungen und Erblindung

Verstopfen die Sichelzellen Blutgefässe in der Netzhaut (Retina) der Augen, stirbt das umgebende Gewebe ab, und es bilden sich Narben im hinteren Abschnitt des Auges. Dies beeinträchtigt die Sehfähigkeit der Betroffenen und führt im schlimmsten Fall dazu, dass sie erblinden.

Gallensteine, Gelbsucht

Dadurch, dass bei der Sichelzellanämie die sichelförmigen roten Blutkörperchen schneller zerfallen, entstehen im Blut vermehrt Abbauprodukte, zum Beispiel Bilirubin (Gallenfarbstoff). Bilirubin entsteht beim Abbau des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Manchmal bilden sich aus diesen Abbauprodukten Gallensteine in der Gallenblase. Wenn diese in den Gallengängen stecken bleiben, sind unter Umständen starke Schmerzen (Gallenkolik) und Gelbsucht (Ikterus) die Folge. Auch eine Gallenblasenentzündung ist als Komplikation der Sichelzellkrankheit möglich.

Hämolytische Krise, aplastische Krise

Bei der Sichelzellkrankheit werden die sichelförmig veränderten roten Blutkörperchen schneller abgebaut. Es besteht, zum Beispiel ausgelöst durch Infektionen, die Gefahr von hämolytischen Krisen, bei denen massenhaft rote Blutkörperchen zerfallen. Wenn überhaupt keine roten Blutkörperchen mehr gebildet werden, sprechen Ärzte von einer aplastischen Krise. Betroffene benötigen umgehend ärztliche Behandlung! Oft ist eine Bluttransfusion notwendig, damit es nicht zu einem lebensbedrohlichen Sauerstoffmangel und Herz-Kreislauf-Versagen kommt.

Milzsequestration und Milzvergrösserung

Die Milz ist das Organ, in dem die roten Blutkörperchen abgebaut werden. Bei Menschen mit einer Sichelzellanämie ist es möglich, dass grosse Mengen an Blut ganz plötzlich in der Milz „versacken“ (Milzsequestration). Dadurch kommt es mitunter zu einer lebensbedrohlichen Blutarmut und Sauerstoffmangel.

Eine Milzsequestration entwickelt sich meist über ein bis drei Tage. Symptome sind beispielsweise Fieber und Bauchschmerzen. Betroffene sind zudem oft blass und schlapp, ähnlich wie bei einer Erkältung. Durch das viele Blut, das versackt, schwillt die Milz an. Diese ist in den meisten Fällen tastbar.

Es ist wichtig, dass Eltern von Babys und Kleinkindern mit Sichelzellanämie lernen, die Milz ihres Kindes abzutasten. Ist die Milz vergrössert, raten Ärzte Eltern, ihre Kinder umgehend ins Krankenhaus zu bringen.

Akutes Thoraxsyndrom (ATS)

Wenn Sichelzellen Blutgefässe in der Lunge verstopfen, kann es zu einem sogenannten akuten Thoraxsyndrom (kurz: ATS) kommen. Das akute Thoraxsyndrom zählt neben der Milzsequestration zu den häufigsten Todesursachen bei Menschen mit einer Sichelzellkrankheit. Ein akutes Thoraxsyndrom entsteht meist infolge einer Schmerzkrise.

Die Symptome bei einem akuten Thoraxsyndrom ähneln denen einer Lungenentzündung: Die Betroffenen (oft Kinder) haben Fieber, Husten, Atembeschwerden und starke Schmerzen im Brustkorb, vor allem beim Atmen. Tritt das Thoraxsyndrom immer wieder auf, schädigt dies auf Dauer die Lungen.

Führen Betroffene regelmässige Atemgymnastik und/oder eine Atemtherapie durch, ist es möglich, einem akuten Thoraxsyndrom vorzubeugen. Dabei lernen die Erkrankten Übungen (z.B. Dehnübungen) und Techniken, die ihnen die Atmung erleichtern.

Bei Anzeichen eines akuten Thoraxsyndroms ist es wichtig, den Betroffenen sofort ins Krankenhaus zu bringen!

Schlaganfall

Bei einer Sichelzellkrankheit ist es zudem möglich, dass grössere Blutgefässe (z.B. im Gehirn) durch die Sichelzellen verengen oder verstopfen. Ist beispielsweise ein Gefäss im Gehirn verstopft, ist das umgebende Areal nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Es kommt zum Schlaganfall.

Anzeichen für einen Schlaganfall sind unter anderem plötzlich auftretende Kopfschmerzen, plötzliche Taubheits- oder Schwächegefühle einer Gesichtshälfte, eines Arms oder Beins oder auch im ganzen Körper, Sprachstörungen oder ein Krampfanfall.

Zeigt der Erkrankte Anzeichen eines Schlaganfalls, rufen Sie umgehend einen Notarzt!

Wann zum Arzt?

Bestimmte Symptome weisen bei Menschen mit Sichelzellanämie auf schwere, zum Teil lebensbedrohliche Komplikationen hin. Es ist daher ratsam, sofort einen Arzt aufzusuchen, wenn:

  • Erkrankte Fieber über 38,5 Grad Celsius haben
  • sie blass und schlapp sind
  • sie Brustschmerzen haben
  • sie kurzatmig sind
  • Gelenkschmerzen auftreten
  • sie einen Blähbauch und/oder Bauchschmerzen haben
  • die Milz tastbar und vergrössert ist
  • Betroffene plötzlich gelbe Augen bekommen
  • sie sehr dunklen Urin ausscheiden
  • sie Kopfschmerzen haben, ihnen schwindelig ist und/oder Lähmungen Gefühlsstörungen auftreten
  • der Penis anhaltend und schmerzhaft versteift ist (Priapismus)

Wie behandelt man eine Sichelzellkrankheit?

Hat der Arzt eine Sichelzellkrankheit diagnostiziert, ist es wichtig, dass der Betroffene sich von einem spezialisierten Behandlungsteam, das eng mit Haus- und Kinderärzten zusammenarbeitet, behandeln lässt. Auf diese Weise erhält der Erkrankte die bestmögliche Therapie.

Ziel der Behandlung ist es, auftretende Symptome zu lindern und möglichen Beschwerden und Komplikationen vorzubeugen. Dazu verordnen die Ärzte meist Medikamente (z.B. Hydroxycarbamid, Schmerzmittel). Bei schweren Verläufen führen Ärzte eine Stammzelltransplantation durch. Im Rahmen von Studien kommen zudem Gentherapien zum Einsatz.

Hydroxycarbamid

Ärzte behandeln Patienten mit einer Sichelzellkrankheit in der Regel mit dem Wirkstoff Hydroxycarbamid (auch: Hydroxyurea). Dabei handelt es sich um ein Zytostatikum, das auch zur Behandlung von Krebs eingesetzt wird. Dieses Medikament macht das Blut etwas flüssiger und vermehrt das fetale Hämoglobin (HbF) im Körper. Fetales Hämoglobin kommt bei gesunden Neugeborenen vor und hemmt die Bildung von Sichelzellen.

Nehmen Menschen mit Sichelzellanämie Hydroxycarbamid regelmässig ein, treten Schmerzkrisen seltener auf. Ausserdem erhöht das Medikament den roten Blutfarbstoff Hämoglobin im Blut, wodurch sich die Patienten insgesamt besser fühlen.

Schmerzmittel

Menschen mit einer Sichelzellkrankheit haben häufig starke Schmerzen, verursacht zum Beispiel durch Schmerzkrisen, das Hand-Fuss-Syndrom und Geschwüre. Ärzte verordnen daher Schmerzmittel mit den Wirkstoffen Paracetamol, Metamizol, Diclofenac oder Ibuprofen. In welcher Dosierung, wo (im Krankenhaus oder zu Hause) und in welcher Form (z.B. Saft, Tablette, Infusion) die Betroffenen die Medikamente erhalten, entscheiden die Ärzte individuell.

Menschen mit Sichelzellanämie sollten keine Acetylsalicylsäure (ASS) erhalten. Dieser Wirkstoff erhöht bei ihnen die Gefahr für schwere Gehirn- und Leberschäden.

Bluttransfusion

Bei Schlaganfällen oder um Schlaganfällen vorzubeugen sowie bei einer Milzsequestration und einem akuten Thoraxsyndrom, verordnen die Ärzte Patienten mit Sichelzellanämie Bluttransfusionen. Diese erfolgen regelmässig (meist monatlich) und oft ein Leben lang.

Dazu verabreichen die Ärzte Infusionen mit Erythrozyten-Konzentraten. Diese enthalten rote Blutkörperchen von einem gesunden Blutspender. Dadurch erhält der Betroffene die dringend benötigten roten Blutkörperchen. Gleichzeitig tauscht der Arzt auf diese Weise Sichelzellen durch normale rote Blutkörperchen aus, um das Risiko weiterer Komplikationen (z.B. akutes Thoraxsyndrom oder einen Schlaganfall) zu vermindern.

Impfungen

Um lebensbedrohlichen Infektionen vorzubeugen, impfen Ärzte kleine Kinder mit Sichelzellanämie bereits im zweiten Lebensmonat gegen Pneumokokken (Bakterien, die eine Lungenentzündung auslösen). Weitere spezielle Impfungen, die Ärzte bei der Sichelzellkrankheit empfehlen, sind Impfungen gegen Meningokokken (Hirnhautentzündung), Haemophilus (Krupp, Lungenentzündung, Hirnhautentzündung, Gelenkentzündung), Grippeviren sowie Hepatitis-Viren.

Antibiotika

Ärzte empfehlen, an Sichelzellanämie erkrankten Kindern ab dem dritten Lebensmonat bis zum fünften Lebensmonat täglich Penizillin (Antibiotikum) zu geben. Dieses hilft, schweren bakteriellen Infektionen vorzubeugen, für die Menschen mit der Sichelzellkrankheit besonders anfällig sind.

Erkranken Patienten mit Sichelzellanämie an einer Gallenblasenentzündung, an einem Geschwür oder einer Infektionskrankheit, verabreichen Ärzte ebenfalls Antibiotika.

Stammzelltransplantation

Durch eine Stammzelltransplantation (Knochenmarktransplantation) ist es Ärzten möglich, Menschen mit einer Sichelzellkrankheit zu heilen.

Die Stammzelltransplantation ist jedoch mit Risiken verbunden und nicht für jeden Menschen mit einer Sichelzellkrankheit geeignet. Sie wird daher nur bei Patienten mit einem sehr schweren Krankheitsverlauf durchgeführt.

Wie läuft die Stammzelltransplantation ab?

Die Ärzte entnehmen Stammzellen aus dem Knochenmark eines gesunden Spenders (Spendermark), die gesundes Blut bilden (Blutstammzellen). Vor der Transplantation zerstören die Ärzte mit einer Chemotherapie oder Strahlentherapie das Knochenmark des Betroffenen (Empfängers), das die krankhaften Sichelzellen bildet.

Danach verabreichen die Ärzte dem Erkrankten mithilfe einer Bluttransfusion die gesunden Stammzellen. Auf diese Weise ersetzen sie das kranke Knochenmark mit gesunden Stammzellen und der Betroffene bildet nun selbst neue, gesunde Blutzellen.

Damit der Körper des Empfängers die neuen Stammzellen des Spenders annimmt, muss das Blut in den meisten Merkmalen übereinstimmen. Daher verwenden Ärzte vorzugsweise Geschwister als Spender, da diese oft dieselben Merkmale (HLA-Gene) besitzen.

Gentherapie

Seit einigen Jahren untersuchen Ärzte in Studien, ob die Sichelzellkrankheit durch eine Gentherapie dauerhaft heilbar ist. Dazu entnehmen sie Stammzellen des Betroffenen und ersetzen das krankhafte Hämoglobin-Gen durch ein gesundes Gen. Anschliessend führen sie die genetisch veränderten Stammzellen wieder zurück in den Körper des Betroffenen. Dieser ist dann in der Lage, gesunde Blutzellen zu bilden.

Es gibt diesbezüglich bisher allerdings nur Erfahrungen mit einzelnen Patienten. Weitere Studien sind notwendig, um zu klären, inwiefern die Gentherapie als Behandlungsmethode bei der Sichelzellkrankheit einzusetzen ist.

Weitere Therapien

Es gibt einige vielversprechende Medikamente (z.B. Präparate mit der Aminosäure L-Glutamin), die Forscher derzeit erproben und die innerhalb der nächsten zehn Jahre möglicherweise marktreif sind. Zudem entwickeln Ärzte die Stammzelltransplantation immer weiter. Erfolg verspricht etwa die sogenannte haploidente Stammzelltransplantation, bei der meist ein Elternteil als Spender für ein erkranktes Kind dient. Haploident bedeutet, dass der Spender und der Empfänger hinsichtlich der HLA-Merkmale nur zur Hälfte übereinstimmen.

Die Behandlung von Menschen mit einer Sichelzellkrankheit wird stetig weiterentwickelt. Daher ist es wichtig, dass sich Erkrankte und ihre Angehörigen regelmässig über aktuelle Therapien informieren.

Wie stellt der Arzt die Diagnose?

Erster Ansprechpartner bei Verdacht auf eine Sichelzellkrankheit ist in der Regel der Kinderarzt. Dieser überweist bei Bedarf und für weitere Untersuchungen weiter an einen Facharzt für Innere Medizin mit Spezialisierung auf Blutkrankheiten (Hämatologen).

Da es sich bei einer Sichelzellanämie um eine Erbkrankheit handelt, liefert die Familiengeschichte erste Hinweise. Dazu fragt der Arzt beispielsweise, ob es bekannte Träger der Erkrankung in der Familie gibt.

Ausserdem empfehlen Ärzte, bei allen Neugeborenen, die aus Risikoregionen (z.B. West- und Zentralafrika) stammen, eine Blutuntersuchung durchführen zu lassen. Einige Länder führen ein sogenanntes Neugeborenen-Screening auf die Sichelzellanämie durch. Ein Neugeborenen-Screening ist eine Reihenuntersuchung von allen Neugeborenen, um bestimmte angeborene Krankheiten frühzeitig zu erkennen.

Zudem raten Ärzte, auch ältere Kinder und Jugendliche aus Risikogebieten, die Blutarmut und häufig starke Schmerzen oder Infekte haben, auf eine Sichelzellkrankheit zu untersuchen. Gibt es Hinweise auf die Erkrankung, führt der Arzt eine Blutuntersuchung durch.

Blutuntersuchung

Zur Diagnose einer Sichelzellanämie führt der Arzt eine Blutuntersuchung durch. Im Blutausstrich erkennt er unter einem Mikroskop meist direkt die typischen sichelförmigen roten Blutkörperchen. Dazu nimmt er einen Blutstropfen des Betroffenen und verstreicht ihn auf einen Träger (z.B. auf Glas). Wenn keine Sichelzellen zu sehen sind, bedeutet dies allerdings nicht, dass keine Sichelzellkrankheit vorliegt.

Eine genauere Diagnostik der Sichelzellkrankheit erfolgt im Labor mittels Hämoglobin-Elektrophorese (Hb-Elektrophorese). Sie ist eine der wichtigsten Untersuchungsmethoden, um Störungen des roten Blutfarbstoffs nachzuweisen. Bei der Hämoglobin-Elektrophorese wird das Hämoglobin aus dem Blut des Patienten in einer Flüssigkeit gelöst und auf einen Träger aufgebracht. Dann wird eine Stromspannung angelegt. Abhängig davon, wie das Hämoglobin zusammengesetzt ist, bewegt es sich in einer vorgegebenen Zeit unterschiedlich weit. Anhand dessen lässt sich beurteilen, ob es sich um normales oder um fehlerhaftes Hämoglobin handelt.

Findet sich etwa krankhaftes Hämoglobin (HbS), das weniger als 50 Prozent des gesamten Hämoglobins im Blut ausmacht, so ist der Patient Träger der Erkrankung. Weist der Betroffene mehr als 50 Prozent HbS im gesamten Hämoglobin auf, ist er wahrscheinlich an einer Sichelzellanämie erkrankt.

Molekulargenetische Untersuchungen

Krankhafte Veränderungen (Mutationen) im Hämoglobin-Gen des Betroffenen lassen sich zudem mit einer molekularbiologischen Untersuchung feststellen. Dazu analysiert beispielsweise ein Molekularbiologe gezielt bestimmte Gen-Abschnitte, die für die Sichelzellkrankheit verantwortlich sind, aus einer Blut- oder Speichelprobe. Zum Einsatz kommt dazu meist die Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Bei diesem Verfahren werden die Gen-Abschnitte mithilfe eines Enzyms (Polymerase) vervielfältigt und untersucht.

Weitere Untersuchungen

Um Symptomen einer Sichelzellkrankheit vorzubeugen oder mögliche Komplikationen frühzeitig zu verhindern, sind zudem folgende Untersuchungen möglich:

  • Untersuchung des Kindes im Mutterleib vor der Geburt (pränatale Diagnostik)
  • Regelmässige Kontrolluntersuchungen in spezialisierten Zentren
  • Blut- und Urinuntersuchungen
  • Untersuchung der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Liquor)
  • Bestimmung der Blutgruppe, falls eine Bluttransfusion nötig wird
  • Ultraschall des Bauchs und des Herzens
  • Ultraschall der Blutgefässe im Gehirn (z.B. bei Verdacht auf einen Schlaganfall)
  • Röntgenaufnahmen der Lunge, der Knochen oder der Gelenke
  • Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT)
  • Untersuchung der Augen (z.B. bei Verdacht auf Sehstörungen)

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

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Tanja Unterberger studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien. 2015 begann sie ihre Arbeit als Medizinredakteurin bei NetDoktor in Österreich. Neben dem Schreiben von Fachtexten, Magazinartikeln sowie News bringt die Journalistin auch Erfahrung im Podcasting und in der Videoproduktion mit.

ICD-Codes:
D57
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